Fania Fénelon: Das Mädchenorchester in Auschwitz
Die Parodie von einer Kapelle zieht vorbei, spielt einen Marsch so lustig wie Tiroler und lässt an eine Brotzeit mit kühlem Bier im Schwarzwald denken. Dreihundert Meter ungefähr trennen uns von dem Platz, auf dem wir morgens und abends unser seltsames Konzert geben. Rechts und links entlang des Weges sind Baracken, vor denen die Häftlinge pünktlich zum Appell im strengen Stillgestanden auf den Befehl zum Abmarsch warten, der erst gegeben wird, wenn wir an unserem Platz angekommen sind. Der doppelte Hass dieser gequälten Menschen, an denen unsere "Parade" vorbeikommt, bedrückt mich schmerzlich. Ich weiss nicht einmal, ob diese Frauen uns sehen, ich wage nicht, sie anzuschauen, aber ihre Blicke sind spürbar - sie stechen wie tausend Nadeln und gehen unter die Haut.
Eins, zwei, sknadiert Almas Taktstock; eins, zwei ... drei ... vier ... befehlen die Kapos, und der Vorbeimarsch beginnt. Sie kommen aus allen Gassen und Wegen und marschieren an uns vorbei. Jetzt wage ich es, sie anzusehen. Ich zwinge mich dazu, ich muss mich daran erinnern können - denn später werde ich Zeugnis davon ablegen!
Dieser Beschluss wird Gestalt annehmen und mich bis zum Ende durchhalten lassen.
Im Lager Auschwitz-Birkenau gab es ein Orchester, das ausschliesslich aus jungen Frauen bestand und dessen Existenz der eitlen Idee des Lagerkommandanten zu verdanken war (analog dem bekannten Männerorchester von Auschwitz).
Dirigent des Orchesters war Alma Rosé, Nichte des Komponisten Gustav Mahler, Jüdin. Sie verlangte von den Mitgliedern des Ensembles - Deutsche, Franzosen, Belgier, Russen, Polen, Ungarn, Griechen - äusserste Disziplin und hervorragende Leistung für ihr musikalisches Wirken. Den Über- lebenskampf dieser Gefangenen schildert Fania Fénelon, eine der wenigen Überlebenden, Halbjüdin, Französin, Preisträgerin des Conservatoire de Paris.
Differenziert beschreibt sie die Pflichten des Orchesters, die Hierarchie der Häftlinge, die Moral, die Monotonie, die erinzelnen Phasen der Erniedrigung bis hin zur Entmenschlichung, ihren eigenen Kampf gegen Vorurteile, die Ansätze von Widerstand.
Einfühlsam beobachtet die Autorin die zwischenmenschlichen Beziehungen, erkennt die Umwandlung der menschlichen Charaktere unter Todesangst und bestialischen Bedingungen zu Hyänen, Helden, Liebenden. Sie orchestriert für das so ungewöhnlich zusammengesetzte Orchester Werke von Beethoven, Suppé, ja sogar Mendelssohn zu Konzerten für die SS-Offiziere, um so seine Existenz zu sichern. Ihre kreative Kraft und ihr Mut, gewonnen aus der Kunst, gibt sie weiter an die hilflos Ausgelieferten.
Mädchen sind es, 16- bis 20jährige, deren Empfindungen sie teilt, wenn sie morgens und abends Marschmusik spielen müssen zum Ausmarsch der Arbeitskommandos unter den stinkenden Rauchschwaden. Wenn der Lagerkommandant nach einer "Selektion" und Dr. Mengele zwischen zwei "Versuchen" Schumann und Puccini hören wollen - zum Abreagieren. Wenn sie bis zur totalen Erschöpfung fürs Galakonzert zum Himmler-Empfang proben. Und wenn sie bei Neuankommenden, deren direkter Weg zum Gas führt, ihre Eltern erkennen ...
Ohne Haß sagt Fania Fénelon: "... später begreife ich, daß auch das eine Art Butterbrot ist: eine Scheibe Musik zwischen zwei Scheiben Elend."
fanoa ist eine ganz normale junge frau. mit dem "makel", halbjüdin zu sein.
mit einfachen worten und vielleicht gerade dadurch so ergreifend schildert sie ihre zeit in auschwitz, beschreibt, wie sich menschen unter solch - ja, hier fehlt mir jetzt ein wort... - furchtbaren? unfassbaren? - sagen wir: extremen bedingungen verändern, wie gute und schlechte seiten zutage kommen und alle in dieser gemeinschaft nur ein ziel haben: überleben.
isbn: 3423017066