Muss Grass sagen, "Was gesagt werden muss" ?

  • Zitat

    Original von arter


    Massenmord unter Berufung auf das Völkerrecht? Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. Und da habe ich auch gar keine Lust mich mit juristischen Spitzfindigkeiten zu beschäftigen. Es ist Völkermord punktum.


    Welch ein Unsinn. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von magali
    Wir brauchen klare Köpfe in Konflikten, keine Schießeisen.
    magali


    Das ist ein schöner Satz, aber er wird diese verbissene Diskussion nicht entkampfen können, fürchte ich.
    Inzwischen ist erkennbar, dass der Thread sich zur Konfrontation zwischen radikal-pazifistischen und sicherheitspolitisch-militäratrategischen Positionen entwickelt hat. Jede für sich ist vertret- und begründbar, jedoch ist der Konflikt zwischen ihnen unauflösbar, wie mir diesbezügliche Erfahrungen meine ganzen bisherigen Lebens zeigen. Und das, selbst wenn die Diskutanten den besten Willen dazu mitbrächten, was sie kaum je tun. Auch hier nicht.


    Und dennoch lasst es mich einmal sagen: Als "Jung-Eule" (das ist der Spezial-Dienstgrad, den voltaire mir verliehen hat) begeistert es mich, welch breites Meinungsspektrum in diesem Forum herrscht, mit welcher Leidenschaft die Positionen (meist) auch fundiert vorgetragen werden und niemand vor harter Auseinandersetzun zurückweicht, wobei es erfreulicherweise selten persönlich beleidigend wird. Auf diese Vielfalt und die demokratische Art, in der sie hier gelebt wird, können die Eulen sehr stolz sein!


    In diesem Sinne Frohe Ostern
    wünscht allen Grass-Fans, Grass-Hassern, Christen, Juden, Muslimen, Agnostikern, Atheisten, Militärstrategen, Friedensengeln, Taktikern, Pazifisten etc.
    Euer

  • Dieter Neumann
    Irgendwie gefällt mir dein Beitrag. :wave
    Wäre prima dich mal anlässlich eines Eulentreffens (oder auch sonstwo) kennenzulernen.
    Ein Gespräch mit dir - live und in Farbe - wäre sicher sehr interessant.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von churchill


    Ich war schon um 15 Uhr in der Karfreitagsliturgie :grin


    Da ich aber nicht mehr im Dienste der Pfarrgemeinde stehe, sondern in den schnöden Schuldienst gewechselt bin, kann ich mich am Karfreitag ab und an auch mit anderen Gedichten als dem "Haupt voll Blut und Wunden" beschäftigen ;-)


    Ja, siehste, und ich bin eben in diesem Thread seit zwei Tagen auf dem Ostermarsch.
    :grin



    Dori


    eigentlich bin ich immer lieber einer Meinung mit Dir, als daß ich rummeckere.
    Aber manchmal sind die Verhältnisse halt nicht so.
    Aber es tut mir immer leid.
    :-)



    beisswenger


    vor zehn Jahren, als so etwa in dem Alter war, in dem Du jetzt bist, hatte ich in einigen Dingen auch eine andere Meinung. Aber einiges war kalr, seit ich angefangen habe, zu denken, so mit Anfang zwanzig etwa. Dazu gehört meine pazifistische Grundüberzeugung.
    Etwas später kam meine feministische Grundüberzeugung dazu. Daher würde ich NIE eine Stelle annehmen, in der ich als Mann arbeiten mß. Also, bite, kein Angebot als Produktmanager für mich.


    @solea


    wenn Du noch nicht gelesen oder gehört hast, daß man im Handumdrehen als AntisemitiIn beschimpft wird, wenn man hierzulande Israel kritisiert, dann freu Dich einfach über Dein Glück.
    Und erklär mir bitte, warum Grass und alle, die seinen Beitrag auch nur interessant finden, seit vergangenen Mittwoch als AntisemitInnen beschimpft werden. Diese völlig neue Wendung muß doch disktuiert werden.


    Grass geht es um einige Themen in seinem Gedicht. z.B. auch um die, daß man Israel endlich als Atommacht erkennt, die sich nicht an internationale Abmachungen hält. Seine Sonderrolle, die es einfordert, ohne Gegenleistung.



    newmoon


    wenn jemand angegriffen wird, soll er sich verteidigen dürfen.
    Die Mittel aber sollen verhältnismäßig sein. Wenn mich eine anbrüllt, brülle ich zurück? Oder schieße ich? Zünde ich gleich ihr Haus an? Zeige ich sie an? Oder rotte ich ihre Familie aus?



    :wave



    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • beowulf


    Ich muß noch einmal auf das zurückgreifen, was Du vor zwei Tagen geschrieben hast udn auf das ich zu flapsig geantwortet habe.


    Zitat

    Es geht in diesem Kunstwerk eben nicht um Kritik an der israelischen Regierung, sondern darum, dass behauptet wird mit dem Holocaust würde die deutsche Regierung erpresst ein U-Boot zu liefern, von dem aus Iran mit Atombomben angegriffen werden soll.


    Darum geht es in dem Gedicht nicht. Ich bezeichne die einzeln klar voneinander abgesetzten Teile zum besseren Verständnis ab jetzt als Strophe.
    Was Du meinst, bezieht sich in meinen Augen auf Strophe 5.


    Zitat:


    Jetzt aber, weil aus meinem Land,
    das von ureigenen Verbrechen,
    die ohne Vergleich sind,
    Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
    wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
    mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
    ein weiteres U-Boot nach Israel
    geliefert werden soll ...


    Zitatende



    In diesem Sätzen steht nicht, daß Deutschland erpreßt wird, ein U-Boot zu liefern. Sondern, daß ein U-Boot gekauft wird - geschäftsmäßig - und die Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus - ureigene Verbrechen, die ohne Vergleich sind - als Ausrede benutzt wird - mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert - , um zu kaschieren, daß genau mit diesem U-Boot wir, die Lieferanten, einen Krieg ermöglichen.


    Hier steht nichts von Erpressung, sondern vom Mitmachen aus Profitinteresse. Von faulen Ausreden, um zu verbergen, worum es geht. Um Profit.


    Das U-Boot ist deswegen so wichtig, weil es atomare Sprengköpfe abschießen kann.
    Ein Problem, das das israelische Militär im Moment noch nicht lösen kann, ist die Entfernung zum Iran. Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es vor allem um den Rückflug.
    Vor zwei Jahren hat die Regierung in Tel Aviv schon in Aserbaidschan vorgefühlt, ob sie im Fall eines Erstschlags gegen den Iran die dortigen Flugplätze benutzen können. Aserbaidschan hat abglehnt. Dann sah es eine Zeitlang so aus, als würde sich die Türkei dafür hergeben. Inzwischen hat sich das Verhältnis zur Türkei aber stark verschlechtert, die fallen also auch aus.
    Das U-Boot bietet neue Möglichkeiten, wahrscheinlich reichte schon, es vor die syrische Küste zu fahren?


    Darum geht es Grass. Daß mit der Lieferung des U-Boots dieser Krieg endgültig möglich wird.


    Zitat:



    ...dessen Spezialität
    darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
    dorthin lenken zu können, wo die Existenz
    einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
    doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
    ....


    Zitatende


    In den folgenden Strophen wird die Mitschuld und die Ausrede dafür imer wieder aufgegriffen. Es geht nie um Erpressung, sondern um Täuschung und zwar bewußte.
    Um die Lügen, die als Kriegsgrund vorgebracht werden.
    ...das von Beweiskraft sein will


    das ist verschwurbelt ausgedrück, der gnaze Text ist sprachlich verschwurbelt, aber trotzdem eindeutig. Und verweist auf einen WILLEN zum Krieg.
    Der Satz ist auch ein Grund für das Gebrüll der Meute.



    Schließlich noch eine Korrektur zu meiner flapsigen Aussage:
    Deutschland ist auf Platz 3 der internationalen Waffenexporteure, nicht auf Platz 2. Ich will uns keinesfalls schlechter machen, als wir sind.




    Warum sagt eigentlich niemand etwas zu den tollen Statements von Delphin?


    :anbet :anbet :anbet


    Da könnt Ihr lange suchen, bis ihr Infos über Iran zu gut komprimiert und verständlich formuliert präsentiert bekommt.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Warum sagt eigentlich niemand etwas zu den tollen Statements von Delphin?


    Ich hatte dem nichts weiter hinzuzufügen und finde es blöd, als einzigen Beitrag in einem Thread etwas zu zitieren und nur den Unterschreib-Smiley :write darunterzusetzen. :-)

  • Zitat

    Original von magali


    Warum sagt eigentlich niemand etwas zu den tollen Statements von Delphin?



    Warum soll man dazu etwas sagen? Ich kommentiere doch auch nicht die offizielle iranische Propaganda. Die Beiträge von Delphin, sind genau wie deine Beiträge Magali, an Einseitigkeit kaum zu überbieten.


    Ich vertrete dazu einen völlig gegensätztlichen Standpunkt - wahrscheinlich genauso einseitig wie ihr die euren vertretet - aber irgendwann macht es dann auch kaum einen Sinn, die hinlänglich bekannten Standpunkte immer neu zu wiederholen.


    Ich kann mit Pazifismus nun einmal nichts anfangen, toleriere aber eben schweren Herzens das es diesen Menschenschlag gibt. Auch TräumerInnen muss es geben - und es ist nun einmal das Wesen der Pazifisten, fern ab jeglicher Realität ihren unrealistischen Träumen anzuhängen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    newmoon wenn jemand angegriffen wird, soll er sich verteidigen dürfen. Die Mittel aber sollen verhältnismäßig sein. Wenn mich eine anbrüllt, brülle ich zurück? Oder schieße ich? Zünde ich gleich ihr Haus an? Zeige ich sie an? Oder rotte ich ihre Familie aus?


    Klar soll es verhältnismässig sein. Ich bewundere die Israelis für ihre doch besonnene Politik angesichts jahrelanger Bedrohung.


    Aber zurück zum Thema: Grass hätte sich seinen "Senf" sparen können, aber er steht wohl gern im Mittelpunkt...

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Marcel Reich-Ranicki hat sich zu Grass bzw. dessen Gedicht geäußert.


    http://www.faz.net/aktuell/feu…kiert-grass-11710675.html


    Marcel Reich-Ranicki bringt es mit seiner Kritik an Grass auf den Punkt und ich teile seine Angst. Denn es geht in meinen Augen hier nicht um die Iran-contra-Israel-Frage, die nur vom eigentlichen Thema ablenken soll. Grass greift eine bedenkliche Stimmung in unserem Land auf und unterstützt sie sogar. Deshalb ist er zu weit gegangen.

  • Zitat

    Original von magali
    Warum sagt eigentlich niemand etwas zu den tollen Statements von Delphin?


    Mir gefallen sie (wie schon geschrieben) auch sehr gut :wave :anbet ... aber bei der teilweisen sehr hohen Post-Dichte geht manches (leider) schnell unter.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Jetzt war ich wegen MRR in der FAZ und habe weiter vorne diesen Artikel gefunden, der mir wirklich Angst macht:


    Irans Atomprogramm: Die Zeit läuft ab


    Zitat

    Israel werde nicht bis zum letzten Moment abwarten, ob Sanktionen und Diplomatie eine Alternative zu einem Präventivschlag bieten.


    Zitat

    Barak hat insbesondere in Berlin betont, dass Luftangriffe auf ausgewählte Ziele wirksam seien und ein iranisches Kernwaffenprogramm um drei bis vier Jahre zurückwerfen würden. Er glaubt, dass die politischen Kollateralschäden in der arabisch-muslimischen Welt für den Westen „begrenzt“ wären. Barak wies darauf hin, dass je weiter die unterirdische Verbunkerung der Nuklearanlagen in den Bergen vorankomme, Israel um so mehr weichere Oberflächenziele angreifen müsste. Israel sei fähig und notfalls entschlossen, kritische Punkte in Irans industrieller und militärischer Infrastruktur zu zerstören.


    Weichere Oberflächenziele? "Wenn Ihr uns jetzt nicht sofort helft, einen Erstschlag durchzuführen, dann müssen wir leider später um so mehr Menschen töten." Widerlich.


    Hier werden wir wieder vor ein falsches Dilemma gestellt: "Entweder schlagen wir sofort zu = wenig Tote, oder wir schlagen später zu = mehr Tote". Dabei wird schon gar nicht mehr die Möglichkeit gesehen, dass man auch gar nicht zuschlagen könnte. Und dann wird wieder Zeitdruck gemacht.


    Obama hat übrigens gestern dem Iran signalisiert, dass er ein ziviles Atomprogramm akzeptieren könne, wenn der Iran nachweist, dass er keine Atombombe baut:


    Obama signalisiert Iran Kompromissbereitschaft

  • Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass die Explosion einer Atombombe mit das Schlimmste wäre, was passieren könnte. Und ich hoffe, dass die Geschichte dies allen Beteiligten ständig vor Augen hält.


    Da ich an das Gute im Menschen glaube, obwohl ich weiss, dass es unheimlich viel Schlechtigkeit auf der Welt gibt, hoffe ich, dass Grass mit seinem "Gedicht" nur wachrütteln wollte. Denn: egal wer eine solche Waffe in Händen hält (oder meint diese Waffe besitzen zu müssen) , sollte verantwortungsvoll damit umgehen können.

  • Delphin


    ja, eben. Mir auch.
    Und danke für den Link wegen Obama. Das war's, was ich gestern meinte.



    Zitat

    Original von Voltaire
    Ich kann mit Pazifismus nun einmal nichts anfangen, toleriere aber eben schweren Herzens das es diesen Menschenschlag gibt. Auch TräumerInnen muss es geben - und es ist nun einmal das Wesen der Pazifisten, fern ab jeglicher Realität ihren unrealistischen Träumen anzuhängen.


    Voltaire


    manche Leute haben kleine Träume. Die führen Krieg.
    Andere Leute haben große Träume. Die suchen nach anderen Lösungen.




    :wave


    magali




    edit: die Rechtschreibregeln angewendet :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • [quote]Original von magaliAndere Leute haben große Träume. Die suchen nach anderen Lösungen.



    Und es muss jetzt eine Lösung gefunden werden, und ein paar Leute müssen aufwachen!
    Dass das keine schnell-schnell-Lösung sein kann, ist auch klar. Verdienen doch viel zu viele Leute viel zu viel Geld am Waffenhandel.
    "Der Krieg ist der Vater aller Dinge - der Konsum die Mutter aller Dinge." (frei nach Heraklit)


    Kirsten :wave

  • Zitat

    Original von Kirsten Slottke
    Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass die Explosion einer Atombombe mit das Schlimmste wäre, was passieren könnte. Und ich hoffe, dass die Geschichte dies allen Beteiligten ständig vor Augen hält.
    .


    Offenbar nicht. Und es erschreckt, nein es entsetzt mich, dass ein Atomschlag als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln schon wieder hoffähig geworden ist. Nicht nur das, sondern dass es vielleicht sogar hoffähiger ist, als es im kalten Krieg jemals war.


    Wir alle sollten uns vor Augen führen, dass eine solche Katastrophe das Ende der Menschheit als zivilisierte Spezies unaufhaltsam einläuten würde.

  • Zitat

    Original von arter


    Offenbar nicht. Und es erschreckt, nein es entsetzt mich, dass ein Atomschlag als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln schon wieder hoffähig geworden ist. Nicht nur das, sondern dass es vielleicht sogar hoffähiger ist, als es im kalten Krieg jemals war.Wir alle sollten uns vor Augen führen, dass eine solche Katastrophe das Ende der Menschheit als zivilisierte Spezies unaufhaltsam einläuten würde.



    Da gebe ich dir vollkommen Recht. Ich ging bei meiner Aussage von den Mit-Diskutierern hier im Forum aus und von deren gesundem Menschenverstand.
    Dass leider nicht jeder Mensch über diese Weitsicht verfügt weiss ich, und allein dieses Wissen ist erschreckend genug.


    LG
    Kirsten

  • Schön, daß dieses Forum nicht vor dieser Diskussion zurückschreckt.
    Unabhängig davon, wie man zu der von Grass geäußerten Meinung steht, ist aus meiner Sicht bemerkenswert, wie durch dieses Gedicht die Schicht offizieller Solidaritätsbekundungen der deutschen Politik und der Massenmedien mit Israel durchstoßen, und die massiven Meinungsunterschiede in der Bevölkerung freigelegt wurden.
    Als Frau Merkel 2009 in Israel faktisch Beistandsgarantien für Israel aussprach, wie weiland Wilhelm II gegenüber Österreich-Ungarn, hat sich mir durchaus die Frage gestellt, wie viele deutsche Wähler dies eigentlich mit unterzeichnen würden.
    Es gibt in Deutschland einige Politikbereiche, in denen durchaus weitgefächerten Überzeugungen der Öffentlichkeit eine geradezu blockparteienhafte Einheitsmeinung der Traditionsparteien CDUCSUFDPSPDGRÜNE sowie der Massenmedien gegenübersteht. In diesen Politikbereichen gibt es in Politik und Medien allenfalls einmal Kritik an Detailfragen, grundsätzliche Kritik ist jedoch offensichtlich weder erwünscht noch zulässig.
    Neben den Solidaritätsbekundungen gegenüber Israel gehören dazu z.B. auch die EU und der Euro. Es ist doch bezeichnend, daß, obwohl der Euro gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchgedrückt wurde, und wir dank dieser Entscheidung heute alle bis zum Hals in der Schei**e stecken, in Politik und Massenmedien nie die Frage gestellt wird, ob das politische System versagt hat und der gemeine Bürger Recht hatte.
    Hier offenbart sich eine im Grunde antidemokratische Grundhaltung unserer Politik- und Medieneliten, die den Bürgern misstrauisch gegenüberstehen, als sei der Aufstieg Hitlers nicht wesentlich ein Versagen gerade dieser Eliten gewesen.


    Was Israel betrifft, wird z.B. nicht einmal die Frage gestellt, warum Merkel gemeinsame Kabinettssitzungen mit Leuten hat, mit denen man diese nie hätte, wenn sie z.B. aus Österreich oder Dänemark kämen. Israels Außenminister Lieberman ist nach europäischen Maßstäben ein Neofaschist, gegen den ein Haider geradezu liberal wirkte. Israels Innenminister ist Mitglied der politischen Partei eines Rabbis, der sich von den Mullahs in Teheran nur in der Religion, aber nicht in der Geisteshaltung unterscheidet.
    Diese Truppe hat es geschafft, selbst die Beziehungen zu freundlichen Staaten wie der Türkei und Jordanien nachhaltig zu ruinieren.
    In dieses selbstgemachte Bett mag sich Israel gerne legen. Verantwortung gegenüber den Opfern des Holocausts bedeutet nämlich durchaus nicht, daß wir Deutschen in Nibelungentreue zu jeder noch so aggressiven und fehlgeleiteten israelischen Politik zu stehen haben.

  • @ magali


    Ich halte das nach wie vor für Unsinn. Was viele vergessen: Günter Grass (gemeinsam mit tausend andere Intellektuelle) hat sich in der Vergangenheit schon israelkritisch geäußert, ohne dafür auf den Deckel zu bekommen. Warum wohl? Weil die Kritik in der Form meist sachlich formuliert wurde.


    Noch einmal: Der Ton macht die Musik. Das Gedicht, über das sich derzeit so gestritten wird, geht weit über eine rationale Kritik hinaus. Israel wird darin unterstellt, es würde einen nuklearen Anschlag auf Iran in Erwähnung ziehen, der dessen Bevölkerung auslöschen könnte. Weiterhin wird Israel einseitig als Gefahr für den Weltfrieden dargestellt.


    Beides entbehrt jeglicher Grundlage. Das Gerede vom israelischen Erstschlag ist eine Grass'sche Erfindung.


    Kein Wort fällt in dem Gedicht darüber, dass die Provokation eindeutig von seiten der iranischen Herrscher ausging, die wiederholt damit drohen, Israel zu vernichten. Kein Wort darüber, dass auch und in erster Linie Iran den Weltfrieden bedroht, wenn es mit dieser Rhetorik nicht aufhört. Welcher Staat auf dieser Erde würde nicht sensibel reagieren, wenn die eigene Existenz von anderen in Frage gestellt wird?


    Anstatt sich abwägend mit der komplexen Situation im Nahen Osten auseinanderzusetzen, stellt Grass Israel als Hauptschuldigen dar. Deswegen wird er völlig zu Recht von verschiedenen Seiten attackiert. Wenn man sich die Reaktionen genau anschaut, wird man auch feststellen, dass bei aller Verdammung des Gedichts der Antisemitismus-Vorwurf bisher nur von wenigen Einzelpersonen (z.B. --oh, Wunder-- Henryk M. Broder) geäußert wurde. Nicht einmal der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland nannte Grass einen Antisemiten.


    Nur weil ein verschwinded geringe Minderheit von Menschen mit mal mehr und mal weniger Recht mit dem Antisemitismus-Begriff um sich schmeißt, soll es also ein gesellschaftliches Tabu geben, die israelische Politik zu kritisieren?


    Dieses Tabu existiert nicht. Weder in Deutschland, noch irgendwo sonst auf der Welt.


  • Dieser bemerkenswerte Beitrag motiviert mich, das Thema ebenfalls noch einmal - vor dem Hintergund der bisher hier leidenschaftlich vorgetragenen Positionen - aufzunehmen.


    Zunächst: Immer wenn der Künstler Grass sich politisch äußert, leidet seine Kunst. Mit Verlaub: Das konnte Walther von der Vogelweide, in dessen Tradition er sich vermeint, besser. Seine „Gedicht“-Zeilen hätte er ohne Wertverlust so lang ausdehnen können, wie die Druckseite es erlaubt. Er nennt es „Kunstprosa“, ich nenne es gestelzte Pseudopoesie. Warum kann ein Künstler nicht einfach seine Meinung sagen, wie jeder andere auch, etwa in Form eines Essays? (Es sei denn, seine Kunst reichte aus, um die Überzeugungskraft der Gedanken zu befördern.)
    Also, wenn es um die Auseinandersetzung mit der Grass’schen Meinung geht: Nur keine Scheu! Man begeht, wenn man ihn kritisieren will, kein Sakrileg, nur weil er seine Druckzeilen nicht vollständig genutzt hat.


    Nun zur Sache: Gedanklich bewegt sich Grass hier in der Nachfolge von Martin Walser, der bereits vor einigen Jahren sich darüber beklagte, dass man in Deutschland nicht mehr seine Meinung sagen dürfe, wenn sie nicht im Einklang mit der political correctness stehe. Recht haben sie beide. Diese von Politik und Presse verordnete Gedankengängelung ist zum Kotzen, auch wenn sie die Folge furchtbarer Verbrechen ist!


    Man muss also die Politik des Staates Israel verurteilen dürfen, ebenso wie die Larmoyanz jüdischer Verbandsfunktionäre, die immer an der Klagemauer stehen, wenn auch der leiseste Hauch von Äußerungen ihnen ins Gesicht bläst, die ihnen ihre schmerzlich erworbene Meinungsführerschaft streitig machen. In die Reihe der Leidtragenden solchen verordneten Denkens gehört auch – bei aller berechtigten Kritik an einzelnen unerträglichen Thesen, in die er sich versteigt – Thilo Sarrazin. Ganz nach dem Motto von Presse, Funk und Fernsehen: Schreit ihn tot, damit er uns nicht unsere mühsam aufrecht erhaltenen Gedankenpfründe nimmt. In der Sache, dass man Israel auch die unbequeme Wahrheit sagen dürfen muss, hat Grass völlig recht. Dazu gehört zweifellos auch die Kritik an dem Besorgnis erregenden Säbelrasseln dieser mittelöstlichen Atommacht.


    Allerdings hätte ich mir – was die gedankliche Gegenüberstellung des Staates Israel mit dem Iran anbetrifft – etwas mehr Differenzierung gewünscht. Der iranische Wortführer ist mitnichten nur ein Maulheld. Er ist gefährlich, noch (!) nicht einmal wegen der bislang unbewiesenen atomaren Aufrüstung, sondern allein – und das macht den Unterschied aus – wegen der Tatsache, dass aus Sicht der iranischen Machhaber nicht nur ein Regime beseitigt, sondern ein ganzer Staat (Israel) ausgelöscht werden soll. Das darf man keinesfalls unter den Teppich kehren, ist es doch eine fürchterliche Bedrohung eines ganzen Staates und seines geschundenen Volkes, das seit seinem Bestehen um seine nackte Existenz kämpfen muss.


    Ich fasse zusammen: Es ist durchaus zulässig, dass Grass seine Ängste äußert, trotz mancher gedanklicher Undifferenziertheit. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn den Nobelpreisträger nicht mehr die Selbstverliebtheit dazu verleitete, politische Äußerungen auf das Podest erhabener Kunst sublimieren zu wollen.