Regional-/Provinzkrimis & Co.

  • In einigen Rezensionen zu dem o. a. Genre flammen, wie ich sehe, immer mal Diskussionen auf, ob es sich wirklich um Regionalkrimis (z.B. bei den Nele-Neuhaus-Büchern) handele oder bei anderen Autoren gar, ob es überhaupt Krimis seien. Beides wage ich nicht zu kommentieren, steure hier aber (schmunzelnd) eine Geschichte bei, die ich selbst erlebt habe:
    Auf einem nordfriesischen Eiland traf ich einen alten Bekannten wieder, der ein paar Bücher, allesamt mit norddeutsch-regionalem Bezug, veröffentlicht hat. Im Augenblick ist er dort der ‚Inselschreiber der Saison’. Einen bescheidenen Vorschuss des Tourismusvereins in der Tasche, bewohnt er ab sofort bis Oktober mietfrei ein kleines Reetdachhäuschen mit Meerblick. Seine Aufgabe, sagte er fröhlich, bestehe darin, eine Kriminalgeschichte, die er schon fertig auf dem USB-Stick mitgebracht habe, umzuschreiben und ‚in die Insel einzupassen’. Das sei so eine Art ‚Passepartout-Plot’, lachte er dabei verschmitzt.
    Auf der Fähre zurück zum Festland überfiel mich der Verdacht, soeben vielleicht etwas über die Genesis dieser Art von Literatur gelernt zu haben ... :lache

  • da gibt es sicherlich solche und solche :gruebel


    Seit das Genre Regionalkrimis boomt, dürfte so jede Region in Deutschland daran interessiert sein, einen eigenen Kommissar, eine eigene Krimireihe vorweisenzukönnen. Und ist ein einheimischer Autor dummerweise nicht zur Hand, werden halt welche importiert.


    Ursprünglich scheinen mir jedoch die Autoren von Regionalkrimis eher ihrer (Wahl)Heimat ein Denkmal setzen zu wollen: hier ist die Landschaft besonders schön, die Menschen (vor allem der Kommissar!) besonders kauzig und die Regionalgeschichte bietet sicherlich auch so manch ein Ereignis, dass sich in den Plot eines Krimis einbauen lässt.


    Die Grenze zu einem Nicht-Regionalkrimi ist sicherlich schwer zu ziehen, denn irgendwo müssen die Geschichten ja spielen. Juretzka zum Beispiel schreibt für mein Empfinden keine Regionalkrimis, obwohl der Ruhrpott entscheidend zum Charme seiner Romane beiträgt.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ist nicht genaugenommen jeder Krimi auch ein Regionalkrimi? Es sei denn die Krimis spielen in mehreren Regionen. Sind das dann Überregionalkrimis oder Mehrregionenkrimis? Fragen über Fragen..... :gruebel

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Ist nicht genaugenommen jeder Krimi auch ein Regionalkrimi? Es sei denn die Krimis spielen in mehreren Regionen.


    Nein, Regionalkrimis spezifizieren sich dadurch, daß sie eine vorhandene Örtlichkeit kleineren oder größeren Ausmaßes relativ genau beschreiben. Es gibt aber eine ganze Reihe Krimis, die eben an fiktionalen Orten angesiedelt sind - das sind definitiv keine Regionalkrimis, selbst wenn der Kommissar den Ort nicht verläßt. Ansonsten wird "Regional" wohl mit Deutschland oder dem deutschsprachigen Raum abgedeckt - habe noch nirgends von einen "Regionalkrimi" aus Paris oder London gelesen...

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Léo Malet hat mir seinen Nestor Burma-Krimis Paris-Krimis geschrieben, es gibt auch Island-Krimis und Südstaatenkrimis. Dexters Inspector Morse-Krimis spielen um Oxford, mit genauen lokalen Beschreibungen. Hillermans Navajo-Krimis sind ziemlich genau zu lokalisieren, die meisten Sjöwall-Wahlöö spielen in Stockholm, es gibt Chicago-Krimis, ich erinnere mich auch schwach an eine Reihe, die in Minneapolis-St. Paul spielt. Und Dutzende mehr.


    Die deutschen Regional - und Lokalkrimis kommen einer vielleicht eher als Heimatliteratur vor, weil wir in diesem Land hier leben.
    Oben angeführte Anekdote spricht übrigens nicht nur gegen Lokalkrimis, sondern im gleichen Maß gegen die 'Stadtschreiberei'. Auch eine neue Pest.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Léo Malet hat mir seinen Nestor Burma-Krimis Paris-Krimis geschrieben,


    Ich wollte nicht behaupten, daß es keine Paris-Krimis gäbe.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Genaugenommen ist mir die Unterscheidung "Regionalkrimi - Nichtregionalkrimi" eh völlig wurscht.


    Ich persönlich unterscheide eh nur zwischen "guten" und "schlechten" Krimis, wobei diese Unterteilung natürlich noch differenzierter vorgenommen werden kann. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • :grin




    LeSeebär


    ging auch eher in Richtung Lesetip. Malet ist eine Entdeckung wert, einige Abenteuer von Nestor Burma gibt es auch als Comic, wie das vor Jahr und Tag mal hieß. Graphic novel zu deutsch. Ich habe einen von Tardi. In der Form gefallen sie mir fast noch besser.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Es mag arrogant klingen, aber mir scheint, viele Leser sind bereit, qualitative Abstriche für das wohlige Gefühl zu machen, dass der Kommissar durch die Fußgängerzone schlendert, durch die man selbst gerne spaziert, dass er Sehenswürdigkeiten besucht, die man auch immer gerne auswärtigen Gästen zeigt und dass man lokale Spezialitäten und Ausdrücke sofort erkennt.


    Zitat

    Nein, Regionalkrimis spezifizieren sich dadurch, daß sie eine vorhandene Örtlichkeit kleineren oder größeren Ausmaßes relativ genau beschreiben.


    Ich glaube, es geht nicht nur um die Beschreibung, sondern auch um die Abhebung von anderen Regionen.
    Käsespatzen sind köstlich, ja , aber ein Allgäuer Urgestein von Kommissar muss dieses Essen als Leibgericht haben, und das muss in jedem Roman auch ausführlich Erwähnung finden. Wo kommen wir hin, wenn ein schwäbischer Grantler Labskaus liebt?


    Leo Malet hat es freilich nicht nötig, ständig zu erwähnen, was Paris von, sagen wir Metz, unterscheidet, aber ein Bielefeld-Krimi kommt ohne die mehrfache Erwähnung des westfälischen Dickschädels nicht aus. Sonst wähnt sich der Leser womöglich in Pirmasens :wow

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Genaugenommen ist mir die Unterscheidung "Regionalkrimi - Nichtregionalkrimi" eh völlig wurscht.
    Ich persönlich unterscheide eh nur zwischen "guten" und "schlechten" Krimis, wobei diese Unterteilung natürlich noch differenzierter vorgenommen werden kann. :wave


    Ja ja, die 'guten' und die 'schlechten' Bücher ...
    Schobert & Black, eine Musiktruppe, die nur noch alten Leuten bekannt sein dürfte, sangen einstmals: "Dem einen gefällt´s und der andre muss brechen."
    Oder, auf unser Thema bezogen: Nicht wenige LeserInnen ergötzen sich auch noch am siebten Fall eines sympathisch-beschränkten Ermittlers, weil der - die Brust gefüllt mit tiefer Liebe zu seinem Mikrokosmos - durch die Heimatwälder irrt, die sie selbst kennen, Gerichte verspeist, die sie selbst mögen und in einer Sprache spricht, die sie selbst sprechen. Was kümmern da der Plot, die Story - und die Spannung?
    Nach Wiedererkennungserlebnissen lechzen die LeserInnen dieses Genres offenbar unverdrossen.
    Von mir aus. :schnellweg

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Es mag arrogant klingen, aber mir scheint, viele Leser sind bereit, qualitative Abstriche für das wohlige Gefühl zu machen, dass der Kommissar durch die Fußgängerzone schlendert, durch die man selbst gerne spaziert, dass er Sehenswürdigkeiten besucht, die man auch immer gerne auswärtigen Gästen zeigt und dass man lokale Spezialitäten und Ausdrücke sofort erkennt.


    Habe das erst nach meinem letzten Posting gelesen. Du triffst den Nagel auf den Kopf! Und ein bisschen Arroganz kann ja auch die Diskussion befruchten ...

  • Ich lese zwar keine "Regionalkrimis", aber von Krimifans habe ich auch schon mehrfach gehört, dass diese Bücher vor allem vom Lokalkolorit leben und die Kriminalgeschichten oft sehr schwach, wenn nicht gar an den Haaren herbeigezogen sind.


    Für mich persönlich ist es kein Anreiz, ein Buch zu lesen, weil es in meinem Heimatort spielt. Im Gegenteil. Das lenkt irgendwie ab, weil man dauernd drüber nachdenkt, ob Dinge wirklich so vor Ort sind oder korrekt wiedergegeben werden.


    Auch das Vollstopfen von Büchern mit Rezepten, ist nicht mein Ding. Ich will wissen, was die Figuren denken, fühlen, nicht, was sie die ganze Zeit essen/kochen.


    Vielleicht sind die "Regionalkrimis" ja in erster Hinsicht verkappte Wohlfühlbücher - Eskapismus für Heimatfans.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Zitat

    Original von Alice Thierry
    Vielleicht sind die "Regionalkrimis" ja in erster Hinsicht verkappte Wohlfühlbücher - Eskapismus für Heimatfans.


    Das ist ganz sicher so. Und jahrzehntelang wurde dieser Impetus vor allem durch wöchentlich erscheinende sog. Groschenromane à la "Der Fluch des Wammerlbauern" und "Die blutige Hand auf der Kirchhofmauer" befriedigt. Nun kommt Ähnliches in Buchform hinzu. Ganze Verlage haben sich darauf spezialisiert und verdienen viel Geld damit. Aus einem einzigen Grund: Diese Bücher werden gekauft - und wie!

  • Zitat

    Original von Dieter Neumann


    Ja ja, die 'guten' und die 'schlechten' Bücher ...
    Schobert & Black, eine Musiktruppe, die nur noch alten Leuten bekannt sein dürfte, sangen einstmals: "Dem einen gefällt´s und der andre muss brechen."


    Schobert und Black habe ich mehrmals live erleben dürfen. Zusammen mit Ulrich Roski (der ist leider schon verstorben). Und was sind in deinen Augen "alte Leute"?


    Unabhängig davon finde ich es schon sehr interessant, wie die Bücher die unter "Regionalkrimis" hier leicht mitleidig belächelt werden. Das geht schon feste in den Bereich "gelebte Arroganz".


    Naja, jede/jeder wie sie/er möchte..... :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Und was sind in deinen Augen "alte Leute"?


    Na, solche wie ich zum Beispiel. Ich hab die Truppe auch noch live erlebt.


    Unabhängig davon finde ich es schon sehr interessant, wie die Bücher die unter "Regionalkrimis" hier leicht mitleidig belächelt werden. Das geht schon feste in den Bereich "gelebte Arroganz"


    Zweifellos, macht aber auch mal Spaß ...

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Unabhängig davon finde ich es schon sehr interessant, wie die Bücher die unter "Regionalkrimis" hier leicht mitleidig belächelt werden.


    Naja, frau macht halt so ihre Erfahrungen. Ich habe so einige gelesen, aus nostalgischen Gründen bevorzugt aus dem südwestdeutschen Raum. Einige waren durchaus lesbar, sehr viele habe ich aber nur unter größter Willensanstrengung zuende gebracht. Weil sie mir, außer mir bekannten Landstrichen, nichts zu bieten hatten.


    Nenn es Arroganz, aber ich denke, dieses Verhältnis ist in anderen Ecken unserer Republik [SIZE=7]ich sage nur Juist[/SIZE] auch nicht viel besser. :wave

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Alice Thierry
    Ich lese zwar keine "Regionalkrimis", aber von Krimifans habe ich auch schon mehrfach gehört, dass diese Bücher vor allem vom Lokalkolorit leben und die Kriminalgeschichten oft sehr schwach, wenn nicht gar an den Haaren herbeigezogen sind.
    Vielleicht sind die "Regionalkrimis" ja in erster Hinsicht verkappte Wohlfühlbücher - Eskapismus für Heimatfans.


    Dem widerspreche ich jetzt vehement!
    Ich habe einige Regionalkrimis gelesen, Gute wie Schlechte. Ich habe auch viele andere Krimis gelesen - ebenfalls Gute und Schlechte.
    Nur weil ein Buch etwas mehr zu bieten hat als bloßes Gemetzel und Hochspannung, muss es noch lange nicht langweilig, abgedroschen oder die Handlung an den Haaren herbei gezogen sein. Sicherlich gibt es Regionalkrimis, welche dieses Klischee erfüllen, das tun andere Bücher aber auch!
    Hier konnte mich so mancher Autor schon vom Gegenteil überzeugen - einer sehr gut durchdachten und nicht alltäglichen Handlung, sehr ausgefeilten Figuren und gut recherchiertem Lokalkolorit.
    Wie gesagt, es gibt solche und solche - wie in jedem Genre.
    So, ich verschwinde hier wieder und lese in meinem verkappten Wohlfühlbuch und gehe Eskapismus googeln, bevor mein Blutdruck bedenklich ansteigt.... :rolleyes :grin


  • Dieser Beitrag trifft es. :anbet
    In wenigen Worten das ausgedrückt - was mir mit vielen Worten nicht gelungen ist. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.