@ Dieter Neumann
Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch ich halte die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland (und weltweit) für latent gefährdet - allerdings aus anderen Gründen als du. Wenn Medienverlage ständig die Etats für investigative Recherche kürzen, wenn Informanten aus Angst vor staatlicher Überwachung (Stichwort Vorratsdatenspeicherung) sich nicht mehr an Journalisten wenden und wenn Großkonzerne kritische Berichterstattung beeinflussen oder unterbinden, ja, dann müssen wir uns in der Tat Sorgen machen.
Aber Walser, Sarrazin, Grass - das ist wohl ein schlechter Witz.
Sarrazin und Grass landen in den Bestseller-Listen und haben Verlage hinter ihrem Rücken, die Millionenumsätze machen. Beide werden in zu bester Sendezeit in Talkshows eingeladen, um ihre Thesen ausbreiten zu dürfen; beide sind in den Medien präsent und das Publikum stimmt ihnen mehrheitlich sogar zu. Allein Sarrazin hat für sein Buch mehr Aufmerksamkeit erhalten als die Kanzlerin mit ihrer Regierungserklärung und bei Grass sieht es derzeit ähnlich aus. Meinungsfreiheit für Leute zu fordern, die ohnehin ständig reden dürfen, ist völlig absurd. Außerdem ist ein Schlag ins Gesicht für alle jene, die wirklich keine Lobby in der Öffentlichkeit haben (z.B. Asylbewerber, Gefängnis- und Psychatrieinsassen oder Obdachlose).
Und gewiss: Es gibt einen Unterschied zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung.
Trotzdem schließt Meinungsfreiheit nicht ein, dass einem die anderen auch zustimmen müssen. Wer wie Sarrazin ein Buch mit dem Titel "Deutschland schafft sich ab!" schreibt, der muss sich nicht darüber wundern, wenn die eigenen Thesen als das bezeichnet werden, was sie nunmal sind: diffamierend, rassistisch, unwissenschaftlich. Warum ich die Aufregung über Grass für völlig gerechtfertigt halte, habe ich bereits geschrieben.
Zugespitzt würde ich sogar sagen: Viele, die unsere "Tabubrecher" vehement verteidigen und vorgeben für die Meinungsfreiheit zu kämpfen, finden es umgekehrt unerträglich, wenn andere ebenfalls von ihrere Meinungsfreiheit Gebrauch machen und es wagen, Grass und Co. zu widersprechen. Der Tabubrecher generiert offenbar mehr Sympathie als der nörgelnde Kritiker.