Doris Lessing - Und wieder die Liebe

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    Späte Liebe – heimliche Hölle?


    Auffällig an ihrem jetzigen, in unserer Gegenwart spielenden Liebes- und Leidenschaftsroman ist zunächst, mit welcher Offenheit und zugleich Ernsthaftigkeit die unverhofft wiederaufkeimenden Triebe und Gefühle der Hauptfigur dem Leser gleichsam in homöopathischer Dosierung verabreicht werden. Ungewöhnlich ist auch, dass die zum Teil ungestümen und für die Protagonistin sogar körperlich spürbaren Gemütsregungen nie richtig zum Ausbruch kommen, höchstens in ihrer phantasierend-begehrlichen Gedanken- und Traumwelt. Verborgen bleiben so den Mitmenschen die erstaunlichen Abgründe der Seele; was zur Folge hat, dass sie zur fälschlichen Annahme verleitet werden, die Begehren und Begierden der älteren Dame seien gänzlich erloschen.


    Sarah Durham ist eine seit bald drei Jahrzehnten verwitwete Frau, die heute als Theaterleiterin und gleichzeitig Bühnenautorin tätig ist. Nach intensivem Studium der Tagebücher von Julie Vairon (einer charismatischen jungen Musikerin und Künstlerin aus Martinique, die als «free woman» vor nahezu hundert Jahren ihrer Zeit weit voraus war) hat Sarah soeben ein Stück geschrieben, das nun von ihrer erfolgreichen Truppe aufgeführt werden soll.


    Die enge Verknüpfung zwischen Sarahs eigenem Leben und dem von ihr entdeckten «Stoff» bildet den Hauptstrang, den Doris Lessing so geschickt geflochten hat, dass die vielen anderen dazu gezwirnten Erzählfäden nicht nur für die Länge des Romans, sondern vor allem auch für seine Stärke verantwortlich sind. Zur intrikaten Mischung aus bekannten sowie bisher kaum vermuteten (jedoch wahrscheinlich zunehmend häufiger auftretenden) «Wechselfällen des Lebens» gehören auch Rückgriffe auf den Fundus der Weltliteratur. Besonders deutlich zutage tritt der Wandel sittlicher Verhaltensweisen aber in der Schilderung heutiger Lebens- und Umgangsformen, wobei – trotz auktorialem Erzählen – nie kritisiert, lamentiert oder gewertet würde. Es wird einfach registriert.


    Verdeckte Aktualität


    Dies gilt in erster Linie auch für die im Zentrum stehende Gefühlswelt der Protagonistin. In gepflegter Diktion und gedanklicher Tiefe führt Lessing den Leser in noch wenig bedachte Dimensionen der Liebe ein. Höchste Aktualität besitzt ohne Zweifel das landläufige Vorurteil vom geschlechtslosen Alter in unserer Gesellschaft. Da die Vorstellung, ältere Menschen hätten kein Bedürfnis nach Liebe und Leidenschaft mehr, völlig irrig ist, muss – so das implizite Plädoyer des Romans – dieses gesellschaftliche Tabu unbedingt bewusst gemacht beziehungsweise beseitigt werden.


    Sarah Durham, die «femme d'un certain âge», verkörpert jenen Typus von Frau, die seelisch und körperlich an sich erfährt, was es heisst, sich noch einmal – nein, zweimal, und dies beinahe gleichzeitig – zu verlieben: zu «entflammen» für einen jungen Schauspieler sowie für den etwas älteren (verheirateten) Regisseur. Auslöser des plötzlich einsetzenden Wandels war die intensive Arbeit an «Julie Vairon», insbesondere die von dieser komponierte «verzaubernde» Musik, die sämtliche Saiten der Trieb- und Gefühlswelt in unkontrollierbare Schwingungen versetzte. Da wurde ein merkwürdiges Lebensgefühl evoziert: etwas, das bis in die Kindheit zurückreichte, etwas, das alte Wünsche, Sehnsüchte und Begierden zu neuem Leben erweckte. War die Liebe wirklich ein unverlierbarer Wert? War die innere Welt der Gefühle dem Alterungsprozess tatsächlich nicht unterworfen? Zumindest wollte es so scheinen. Nur, dass man mit fünfzig oder sechzig verschieden darüber dachte; und – obwohl man daran fast zugrunde ging – sich unentwegt bemühte, um jeden Preis eine «stiff upper lip» zu bewahren.


    Dass es wahrscheinlich Millionen älterer Frauen gibt, die Qualen leiden, weil sie in hübsche junge Männer verliebt sind, sich jedoch darüber ausschweigen, davon ist Sarah Durham fest überzeugt. «Notgedrungen», sinniert sie sarkastisch. «Lieber Himmel, man stelle sich nur ein Altersheim mit Senioren vor, wie wir sie nennen, und die Hälfte von ihnen ist insgeheim verrückt nach dem jungen Kerl, der den Krankenwagen fährt, oder nach dem hübschen Mädchen in der Küche. Eine heimliche Hölle, bevölkert von den Gespenstern verlorener Geliebter . . .»


    Düstere Erkenntnis


    Was also wird geschehen, wenn dereinst auch dieses Tabu einmal fallen sollte? Wird das «Coming-out» der älteren Generation eine ebensolche gesellschaftliche Umwälzung mit sich bringen, wie es die noch immer wachsende Gefühlsverarmung der jüngeren Leute getan hat? Derlei Überlegungen und Bedenken sowie die anerzogenen inneren Hemmungen Sarahs verhindern, dass sie es jemals wagen würde, ganz sich selbst zu sein. Nie würde sie den ersten Schritt tun, so sehr sie dies auch möchte. Kommt dazu, dass sie dazu neigt, zu glauben, echte Liebe finde nie ihre wahre Bestimmung, weil das geliebte Wesen seine Liebe vordem schon auf eine andere Person gelenkt hat; und wird man selbst geliebt, dann durchweg von jemand, den man bestenfalls gut mag: «als ob es ein entsprechendes Gesetz dafür gäbe». Der Wahrheitsgehalt der düstern Erkenntnis, dass es deshalb kaum je ein wirkliches, dauerhaftes Liebesglück geben kann, wird vom weitverzweigten Handlungsverlauf der Geschichte in mannigfacher Weise untermauert.


    Dass eine derartige Gemütsverfassung – vorab das Leiden an unerfüllter (Alters-)Liebe – mit der Zeit gezwungenermassen zu depressiven Zuständen führt, ist nicht weiter verwunderlich. Mit aller Deutlichkeit wird zudem vorgeführt, dass die Männerwelt von vergleichbaren seelischen Nöten nicht verschont bleibt. Sarahs Freund Stephen, ein wohlhabender Gutsbesitzer, der von allem Anfang an eine Art Gegenpart einnimmt, wird am Ende von seinen Frustrationen in schwere Depressionen gestürzt. Sein «gebrochenes Herz» treibt ihn schliesslich zum Selbstmord. Einzig die Frauen scheinen zu wissen, dass man «trotz allem» nicht aufgeben darf: Existenz muss ausgelitten werden – auch dann, wenn sich daraus kein (sichtbarer) Sinn ergibt.


    Romeo Giger
    Pressestimmen
    "Einfühlsam geht Doris Lessing ans Alterswerk und balanciert geschickt zwischen Tiefgang und Leichtigkeit." (Welt am Sonntag ) -- Dieser Text bezieht sich auf eine andere Ausgabe:


    Meine Meinung:


    Die Beschreibung auf der Amazon Seite trifft es m.E. ziemlich gut. Die Leserin wird mitgenommen in die Entwicklung einer Theaterproduktion, die die Hauptdarstellerin auf eine gefühlsmäßige Achterbahn schickt. Sie ist nicht die Einzige, der dies widerfährt. Ihr Leben ist zu dieser Zeit anstrengend, vieles wird in Frage gestellt, sie findet keine einfachen Antworten.


    Mir hat das Buch gut gefallen, daher 9 Pkt.