Kurzbeschreibung
Ein großer, über drei Generationen reichender Schicksalsroman vor der Kulisse eines mondänen Seebades. London, 1860. Die Schwestern Mildred und Daphne träumen von einem besseren Leben in Australien. Aber ihr Schicksal erfüllt sich bereits in der Hafenstadt Portsmouth. Dort verlieben sich beide in den Arzt Hyperion, der die zarte Daphne heiratet, aber auch Mildreds dunkler Anziehung nicht widerstehen kann. Als Daphne spurlos verschwindet, gerät Mildred kurzzeitig unter Mordverdacht. Doch allen Intrigen zum Trotz lässt sie sich nicht unterkriegen und macht die Familienvilla zum erstklassigen Grandhotel.
Über die Autorin
Anna Helmin, geboren 1972 in Lübeck, ist als Anglistin in der Erwachsenenbildung tätig und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Schleswig-Holstein. Auf zahlreichen Spaziergängen in Portsmouth - ihrer Lieblingsstadt - entstand die Idee zu diesem Roman.
Meine Meinung
Wie soll man bloß einer so großartigen, 50 Jahre umspannende Geschichte mit einer kleinen Rezension gerecht werden? Wie all das in wenige Worte zusammenfassen, was einem beim Lesen bewegt, zornig gemacht und zu Tränen gerührt hat. Wie all die so lebensecht gezeichneten Figuren mit ihren Licht- und Schattenseiten beschreiben, ohne zu viel von der Geschichte vorweg zu nehmen. Wie das Gefühl beschreiben, das nach dem Umschlagen der letzten Seite zurückbleibt? Selten ist mir der Einstieg in eine Rezension so schwer gefallen wie bei diesem Buch, allein aus der Sorge, mit meiner Rezension nur ein Bruchteil all dessen beschreiben zu können, was diese Perle von Geschichte ausmacht.
Die zentrale Figur in Anna Helmins Mondrose ist die aus einfachen Londoner Verhältnissen stammende Mildred, ein Kind Whitechapels, das mit ihrer Schwester Daphne in Australien ihr Glück machen will. Die beiden stranden jedoch in Portsmouth und lernen durch weniger glückliche Umstände den wohlhabenden Arzt Hyperion kennen und lieben. Mildred sieht sich schon als Herrin von Mount Othrys, des herrschaftlichen Familiensitzes, doch es ist nicht sie, die das Herz des zurückhaltenden Arztes erobert, sondern ihre jüngere Schwester Daphne. Mildred kann diese Zürückweisung nur schwer ertragen, findet sich aber mit der Eheschließung der beiden ab. Sie zieht als Gesellschafterin ihrer Schwester nach Mount Othrys und übernimmt kurz danach die Herrschaft im Haus. Bis auf die mit im Haus lebende Großmutter Nell hat niemand ihr etwas entgegen zu setzen. In der sicheren Überzeugung, alle Welt sei ihr etwa schuldig, macht Mildred in den folgenden Jahren konsequent und rücksichtslos aus der Familienvilla eines der mondänsten Hotels Portsmouth, das ihr Lebensinhalt und für die Familie damit Fluch und Segen zugleich wird.
Drei Generationen und rund 50 Jahre umfasst die Geschichte der Familien Weaver, March und Ternan, an deren Spitze, die fürchterliche, streitbare und gnadenlosen Mildred steht, die nicht begreifen will, dass Leidenschaft nichts mit Liebe zu tun hat und dass sich das Strahlen in den Augen anderer Menschen nicht mit Geld kaufen lässt. An ihr habe ich mich während des Lesens oft aufgerieben, denn sie hat es mir alles andere als einfach gemacht, auch gute Seiten in ihr zu entdecken. Dennoch hätte ich sie nicht anders haben wollen, denn ich liebe Figuren, die eine echte Herausforderung an die eigenen Grenzen darstellen und mit denen man sich messen muss. Mildred ist jedoch alles andere als schwarz-weiß gezeichnet, denn man begreift als Leser immer, warum sie so handelt, wie sie handelt auch wenn man ihr mehr als einmal Grenzen aufzeigen will.
Häufig passiert es in Büchern, dass alle anderen Figuren in den Hintergrund treten, wenn die Hauptprotagonistin so dominant ist, doch Anna Helmin gelingt es mühelos, allen anderen Figuren, die im Laufe dieser 50 Jahre über Heirat oder Geburt den Kreis der Familie vergrößern, neben Mildred einen besonderen Platz in der Geschichte und in den Herzen der Leser zu geben. Sehr ans Herz gewachsen sind mir der Deutsche Einwanderer Victor sowie der Physiker Horatio, eine Figur aus der zweiten Generation, ebenfalls Protagonisten mit Licht und Schatten aber nie ohne Herz und Liebe, was im Übrigen für alle Figuren dieses Buches gilt, die einzeln zu beschreiben den Rahmen dieser Rezension sprengen würde.
Liebe ist eines der großen Themen in Anna Helmins Familiensaga. Liebe zwischen Eltern und Kindern, bedingungslose Liebe zwischen Mann und Frau, bedingungslose Liebe von Kindern zu ihren Eltern. Falsch verstandene Liebe, Gefühle, die für Liebe gehalten werden, aber keine Liebe sind. Der Wunsch geliebt zu werden und das Scheitern, weil das Gegenüber diesen Wunsch nach Liebe aus den verschiedensten Gründen nicht erfüllen kann. Anna Helmins Figuren machen schwere Zeiten durch, geraten in Strudel, die sie immer weiter in die Tiefe ziehen, erleben das Glück und im Gegenzug das Scheitern. Sie fallen, stehen wieder auf und manchmal, ja manchmal bleiben sie auch liegen, weil die Kraft zum Aufstehen nicht mehr reicht. Es ist aber kein finsteres Buch, das die Autorin geschrieben hat, sondern eines, das immer wieder Lichtblicke bietet und in den dunkelsten Stunden ein kleines Flämmchen der Hoffnung leuchten lässt.
Über all den familiären Verwicklungen kommt aber auch der historische Kontext nicht zu kurz, denn über den Aufstieg der Familien erlebt man auch die industriellen Veränderungen mit, die diese Epoche und vor allem auch Portsmouth und Southampton geprägt haben: Den Ausbau der Eisenbahn und des Gasnetzes, das langsame Verschwinden von Schiffen aus Holz, die ersten Automobile bis hin zum Bau der Titanic, sowie die revolutionären Neuerungen auf dem Gebiet der Medizin: neuartige Operations- und Desinfektionstechniken und die aufkommende Emanzipation und Suffragettenbewegung. Die Protagonisten sind Teil dieser Entwicklung, sodass die historischen Ereignisse hier nie einfach nur als Kulisse dienen sondern fester Bestandteil der Geschichte sind.
Anna Helmin hat in wunderbarer und poetischer Sprache ein Buch über Mütter und Töchter geschrieben, über Söhne und Väter. Über das Leben selbst, das immer seinen eigenen Weg wählt, so sehr wir auch versuchen, mit unseren eigenen Plänen dagegen zu halten. Ein Buch, das vor Leben buchstäblich birst, in dem geliebt, gelitten und gehasst wird. Ein Buch, in dem Gerüche, Geräusche und Gefühle so plastisch dargestellt werden, dass man sie förmlich mit Händen greifen kann.
Wund habe ich mich gefühlt nach dem Umschlagen der letzten Seite, aufgerieben, müde und unendlich erschöpft. Unendlich traurig, weil ich mich von den Protagonisten trennen und sie ihre eigenen Wege gehen lassen musste. Aber auch beseelt von der Freude und dem Leid, dass ich mit ihnen geteilt habe und unendlich glücklich, dass Anna Helmin ein so wundervolles Buch geschrieben hat, das ich als echtes Geschenk an die Leser empfinde und das es geschafft hat, mich aus einem lange andauernden Lesetief zu reißen.
Das Buch ist derzeit nur als Club-Ausgabe erhältlich. Wann die Buchhandelsausgabe erscheint, weiß ich leider nicht. Die ISBN trage ich nach, wenn es soweit ist.