Marit Kaldhol: Allein unter Schildkröten [ab 14]

  • Marit Kaldhol: Allein unter Schildkröten
    mixtvision Verlag 2012. 136 Seiten
    ISBN-13: 978-3939435471. 12,90€
    Vom Verlag empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren
    Originaltitel: sokeord: ayotzintli
    Übersetzerin: Maike Dörries


    Die Autorin
    Marit Kaldhol arbeitete einige Jahre als Lehrerin und begann dann ihre künstlerisch-kreative Tätigkeit als Schriftstellerin. 1986 erschien ihr erstes Kinderbuch „Abschied von Rune“, das bisher in zehn Ländern verlegt und mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. 2010 erhielt Marit Kaldhol für „Allein unter Schildkröten“ den Literaturpreis des norwegischen Kultusministeriums.


    Textauszug
    ::: 6. Mai, 03:10 Uhr
    Unmöglich, einzuschlafen, unmöglich, wach zu bleiben. Die Zeit in meinem Körper und die äußere Zeit stimmen nicht mehr überein. Bin heute schon wieder nicht zur Schule gegangen. Keiner ruft an, keiner merkt, dass ich nicht da bin.
    :::


    Verlagstext
    Mikke steht kurz vor dem Abitur. Nach außen wirkt er wie ein ganz normaler Teenager. Er hat eine Freundin, engagiert sich für die vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten und kümmert sich aufopfernd um Sverre, der am Down-Syndrom leidet. Doch was wirklich in Mikke vorgeht, ahnt niemand in seinem Umfeld. Er zieht sich immer mehr zurück. Bis er keinen Ausweg mehr sieht ...
    In kurzen Gedanken- und Gefühlsfragmenten schreibt die mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Norwegerin Marit Kaldhol über einen Jungen, seine Depression und die Reaktionen seines Umfelds.


    Inhalt
    Kein Abschiedsbrief von Mikke
    Mikke ist tot - und als Leser steht man ebenso hilflos vor der Situation wie Mikkes Eltern und der neue Partner der Mutter. Mikkes Tagebucheinträge zeigen, dass er oft nachts wach war und sich im Internet über Meeresbiologie informierte. "Der Mensch ist das einzige Wesen, das in der Lage ist, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, das sich bewusst ist, dass wir eine reelle Wahl haben.", war einer der nächtlichen Gedanken Mikkes. Meeresschildkröten bildeten die besondere Verbindung zwischen Mikke und dem geistig behinderten Sverre, den Mikke ehrenamtlich betreute. Außer den Eltern nehmen auch Sverre und Siri, die eine kurze Beziehung zu Mikke hatte, in ihren Texten sehr persönlich Abschied von dem Neunzehnjährigen.


    Fazit
    Marit Kaldhol, die bereits mit Abschied von Rune den Tod eines Kindes in einem Kinderbuch darstellte, vermittelt mit Kurztexten der Hinterbliebenen die Hilflosigkeit, die der Selbstmord eines Familienangehörigen hinterlässt.

  • Ich habe es durch Zufall in Leipzig auf der Buchmesse dieses Wochenende entdeckt, spontan mitgenommen und dann in einem Rutsch gelesen.
    Ich kann nicht unvoreingenommen urteilen, denn wenn man im eigenen Umfeld jemanden durch Suizid verloren hat, verdreht sich der Blickwinkel durchaus. Mir gefiel die Sprache von Marit Kaldhol, ihre kurze und knappe prägnante Sicht der Dinge. Ich fand es wunderbar, dass sie in einem Buch, dass für Jugendliche gedacht ist, das typische Happy-End oder die 08/15-Erklärung für schlimme Geschehnisse weg gelassen hat. Denn beides gibt es im wahren Leben - und eben leider oft bei Suizidfällen - nur sehr selten.
    Mikkes Sicht der Dinge im ersten Teil ist recht kalt und hilflos. Er kann sich selbst und seine Umwelt nicht zusammenfügen und hat schließlich auch keine Kraft mehr, es weiter zu versuchen. Im zweiten Teil bekommt der Leser mit der Sicht der Angehörigen und Freunde harten Tobak präsentiert und das wird es ihm hoffentlich schwer machen, das Buch einfach als gelesen beiseite zu legen.
    Ich für meinen Teil bin beeindruckt und berührt - und nach dem Lesen auch ein kleines bißchen getröstet, auf eine sehr eigene und merkwürdige Weise.