vergissdeinnicht - Cat Clarke

  • Originaltitel: Entangled (2011)
    Lübbe 2012, 286 S.


    Über den Inhalt:
    Ein weißer Raum. Und nichts darin als ein Tisch, Stapel von Papier und Stifte. Und Grace. Sie weiß nicht, wie sie in diesen Raum gekommen ist, sie weiß nicht, warum sie dort ist. Und wie sie jemals wieder aus dem endlose Weiß entfliehen kann. Um nicht verrückt zu werden, beginnt sie, ihre Gedanken niederzuschreiben. Ganz allmählich setzt sich dabei das Puzzle ihrer Vergangenheit zusammen - und Grace spürt: Um sich befreien zu können, muss sie die ganze Wahrheit über sich selbst herausfinden ...


    Über die Autorin:
    Cat Clarke wurde 1978 in Sambia geboren und wuchs in Edinburgh und Yorkshire auf. Nach dem Studium arbeitete sie in London für einen Kinderbuchverlag und schrieb selbst Sachbücher für Kinder. Inzwischen lebt sie wieder in ihrer alten Heimat Edinburgh, wo sie sich neben ihrem Hund und ihren beiden Katzen auch um ihre selbst gegründete Literaturagentur für junge Autoren kümmert. „Vergiss dein nicht“ wurde in Großbritannien begeistert von der Presse aufgenommen und sofort zu einem großen Erfolg.


    Meine Meinung:
    Eigentlich war die 17-jährige Grace fest entschlossen, Selbstmord zu begehen. Stattdessen findet sie sich als Gefangene des mysteriösen Ethan in einem weißen Raum wieder. Dort steht ein Tisch, auf dem sich Papier und viele Stifte befinden. Grace beschließt, das Beste aus der Situation zu machen und beginnt, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben.


    Grace schreibt ihr Leben auf und am Ende erfahren wir den Grund für ihre Depressionen und warum sie sich umbringen wollte. Der ständige Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit versorgt den Leser immer nur häppchenweise mit neuen Informationen, was mich eher ungeduldig machte, als dass es die Spannung steigern konnte. So lässt sich schon bald erahnen, wie die Dinge zusammenhängen, Gewissheit gibt es aber erst am Ende.


    Obwohl Grace ihre Gedanken und Gefühle niederschreibt, fehlte mir der Zugang zu ihr. Sie ist kein sympathisches Mädchen, eigentlich fand ich sie unausstehlich, aber sie weckt ein gewisses Maß an Verständnis. Sie versucht ihre Unsicherheit zu kaschieren, indem sie dafür sorgt, dass sich andere Menschen genau so unwohl fühlen wie sie. Sie macht es einem schwer, sie zu mögen. Da die Geschichte nur aus Grace’ Sicht erzählt wird, gibt es keine Möglichkeit, die Geschehnisse aus der Distanz zu betrachten. So erhalten Teenagerthemen wie Selbstverletzung, Alkoholprobleme, ungewollte Schwangerschaft, Probleme mit den Eltern, den Freunden, Liebeskummer den Anschein von Normalität in Grace’ Leben, ohne dass sie vertieft werden. Es lohnt sich somit auch nicht, die Dinge zu hinterfragen. Auch die Nebenfiguren sieht man nur mit Grace’ Augen, das lässt sie nebulös und gefühllos erscheinen. Wer welche Rolle spielt, wie die Figuren in Beziehung zueinander stehen, was ihr Handeln letztendlich rechtfertigt und vor allem, welche Rolle Ethan bei dem Ganzen spielt, das herauszufinden, ist Aufgabe des Lesers.

    Das Ende hat mich ein bisschen entschädigt und meinen Gesamteindruck etwas abgemildert, denn den Schluß finde ich wirklich sehr gut gelungen. Hier wird auch endlich etwas Emotionalität spürbar.

    Die Autorin hat einen sehr jugendlichen und interessanten Schreibstil, baut ihre Geschichte geschickt auf und die Neugier darauf, ob es am Ende so ausgeht, wie es der Fortgang der Handlung vermuten lässt, hat mich bei der Stange gehalten.

  • Als ich dieses Buch in den Händen hielt, dachte ich zunächst, dass es mich von der Aufmachung und der Kurzbeschreibung zu sehr an "Raum" erinnern könnte. Nachdem ich jedoch etwas mehr in die Geschichte hinein gelesen habe, hat sich meine Skepsis sehr schnell in Luft aufgelöst, denn bis auf den Raum selbst hat die Geschichte nicht viel mit "Raum" gemeinsam.


    Cat Clarke hat einen wunderbaren Debütroman geschrieben, der mich von der ersten Seite an schockiert, berührt und zum Nachdenken angeregt hat. Dazu ist die Geschichte noch wahnsinnig spannend, sodass es mir schwer fiel, dass Buch auch nur für kurze Zeit aus den Händen zu legen.


    Die Geschichte beginnt relativ ruhig. Grace erklärt, wo sie sich befindet und schildert sehr ausführlich und authentisch ihre Gedanken und Ängste. Der Raum ist komplett weiß und engt sie ein, obwohl kaum etwas in dem Raum vorhanden ist. Lediglich einen Tisch, Papier und Stifte findet sie vor. Diese benutzt sie, um über ihre Vergangenheit nachzudenken und schreibt ihre Geschichte nieder.


    Der Schreibstil ist absolut wundervoll. Die Handlung wird eindringlich, spannend, schonungslos und dennoch gefühlvoll beschrieben. Oftmals wirkt die Sprache auch sehr salopp und ordinär, was ich jedoch nicht weiter schlimm fand, da dies sehr gut zu den Charakteren, besonders zu Grace, passt. Bei Grace als Protagonistin wurde sich besonders viel Mühe gegeben. Am Anfang konnte ich noch nicht so viel mit ihr anfangen, da sie mir recht oberflächlich, abgeklärt und unsympathisch erschien. Aber je mehr sie über sich und das Leben nachdenkt, desto mehr versteht man, wieso sie so ist wie sie ist. Ihre Gedanken sind authentisch, nachvollziehbar und haben mir stellenweise sogar eine Gänsehaut beschert. Sie hat eine schwere Zeit hinter sich, die ihr beinahe das Leben gekostet hat, weil sie das Leben lange Zeit nicht geschätzt hat und leichtsinnig damit umgegangen ist. Ihre Mutter und ihre Freunde sind hilflos und können sich stellenweise selbst nicht helfen, da jede Person ihre eigenen Probleme hat. Grace kommt kaum zur Ruhe und lebt zum Teil orientierungslos in den Tag hinein.


    Allerdings gibt es auch zwei kleine Kritikpunkte:
    Obwohl das Buch stellenweise sehr spannend ist, ist es doch leider auch mindestens genauso vorhersehbar. Zwar gab es hier und da ein paar Antworten, die ich eher weniger erwartet hätte, aber insgesamt waren am Ende bei der Auflösung kaum Schockmomente vorhanden, was ich doch ein wenig schade finde.
    Der zweite Kritikpunkt ist die Kurzbeschreibung. Zwar liest diese sich sehr gut und macht Lust auf mehr, aber sie führt auch in die Irre, denn ich habe dadurch einen Jugendthriller erwartet, der jedoch mehr ein Drama ist und kaum Thrillerelemente aufweist. Ich fand es nicht schlimm, dass es kein Thriller war, dennoch denke ich, dass viele Leser unter Umständen etwas anderes erwartet haben.


    Das Cover ist sehr schlicht und wirkt schon beinahe grell, da das Weiß doch recht ausgeprägt ist. Allerdings lebt das Cover von seinen Details, die man nicht unbedingt auf den ersten Blick sieht. Ganz blass kann man Zeilen im Hintergrund erkennen, auf denen der Buchtitel noch einmal deutlich hervorgehoben wird. Eine schöne Idee, die sehr gut zum Thema passt.


    Insgesamt ist "vergissdeinnicht" ein Buch, das man in der Tat nicht so schnell wieder vergessen kann. Eine wunderbare Protagonistin und eine großartige Handlung machen das Buch zu einem Jahreshighlight, das ich mit Sicherheit nicht zum letzten Mal gelesen habe. Hoffentlich wird es noch viele weitere Bücher von der Autorin geben. Absolut empfehlenswert!


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  • Wie rezensiert man nur ein solches Buch? Ich gestehe, öfters zwischendurch war ich versucht, die Lektüre abzubrechen. Denn über weite Strecken las es sich wie eine Teenie-Schmonzette. Sprachlich und stilistisch kam das sehr überzeugend rüber, aber erstens bin ich dieser Zeit wohl doch schon zu sehr entwachsen, um wirklich mitzufühlen, und zweitens hatte ich aufgrund des Klappentextes etwas völlig anderes erhofft. Ich dachte, ich hätte es mit einem Entführungsdrama, einem Thriller, zu tun. Doch weit gefehlt!


    Und nun wird es schwierig, denn man kann die Besonderheiten des Buches kaum schildern, ohne zu viel zu verraten. Ich versuche es also nur im Groben. Die 17jährige Grace ist die Ich-Erzählerin dieses (so muss man im Nachhinein sagen) Psychodramas. Sie wacht nach einem Selbstmordversuch in einem völlig weißen Raum auf, in den sie - scheinbar - der mysteriöse Ethan verschleppt hat. Sie wird gut versorgt, und kann in ihrem seltsamen Zwischendasein zuerst keinen Sinn entdecken. Doch auf dem Tisch liegt Papier, viel Papier - und ebenso viele Stifte. Halb aus Langeweile, halb aus innerem Drang beginnt Grace also zu schreiben. Sie schildert ihr ganzes, aus ihrer Sicht beschissenes Leben, und wie es dazu kam, dass sie sich umbringen wollte.


    Gleich von Beginn an haben wir also zwei Erzählebenen: erstens, der weiße Raum, und zweitens, Graces Rückblenden, das, was sie schreibt. Zuerst verteilen sich diese Abschnitte noch relativ gleichmäßig. Doch die Rückblenden werden immer länger und ausufernder, zugleich werden die Auftritte des "Entführers" immer kürzer und rätselhafter. Etwa in der Mitte des Buches wird dem Leser dann klar, dass es keinesfalls um eine mögliche "Entführung" geht, sondern darum, dass sich Grace erinnert. Erinnern muss, um wieder Ordnung in das Chaos ihres Lebens zu bringen.


    Als erwachsener Leser hatte ich recht schnell erraten, worum es hier eigentlich ging. Und von daher habe ich mich irgendwann auch wieder gelangweilt, weil die endlosen Teenie-Dialoge und Kneipenszenen meiner Meinung nach nicht unbedingt nötig waren. Das ist nun ein vertrackter Punkt. Ich glaube durchaus, dass die Lebenswelt einer 17jährigen, zumal einer "Ritzerin", glaubwürdig geschildert ist. Und ich denke, jugendliche Leser werden das Buch eher als "pageturner" empfinden, da sie nicht so schnell darauf kommen werden, "was das Ganze soll". Aber um wirklich spannend im Sinne eines "literarischen" Buches zu sein, hat mir der Schreibstil dann doch zu wenig Abwechslung geboten. Immerzu diese bemüht coolen Endlos-mit-Bindestrich-witzig-sein-wollenden Bandwurmwörter, dieses manipulative Verhalten, dieses SMS-Schicken (was habe ich oft gestöhnt), dieses Sich-Verkrachen und Wieder-Versöhnen. Das mag ja alles heute so sein, aber als Buch muss ich das nicht unbedingt lesen. Ich persönlich hätte sicher ein Drittel gestrichen.


    Nur der Schluss hat mich dann halbwegs wieder mit dem Buch versöhnt. Und nun muss ich ein wenig spoilern, und bitte alle Leser, die NICHT wissen wollen, wie das Buch endet, diesen Absatz zu überspringen. Die Autorin hat sich sozusagen (mein Eindruck) bei einem Film inspiriert, denn der Effekt ähnelt eindeutig einem "The Sixth Sense" für Teenies. Gegen Ende sieht man alles aus einer völlig anderen Perspektive, und müsste das Buch eigentlich gleich noch einmal lesen. Was ich aber, aufgrund der besagten Längen, gewiss nicht tun werde. Ein Knalleffekt auf den letzten Seiten - gut, immerhin. Aber der Weg dorthin war doch ein wenig mühsam.


    Ich verleihe dem Buch letzten Endes drei Sterne. Denn ich erkenne sehr wohl, dass es seine Zielgruppe eher im jugendlichen Milieu haben wird. Aus rein literarischer Sicht jedoch könnte die Autorin ihren Stil ein wenig abwechslungsreicher gestalten.

  • Ich habe das Buch als ebook entliehen und kann zur Covergestaltung nicht viel sagen. Was ich bei Amazon sehen kann, gefällt mir aber ganz gut. Mal was anderes.


    Der Schreibstil ist sehr gut, jugendlich, rotzig. Ganz so, wie ich mir vorstelle, das ein Mädchen im Teenager-Alter denken oder reden würde.


    Der Inhalt ist in Ordnung, aber auch für mich, wie von den Anderen oben schon beschrieben, aber der Mitte recht vorhersehbar. Das Ende war anrührend und emotional, endlich, aber auch aprupt.


    Das Mädchen selbst hat mir gut gefallen, sie ist weder lieb noch vernünftig, sondern verletzt sich selbst. Ihren Antrieb dazu verstehe ich nicht ganz, obwohl gerade zum Ende hin hier und da ein paar Hinweise gegeben werden. Ihren Weg des Erinnerns und Selbsterkennens fand ich gut geschildert, die Idee war für mich neu.


    Nicht so schön finde ich, dass die Hauptfigur immer wieder dazu neigt, sich selbst klar zu analysieren, wie eine ausgebildete Psychologin. Dazu, meine ich, fehlt ihr in dem Alter dann doch das Wissen und bei ihrem "Zustand" wohl auch die nötige Klarheit. Hier schimmert mir zu viel Autorin und Rechercheergebnis durch. Auch die Mutter ist mir ein bisschen zu eindimensional geraten, immer nur einkaufen, immer nur egozentrisch, immer nur weg ... Nun, am Ende macht sie es ja wett.


    Alles in allem aber ein lesenswertes und spannendes Buch, dass mir einen interessanten und vielleicht echten Einblick in das Gemüt einer depressiven und einsamen jungen Frau erlaubt hat.