Horns Ende - Christoph Hein

  • Kurzbeschreibung


    Thomas war damals noch fast ein Kind, aber an die Ereignisse im verschlafenen mitteldeutschen Bad Guldenberg, während des Sommers 1957, erinnert er sich genau: wie er sich bei den Zigeunern verdingte und dafür von seinem Vater, dem Apotheker, streng bestraft wurde und wie er in diesen heißen Tagen seine erste, schüchterne Liebe zu Elske, der um so vieles Älteren, erlebte. Aber auch andere erinnern sich: Da sind Bürgermeister Kruschkatz, Dr. Spodeck, der alteingesessene Arzt, und die sanfte Krämersfrau Gertrude Fischlinger. Und da ist auch Marlene, die nur durch den Opfertod ihrer Mutter den faschistischen Terror überlebt hat. Sie alle tragen ihren Teil bei zur Erinnerung an jenen Sommer, als die Zigeuner ihr Lager mitten in der Stadt aufschlugen, als eine Untersuchungskommission vom Bezirk kam und Horn sich das Leben nahm.


    „Ein meisterhafter Roman“, urteilte Hans Ulrich Probst in seiner Laudatio zum Solothurner Literaturpreis 2000, „den ich für eines der wichtigsten Bücher aus 40 Jahren DDR-Literatur überhaupt halte.“


    Angaben über den Autor


    Christoph Hein, geboren 1944 in Heinzendorf/Schlesien, lebt in Berlin. Sein Werk, für das er mit zahlreichen renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet worden ist, erscheint im Suhrkamp Verlag.


    Eigene Meinung


    Der Einstieg in das erste Kapitel erzeugte bei mir Spannung.


    „Erinnere dich.
    Ich versuche es.
    Du mußt dich erinnern.
    Es ist lange her. Jahre sind vergangen. […]“


    Derartige Wortwechsel sind jedem der acht Kapitel vorangestellt und ziehen sich wie ein Gespräch aus dem Off dadurch durch das ganze Buch. Wer dort genau mit wem spricht, wird leider nie aufgeklärt. So muss der Leser bei seiner Vermutung bleiben. Und Vermutungen können viele angestellt werden, da sich in diesem Roman, fünf Figuren finden, die als Protagonisten agieren. Der Apothekerjunge Thomas, Bürgermeister Kruschkatz, Dr. Spodeck, Gertrude Fischlinger und Marlene erzählen in ihnen zugeordneten Abschnitten, wie sie den Sommer 1957 in Bad Guldenberg erlebt haben. Diese verschiedenen Personen immer näher kennenzulernen und das Leben der Stadt aus ihrem Blickwinkel zu betrachten fand ich äußerst interessant. Die verschiedenen Winkel kommen insbesondere in Bezug auf die Zigeuner zu tragen, die mitten in der Stadt ihr Lager aufgebaut haben.
    Dabei taucht der Museumsleiter Horn zwischendurch in den Erzählungen auf. Aber er kommt nie selbst zu Wort. Herr Horn bleibt somit den Roman hindurch präsent, dennoch habe ich ihn nie wirklich fassen können.
    Der Roman selbst, ist in der ehemaligen DDR situiert und läuft unter dem Genre der „DDR- Literatur“. Für mich war in dem Roman selbst nur wenig ersichtlich, was ihn deutlich in diese Zeit setzt, außer dem Jahr und dem Ort. Vor allem das Wissen, dass er zur DDR- Literatur gehört, hat mich aufmerksam gemacht, Anzeichen im Buch selbst zu finden. Diese Anzeichen fand ich rückblickend etwas in der Rolle des Bürgermeisters und der Erzählung von ihm sowie auch ein wenig bei der Krämersfrau Gertrude Fischlinger.
    Ich vermute jedoch, dass jemand, der noch Erinnerungen an die DDR hat und vielleicht sogar in ihr aufgewachsen ist, noch mehr Anzeichen bemerken kann. Als die Mauer fiel, war ich noch keine drei Jahre alt, so dass ich keine eigenen Erinnerungen an diese Zeit habe. Auch meine geschichtlichen Kenntnisse sind bezüglich der DDR nicht sehr groß, was sich aber hoffentlich noch etwas ändern wird.
    Der Schreibstil von Hein hat mir sehr gut gefallen. Es kam nie Langeweile auf und ich bin über keine merkwürdigen Formulierungen gestolpert.


    Fazit:
    Das Buch ist lesenswert. Gekonnt hält der Autor den Leser bei der Stange und gibt ihm häppchenweise immer mehr Informationen über die einzelnen Protagonisten, die den Sommer 1957 erleben. Diese vielen Perspektiven machen für mich das Buch auch aus.
    Am Ende des Buchs stirbt Horn, der für mich leider immer zu sehr im Hintergrund war und den ich als Figur auch nicht fassen konnte. Er bleibt eher ein Phantom. Das fand ich etwas schade und hätte mir mehr gewünscht, auch in Hinblick auf seinen Tod, der immerhin den Titel des Romans bestimmt. Hier gibt es von mir einen Abzug.


    Liebe Grüße,
    Imandra :-)

  • Horns Ende - Christoph Hein


    Mein Eindruck:
    Ein frühes Buch von Christoph Hein, 1985 erstmals erschienen. Die Handlung ist in der DDR angesiedelt, erzählt werden gesellschaftliches Leben, Zustände und Geschehnisse in einer kleinen Stadt in den fünfziger Jahren.
    Zentrale Figur ist Horn, ein Mann, der im Wald erhangen aufgefunden wurde. Vermutlich Selbstmord.


    Christoph Hein wendet eine interessante Erzählmethode an, um das Geschehen und Ursachen zu zeigen. Er lässt kapitelweise wechselnd Personen erzählen, die sich an Horn und was mit seinem Fall zu tun hatte, direkt oder indirekt erinnern, Aus ihrer jeweils subjektiven Sicht schildern sie die damalige Situation und der Leser kann sich Stück für Stück die Geschichte zusammen setzen.


    Christoph Hein idealisiert die Figuren nicht. Es sind menschliche Menschen, mit Schwächen, vielleicht auch Stärken. Hein urteilt nicht. Er vermag es, das Interesse des Lesers auch an den Lebensläufen der Figuren zu wecken.
    Sie sind sehr unterschiedlich: ein aufgeweckter 12jähriger Junge, ein Arzt, ein Bürgermeister, die Vermieterin von Horn, ein geistig verwirrtes Mädchen.


    Streckenweise wirkt das Buch nicht ganz unangestrengt und ich weiß nicht, ob es mich am Ende zu einer Gesamt-Erkenntnis führt.
    Dennoch, man lernt eine vergangene Zeit kennen. Es ist ein intelligentes Buch, dass sich auch nach so vielen Jahren nach seiner Veröffentlichung das lesen lohnt.

  • Christoph Hein: Horns Ende
    Berlin: Aufbau 1985. 320 S. ISBN-13: 978-3472866183

    Darmstadt: Luchterhand Verlag 1985. 265 Seiten. ISBN: 3-472-86618-7

    TB-Ausgabe Suhrkamp ISBN 978-3518399798


    Verlagstext

    Thomas war damals noch fast ein Kind, aber an die Ereignisse im verschlafenen Bad Guldenberg, während des Sommers 1957, erinnert er sich genau: wie er sich bei den Zigeunern verdingte und dafür von seinem Vater, dem Apotheker, bestraft wurde und wie er seine erste, schüchterne Liebe zu Elske erlebte. Aber auch andere erinnern sich: Bürgermeister Kruschkatz, Dr. Spodeck, der alteingesessene Arzt, und die sanfte Krämersfrau Gertrude Fischlinger. Und da ist auch Marlene, die nur durch den Opfertd ihrer Mutter den faschistischen Terror überlebt hat. Sie alle tragen ihren Teil bei zur Erinnerung an jenen Sommer, als Zigeuner ihr Lager mitten in der Stadt aufschlugen, als eine Untersuchungskommission vom Bezirk kam und Horn sich das Leben nahm.

    »Ein meisterhafter Roman«, urteilte Hans Ulrich Probst in seiner Laudatio zum Solothurner Literaturpreis 2000, »den ich für eines der wichtigsten Bücher aus 40 Jahren DDR-Literatur überhaupt halte.«


    Der Autor

    Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle »Der fremde Freund/Drachenblut«. Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.


    Inhalt

    Fünf Icherzähler berichten aus mehr als 20 Jahren Distanz rückblickend, wie es in den 50ern zum Selbstmord des Museumsleiters Horn in Bad Guldenberg/Ostdeutschland kam, der des Revisionismus verdächtigt war und deshalb in den kleinen Kurort versetzt wurde. Es sind drei Erwachsene, die den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg bewusst miterlebt haben müssen, (der Arzt Dr. Spodeck, Gertrude Fischlinger, allein erziehende Mutter von Paul, Ladeninhaberin und Vermieterin von Horn, der neue Bürgermeister Kruschkatz), ein Kind und eine geistig behinderte junge Frau. Thomas, der Sohn des Apothekers, ist im Sommer 1957 mit 11 Jahren am Beginn der Pubertät und leidet darunter, als Kind einer stadtbekannten Familie im Mittelpunkt zu stehen. Marlene Gohl hat trotz einer geistigen Behinderung die Tötung Behinderter während der NS-Zeit überlebt. Die damals noch immer schlechte Versorgung mit Konsumgütern in der DDR zeigt sich daran, dass bestimmte Artikel nur gegen Lebensmittelmarken abgegeben werden. Durch eine Großfamilie von „Zigeunern“, die im Ort lagert, eskalieren alte Konflikte zwischen Einwohnern und der politischen Führung, die aus gewählten Mitgliedern und Berufsstadträten besteht.


    Die sehr unterschiedlichen Erzähler berichten nüchtern, fast im Protokollstil. Als Leser muss man sich die Ereignisse und die Verbindungen zwischen den Figuren nach und nach zusammenreimen. Heins Figuren äußern sich gegenüber ihren Mitbürgern häufig herablassend und voller Vorurteile. Mehr kann man vermutlich nicht erwarten, wenn alte Köpfe ein neues System organisieren müssen. Nach 12 Jahren in einem Staat, der sich für unbelastet vom Nationalsozialismus erklärte, befremdet, wie ungebrochen sich – hier in der Fiktion - Denunziation halten konnte im Kampf um Posten und Vorteile.


    Aus der Sicht eines Wessis kenne ich die geschilderten Verhältnisse von Familienbesuchen. Auf mich wirkt der Roman wie ein Theaterstück, konzentriert auf wenige Szenen und Figuren, in dem mit der Zigeunergruppe ein anarchistisches Element auftritt, das den bürokratisch-totalitären Staat provoziert. Das Zigeunermotiv konkurrierte in meinem Kopf mit den Bildern meiner Kindheit von reisenden Scherenschleifern, Altmetall- und Teppichhändlern, die einfach ihren Berufen nachgingen. Ich konnte im Roman nur schwer nachvollziehen, wo das Problem mit den "Zigeunern" sein soll, war mir jedoch bewusst, dass der beschriebene Staat 4 Jahre später Reisende mit Mauern und Schussanlagen abwehrte.


    Von Rückblicken in der Ichperspektive erwarte ich sonst eine Selbstkritik der Figuren, die ich hier nicht gefunden habe. Die charakteristischen Probleme der 50er in der DDR (Abbau der Produktionsanlagen durch die Besatzungsarmee, Flucht der Fachkräfte nach Westdeutschland und sich daraufhin weiter verschlechternde Versorgungslage) bleiben auf Heins Theaterbühne nur angedeutet. Arzt, Apotheker und Politiker sind nicht gerade charakteristische Berufe; aus der Arbeitswelt des Durchschnittsbürgers erfährt man als Leser kaum etwas. Gerade Gertrude steht doch mit ihrem Laden im Fadenkreuz von Enteignung und Zwangskollektivierung Selbstständiger und Schwächen der Planwirtschaft. Geschildert wird eine reine Männerwelt, in der Frauen als Ehefrauen und Assistentinnen kurz durchs Bild huschen. Da in den 50ern eine ganze Generation von Männern im Krieg gefallen war, noch vermisst wurde oder versehrt zurückkehrte, finde ich die Darstellung von Frauen in „Horns Ende“ nicht gerade treffend für die Zeit. Christine, Spodecks Arzthelferin, verkörpert aus meiner Sicht ein Abhängigkeits-Verhältnis von Herr und Knecht, das das DDR-System mit der Vertreibung und Enteignung ehemaliger Gutsherren eigentlich überwinden wollte.


    Das Rätseln, was zu Horns Tod führte, hat mir durchaus Spaß gemacht. Um von „Horns Ende“ gefesselt zu sein, hätte Thomas für meinen Geschmack seine kindliche Perspektive von damals allerdings aus der Sicht des Erwachsenen reflektieren müssen. Wer beim Erscheinen des Romans 1985 die DDR nicht aus eigener Anschauung kannte, wird bereits damals Verständnisprobleme gehabt haben; 30 Jahre später rätsele ich umso mehr, was Hein mit dem Roman vermitteln wollte.

  • Zur Veröffentlichungs-Geschichte des Romans

    Zitat

    In Verlagen traf ich mutige Leute, die den Kummer, den ich ihnen machte, ausdrücklich begrüßten. Für einen Roman beispielsweise, Horns Ende, kämpfte ein Verleger zwei Jahre erfolglos, dann ließ er ihn ohne Druckgenehmigung erscheinen. Dieser Roman ist meines Wissens das einzige belletristische Buch, das in einem DDR -Verlag trotz ausgesprochenen Verbots durch die Zensurbehörde erschien. (Wenn man von einer illegalen Klein-Auflage des gleichen Buches absieht, das anonym gebliebene Drucker ein halbes Jahr zuvor aus dem längst fertig gedruckten und eingelagerten Buchblock, versehen mit dem Cover eines unverdächtigen Unterhaltungsromans, herstellten und in die Buchhandlungen brachten. Den Staatsanwalt hätte ein Verweis auf eine alte Tradition wohl kaum beeindruckt.) Der die Herausgabe verantwortete, der Verleger Elmar Faber, weiß seitdem Erstaunliches vom Umgangston und Stil in den höchsten Kreisen eines Staates zu berichten.

    Quelle:

    Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung


    Deutschlandfunk


    Freitag.de:

    Zitat

    In der Kleinstadt Guldenberg, der gleichen, in der Horns Ende spielt, geht das Leben seinen Gang, einen nicht immer sozialistischen. Die regierende Partei SED mitsamt ihren Funktionären scheint nur eine Randexistenz zu führen: in der Kleinstadt mit ihrer Sozialstruktur gelten andere Regeln als die von der Partei ausgedachten. Wie nebenbei zeichnet sich in Heins Darstellungsweise die Kontur von etwas ab, was man "Zivilgesellschaft" nennen könnte, hingen an dem verbrauchten Begriff nicht so viele Missverständnisse. Das Zivile ist keineswegs immer zivil, Korruption und Kriminalität zählen zum Kitt dieser Gesellschaft, die ein Eigenleben führt, das mit Begriffen wie Diktatur oder Totalitarismus auf keinen Fall zu fassen ist.

    Deshalb bilden die Öffnung der Berliner Mauer und die Vereinigung in der Guldenberger Welt auch keine radikale Zäsur. Nur für das Vergeltungsbedürfnis Bernhard Habers ergeben die neuen Verhältnisse ungeahnte Möglichkeiten. Der zum erfolgreichen Unternehmer aufgestiegene Haber kann nun die Leute, an denen er sich für einstige Drangsalierungen des Flüchtlings aus Schlesien rächen will, zu Tode konkurrieren, ganz legal. Die kapitalistische Normalität wird, so die ironische Wendung des Chronisten Hein, zur Verbündeten des an seinem Gekränktsein Erkrankten.

    [Haber ist eine Figur aus Landnahme]

  • Ich habe diesen Roman gern gelesen und bin sehr froh, durch die Leserundenvorschläge auf dieses Stück DDR-Literatur gestoßen worden zu sein, das mir ansonsten möglicherweise entgangen wäre.


    "Horns Ende" ist kein Buch, das man mal eben geschmeidig wegschmökern kann. Dafür sorgen zum einen die unterschiedlichen und ständig wechselnden Erzählperspektiven, in die man sich erst ein einmal hineinversetzen und aus deren Berichten man sich scheibchenweise das Geschehen und seine ProtagonistInnen zusammensetzen muss. Zum anderen bleibt auch vieles in diesem Roman ungesagt, nur angedeutet oder gänzlich offen - für meinen persönlichen Geschmack zu viele lose Fäden.


    Fasziniert hat mich die Darstellung des Gefangenseins der Figuren in Zwängen verschiedener Art; allen voran natürlich durch die politisch-gesellschaftliche Situation in der DDR, wo der Druck, sich anzupassen, und das Denunziantentum der Nazizeit nur unter anderen Vorzeichen munter weiter "gepflegt" wurden. Unter diesem Aspekt bietet der Roman scharfsichtige Einblicke in ein beklemmendes Stück Zeitgeschichte. Insbesondere das Geschehen um den abgesägten Historiker Horn, wenn auch nicht alles offengelegt wird, zeigt den Irrsinn des Überwachungs- und angestrebten Gleichschaltungssystems der DDR auf.


    Auch mir hat, ebenso wie Buchdoktor , eine kritischere Sicht der erzählenden Figuren auf das Geschehen vor 30 Jahren gefehlt, v.a. bei Thomas, dessen Perspektive ja die eines Kindes war und von dem man nun wirklich ein wenig Reflexion hätte erwarten können. Die Kapitel um Kruschkatz und Dr. Spodeck hätten auch gern zugunsten von Marlene und Gertrude Fischlinger gekürzt werden können, deren Lebensumstände und -perspektiven mich viel mehr interessiert hätten, als der Roman hier Einblick gewährt.


    Insgesamt kann ich die Lektüre des Romans allen LeserInnen, die an den Lebenswelten in einem totalitären Regime interessiert sind, nur empfehlen, auch wenn insbesondere das weitgehend offene Ende des Romans mich ein wenig unzufrieden hinterlässt.


    Interessant ist bei diesem Buch auf jeden Fall die Veröffentlichungsgeschichte, war es doch offenbar der einzige systemkritische Roman, der trotz ausdrücklichen Verbotes noch zu DDR-Zeiten (1985) bei Volk und Wissen aufgelegt wurde. Mir war bisher nicht bekannt, dass so etwas überhaupt möglich war. Auch dies wirft ein eindrückliches Licht auf die beinahe alles erfassenden Kontrollmechanismen in der DDR.


    Vielen Dank schon einmal an die anderen Teilnehmerinnen der Leserunde für eure interessanten Ausführungen und Kommentare! :wave Und wir sind bestimmt noch nicht fertig...

  • Als Mitleserin der Leserunde möchte ich Buchdoktor und Nadezhda ausdrücklich danken für ihre Ausführungen und Zusammenfassungen in diesem Rezensions-Thread. Besser hätte ich den Eindruck dieses Buches auch nicht formulieren können.


    Ich sehe eigentlich die einzelnen Splitter einer Geschichte, die kein Ganzes ergeben und meine Neugier auf die Lebensverhältnisse in der DDR eher unbefriedigt lässt. Vielleicht hat Christoph Hein sich nicht getraut deutlicher zu werden oder er hat zu viel Eigenkenntnis der Lage bei seinen Lesern vorausgesetzt. Für mich als "Wessi", die nie eigene Kontakte zu DDR-Bürgern vor dem Mauerfall und nur am Rande von beengten und bedrückenden Verhältnissen gehört hatte, bleiben die Einzelschicksale auch nach der Lektüre fern und versinken in der Geschichte, ähnlich wie Opfer im Nationalsozialismus.


    Die Stimmen derjenigen, die sich hier an diesen Sommer 1957 erinnern, gehören Personen, die keinen materiellen Mangel leiden. Essen und Kleidung scheint kein Problem zu sein. Und nur bei Gertrude Fischlinger taucht eine Wohnungsnot auf, das aber so individuell erscheint, dass man es der Lethargie Horns zuschreiben kann.


    Die ausführlichste Charakterstudie handelt von Dr. Spodeck und hat mit DDR-Verhältnissen nichts zu tun. Seine Probleme als uneheliches Kind und geförderter Student, der seinen Vater hasst und verachtet, gründen lange vor Bildung der DDR. Er genießt jetzt Wohlstand und Ansehen in der Stadt, die er aber am liebsten verlassen möchte. Seine Abneigung gegen sein fremdbestimmtes Leben hat er auf alle Menschen in seinem Umfeld übertragen und quält sich in einer unmöglichen Liebe zu seiner Angestellten. Mit Horn hat er kaum Berührungspunkte.


    Noch weniger Verbindung scheint die "verrückte" Marlene zu Horn zu haben, wenn nicht ihr persönliches Schicksal - der Verlust der Mutter im Nationalsozialismus - auf die Stimmung im Ort hinweisen würde. Ihr Vater meidet die "braven Bürger", denen er den Tod seiner Frau anlasten könnte, und fühlt sich nur in der Gemeinschaft der Zigeuner wohl, die auch von den Nazis verfolgt worden sind, aber ihre Lebensweise unverändert fortsetzen.


    Ein Fazit des Buches ist wohl, dass Denunziationen in totalitären Systemen Leben zerstören und die Gemeinschaft nachhaltig vergiften - was eigentlich eine Binsenweisheit ist. Aber vielleicht war es dem Autor damals wichtig, es seinen Mitbürgern in dieser Weise zu verdeutlichen. :gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

  • Vielleicht hat Christoph Hein sich nicht getraut deutlicher zu werden oder er hat zu viel Eigenkenntnis der Lage bei seinen Lesern vorausgesetzt.

    Ich denke auch, dass er davon ausgegangen ist, dass er seinen LeserInnen nicht grundsätzlich die DDR zu erklären brauchte, sondern einfach, so deutlich er es gewagt hat, den Finger in einige Wunden des Systems gelegt hat. Dass das für Wessis ohne näheren Bezug zu den Lebenswelten in der DDR manchmal schwer nachvollziehbar ist, kann ich mir gut vorstellen. :| Aber vielleicht hast du ja Lust und Interesse, noch andere Bücher aus der "alten" DDR zu lesen, sodass sich möglicherweise ein paar Puzzleteile sinnvoll zusammenfügen.

  • Ich sehe eigentlich die einzelnen Splitter einer Geschichte, die kein Ganzes ergeben und meine Neugier auf die Lebensverhältnisse in der DDR eher unbefriedigt lässt. Vielleicht hat Christoph Hein sich nicht getraut deutlicher zu werden oder er hat zu viel Eigenkenntnis der Lage bei seinen Lesern vorausgesetzt. Für mich als "Wessi", die nie eigene Kontakte zu DDR-Bürgern vor dem Mauerfall und nur am Rande von beengten und bedrückenden Verhältnissen gehört hatte, bleiben die Einzelschicksale auch nach der Lektüre fern und versinken in der Geschichte, ähnlich wie Opfer im Nationalsozialismus. ...

    Ob ein Roman überhaupt Realität abbilden soll? In erster Linie soll eine Geschichte funktionieren und dass tut diese m. A. durch die Leerstellen, die erst zu füllen sind. Was passierte wem und warum ... Romane funktionieren ja auch, wenn sie in einer Subkultur mit eigenem Wortschatz spielen, in der Seefahrt oder im Bergbau.

  • Ob ein Roman überhaupt Realität abbilden soll? In erster Linie soll eine Geschichte funktionieren und dass tut diese m. A. durch die Leerstellen, die erst zu füllen sind. Was passierte wem und warum ... Romane funktionieren ja auch, wenn sie in einer Subkultur mit eigenem Wortschatz spielen, in der Seefahrt oder im Bergbau.

    Natürlich erwarte ich nicht von einem Roman, dass er die Realität in jeder Hinsicht abbildet.


    Für mich funktioniert diese Geschichte nur unbefriedigend. Wir lernen die titelgebende Person viel zu wenig kennen, als dass richtig nachvollziehbar wird, warum sich Horn umgebracht hat. Bei der Klärung eines Suizids erwarte ich eine gewisse Dramatisierung der Handlung aus der der Selbstmörder letztlich keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich selber aus der Welt zu nehmen, mit der er nicht mehr zurecht kommt. Irgendwie fehlt mir das hier. Wir lernen fast alle anderen Personen besser als Horn kennen und ihre persönlichen Geschichten sind zwar auch ganz interessant, tragen aber kaum etwas zum besseren Verständnis von Horns Problemen bei.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend MZB: Darkover-Universum

  • Bei Horn durfte der Autor nicht expliziter werden. Und vielleicht ist ausgerechnet Horn, über den man im Buch am wenigsten erfährt, zum Titelgeber geworden, weil so ziemlich alle Figuren "am Ende" sind? Also nach dem Prinzip, ein Finger zeigt offen auf Horn, aber drei Finger zeigen praktisch unter der Hand auf die anderen Figuren?

  • Titel: Horns Ende

    Autor: Christoph Hein

    Verlag: Suhrkamp

    Erschienen: Januar 2003

    Seitenzahl: 272

    ISBN-10: 3518399799

    ISBN-13: 978-3518399798

    Preis: 9.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    Thomas war damals noch fast ein Kind, aber an die Ereignisse im verschlafenen Bad Guldenberg, während des Sommers 1957, erinnert er sich genau: wie er sich bei den Zigeunern verdingte und dafür von seinem Vater, dem Apotheker, bestraft wurde und wie er seine erste, schüchterne Liebe zu Elske erlebte. Aber auch andere erinnern sich: Bürgermeister Kruschkatz, Dr. Spodeck, der alteingesessene Arzt, und die sanfte Krämersfrau Gertrude Fischlinger. Und da ist auch Marlene, die nur durch den Opfertd ihrer Mutter den faschistischen Terror überlebt hat. Sie alle tragen ihren Teil bei zur Erinnerung an jenen Sommer, als Zigeuner ihr Lager mitten in der Stadt aufschlugen, als eine Untersuchungskommission vom Bezirk kam und Horn sich das Leben nahm.


    Der Autor:

    Christoph Hein wurde 1944 in Heinzendorf in Schlesien geboren. Aufgewachsen in Leipzig und Westberlin, kehrte er 1960 in die DDR zurück und arbeitet von 1961 bis 1967 unter anderem als Journalist, Schauspieler und Regieassistent. Von 1967 bis 1971 studierte er Philosophie in Leipzig und Berlin (Humboldt Universität). Danach arbeitete er zunächst als Dramaturg, ab 1974 auch als Autor der Volksbühne Berlin. Seit 1979 ist er freier Schriftsteller und seit 1992 Mitherausgeber der Wochenzeitung "Freitag".


    Meine Meinung:

    Dieser Roman begann durchaus vielversprechend, flachte dann aber im Laufe des Fortgangs der Geschichte sehr stark ab – mit anderen Worten, ich langweilte mich und kämpfte mich mühsam durch das Buch.

    Die einzelnen Protagonisten kommen jeweils getrennt zu Wort. Sie erzählen die Dinge aus ihrer Sicht. Wobei jetzt die Frage bleibt: Was ist ihnen denn eigentlich gemeinsam?

    Die einzige Gemeinsamkeit die ich festgestellt habe ist, dass sie im Jahre 1957 in einer Kleinstadt in der DDR lebten. Ansonsten sehe kaum gemeinsame Berührungspunkte.

    Die einzelnen Berichte fassen nicht wie Zahnräder ineinander, sondern laufen neben sich her, als würden sie sich nicht kennen. Zudem blieben auch die erzählenden Personen ziemlich blass. Vieles – oder genaugenommen alles – bleibt vage und eher nur an der Oberfläche. So fehlt diesem Buch, wenigstens ist das mein Eindruck, die emotionale Tiefe.

    Dieser Roman hat mich enttäuscht – bin ich doch von Hein nun wahrlich wirklich Besseres gewohnt. Der Sinn dieses Buches hat sich mir nicht erschlossen.

    Das Urteil von Lothar Baier „Ein Roman von aufrüttelnder Schönheit.“ ist einfach nur lächerlich. Von mir gibt es keine Leseempfehlung, von mir gibt es rücksichtsvolle 4 Punkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.