Dolly und der Eisvogel - Dorothy Dunnett

  • OT: Dolly and the Nanny Bird 1976


    Der fünfte Band der Spionagegeschichten mit? über? den nie ganz faßbaren Porträtmaler Johnson Johnson, den nur sehr enge Freunde und nur in besonderen Situationen JJ nennen, ist eine kalte Geschichte. Der Begriff ‚Eskimo’ (zum Enstehungszeitraum des Romans noch unangefochten) taucht schon im ersten Satz auf. Zweitstärkenbrillen auch. Auch Brillengläser bestehen nur aus kaltem Glas, der Blick der Augen dahinter ist nicht genau zu orten. Noch mehr Kälte kommt aus dem Ort, an dem Handlung einsetzt, Winnipeg, bei wenig gemütlichen -12°C.


    Das erste Zusammentreffen von Johnson und der Ich-Erzählerin Joanna ist harmlos genug, anläßlich einer Ausstellung einheimischer Kunst, daher die ‚Eskimos’. Natürlich gibt es ‚Eskimo’-Witze und das aus dem losen Mundwerk Johnson Johnsons zur höchsten Erheiterung der einheimischen Künstler. Im Gegensatz zu den herrschenden Außentemperaturen sind die Witze heiß. Hier beginnt schon das Problem. Nichts, was mit JJ zu tun hat, ist im geringsten harmlos, auch nicht das zufällige Treffen mit Joanna Emmerson, ihres Zeichen höchstqualifizierte und hochbezahlte Nanny. Um schräge Berufe war Dunnett nie verlegen und auch nicht um schräge Konstellationen. Joanna ist nämlich noch einiges mehr als Nanny. Sie hat noch einen zweiten Beruf und der ist es, um den es in dieser Spionagegeschichte geht.
    Das ist aber nicht Joannas eigentliches Problem. Ihr eigentliches Problem ist, daß sie Johnson Johnson seit vielen Jahren kennt und sich von ihrer Teenager-Schwärmerei für ihn nie erholt hat, im Gegenteil ist die Schwärmerei beträchtlich gereift. Schon das macht es schwierig für sie in der sich rasch entwickelnden Spionagehandlung um wichtige Codes einen kühlen Kopf zu bewahren.


    Joanna ist alles andere als eine kühle Persönlichkeit. Sie ist warm, herzlich, sie liebt die ihr anvertrauten Kinder mehr, als ihr Beruf als Nanny es eigentlich gestattet. Sie hat einen ausgeprägten Beschützerinnen - und Mutterinstinkt. All diese Wärme läßt Dunnett unerbittlich auf die eisige Wand aus Profitgier, Verbrechen, Intrige und einen Johnson prallen, der sich jeder tieferen Gefühlsregung verweigert.


    ‚Dolly und der Eisvogel’ ist der traurigste Band der Reihe. Selbst die besten Pointen sind mit kühler Überlegung zusammengebaut, Satire tritt an die Stelle von Humor. Herzen schlagen eher aus Angst als aus Zuneigung, die Freuden sind unweigerlich bitter. Frost herrscht noch im bestgeheizten New Yorker Apartement, kalter Wind fegt über die Adria, wo es eine atemberaubenden Sturmfahrt auf der ‚Dolly’ gibt. Die Schlüsselszene zwischen Joanna und Johnson, ein Dialog in einer halsbrecherischen Situation, ist von allen herzzerreißenden Szenen, die Dunnett in ihren Romanen schaffen kann, eine der bewegendsten. Echte Gefühle und Theatertragödie sind unentwirrbar verbunden. Die Leserin, der zu diesem Zeitpunkt schon von den vorhergegangen Verwicklungen der Kopf schwirrt, ahnt auf einmal, daß mit Johnson etwa geschehen ist, daß ihn emotional in Froststarre versetzt hat. Was das war, erfahren wir im vorletzten Satz und erst dann klärt sich das ganze Bild. Zeit, Wärme zu entwickeln, bleibt keine mehr. Joannas abschließende Worte klingen resigniert. das ist Dunnett von einer ungewohnt unbarmherzigen Seite.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Ich habe eben entdeckt, daß der Roman auf englisch unter dem neuen Titel 'Split Code' erhältlich ist. :wow


    Oh genial, die sind ja jetzt alle als PBs erhältlich! :-]
    Zu blöd, dass ich mein Konto gerade schonen muss, aber eine Weile werden die ja hoffentlich noch kaufbar bleiben.

  • Lesebiene


    Bankdirektoren lesen keine Johnson Johnson-Romane. Die verstehen die Wichtigkeit der Anschaffung also üüüberhaupt nicht.



    Grisel


    ja, ich habe mich gefreut, aber sie haben die neuen Titel, die ich entschieden nicht mag. Ich hätte gern Dolly im Titel.
    Nie, niiie ist etwas perfekt. :fetch



    Delphin


    ich bin gespannt, wie sie Dir gefallen.
    :grin




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    ja, ich habe mich gefreut, aber sie haben die neuen Titel, die ich entschieden nicht mag. Ich hätte gern Dolly im Titel.
    Nie, niiie ist etwas perfekt. :fetch


    Das ist mir egal, auf Deutsch war es ja auch nicht einheitlich, mit dem "Tödlichen Fax". Ich habe mir jetzt mal die ersten zwei (oder die, die ich für die ersten zwei halte :lache) bestellt und plane, den Rest in kleinen Häppchen (Selbstbetrug, weil es dann nicht so auffällt :grin) zu kaufen. Hauptsache, ich kann dann auch diese Dunnetts endlich auf Englisch lesen. Einige davon haben mich auf Deutsch nämlich erschütternd auf Distanz gehalten, das lag sicher nicht zuletzt an diesem Un-Deutsch. Und vielleicht waren sie auch kastriert, sowas tut einem Buch auch nie gut.


    Zum Buch selber, das muss auch eines davon gewesen sein, weil ich mich kaum daran erinnern kann. Das mit dem gefühlskalten JJ ist auf jeden Fall wieder so einer, wo ich mir denke, "Wie bei Dunnett! Oh, das IST ja Dunnett!"

    Das mag auch an der Sprache liegen, dass ich die JJs geistig nie mit den historischen Sachen vereinbaren konnte, neben dem Genre.


    Du hast auf jeden Fall "meinen Tag gemacht" mit der Meldung. :-]

  • :lache
    Ich gebe zu, daß es sehr danach auschaut, daß ich sie mir auch unter den doofen Titeln zulege. 'Cooky Bird' habe ich glücklicherweise in der alten englischen Ausgabe erwischt, vor Jahr und Tag.


    Die deutschen Übersetzungen sind meiner Ansicht nach hopplahopp gemacht worden. Da stimmt schon die ganz normale Idiomatik nicht und Dunnetts Wortspielereien fallen meist unter den Tisch. Ganz schlimm sind auch die Rechtschreibfehler. Die Bücher sind einfach lieblos gemacht. Da hat jemand gesagt: das sind doch bloß Krimis. :fetch


    "Tödliches Fax" werde ich nicht rezensieren, der war nachgeschoben und hatte für mich nicht die Atmosphäre der klassischen sechs.
    Ich hatte ihn auf englisch, aber das half auch nichts. Beim letzten Umzug wurde er aussortiert, Dunnett hin oder her.
    Den darfst Du vorstellen. Vielleicht krieg ich dann doch noch mal Lust, ihn zu lesen. :grin



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Die deutschen Übersetzungen sind meiner Ansicht nach hopplahopp gemacht worden. Da stimmt schon die ganz normale Idiomatik nicht und Dunnetts Wortspielereien fallen meist unter den Tisch. Ganz schlimm sind auch die Rechtschreibfehler. Die Bücher sind einfach lieblos gemacht. Da hat jemand gesagt: das sind doch bloß Krimis. :fetch


    Ich weiß noch genau, dass das teilweise einfach nicht Deutsch war und dass mich das massiv gestört hat. Jetzt mal ganz unabhängig davon, dass es ein Verbrechen ist, einer Dunnett sowas anzutun, war es eine Qual, das zu lesen.


    Zitat

    "Tödliches Fax" ...Den darfst Du vorstellen. Vielleicht krieg ich dann doch noch mal Lust, ihn zu lesen. :grin


    Witzig, das hat mir bisher am besten gefallen, also die gesamte Reihe Quasi-Deutsch und über mehrere Jahre wüst durcheinander gelesen. Deal! Wenn mir keiner zuvor kommt, mache ich das. Kann aber dauern, selbst wenn ich mir die Bücher jetzt alle hole, müsste ich ja doch wieder vorne anfangen.


    Zum Thema Gefallen, doch echte Dunnetts, zwei JJ-Fans, drei Meinungen. :-]