Eine Gedankenlänge Stille, während das Erschießungskommando neu lädt – Imre Kertesz

  • Taschenbuch: 160 Seiten
    Verlag: rororo
    1999


    Kurzbeschreibung:
    Essays des Nobelpreisträgers.


    Über den Autor:
    Imre Kertész, am 9. November 1929 in Budapest geboren, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit. Nach Kriegsende arbeitete er zunächst als Journalist, seit 1953 dann als freier Schriftsteller und Übersetzer in Budapest. Mit seinem «Roman eines Schicksallosen», 1975 in Ungarn veröffentlicht, gelangte er nach der europäischen Wende zu weltweitem Ruhm. 2002 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.


    Mein Eindruck:
    Eine Rezension über eine Essay-Sammlung zu schreiben ist schwierig, da sich aufgrund der Komplexität die Vielzahl der Themen und Argumente nicht so einfach zusammenfassen lässt.
    Aber es lässt sich sagen, dass sie ein hohes Niveau besitzen. Das gilt auch insbesondere für die literarische Qualität. Es sind neben dem Roman eines Schicksalslosen tatsächlich vor allen die essayistischen Texte, die Imre Kertesz Status als einer der wichtigsten Autoren untermauern.
    Von einem „Lese-Vergnügen“ zu sprechen, ist aufgrund der Thematik vielleicht nicht angebracht. Natürlich ist es der Holocaust, die Zeit der Befreiung, die Heimkehr und die Jahre im sozialistischen Ungarn. Eine Diktatur folgt der nächsten. Doch ein Vergleich verbietet sich, das lehnt auch Kertesz ab.


    Kertesz zitiert in seinen Aufsätzen viele besondere Persönlichkeiten, z.B. Jean Amery, Ilse Aichinger, er vergleicht mit Aussagen solcher Größen wie Thomas Mann, Paul Celan, Klemperer, Orwell und äußert sich zu Autoren wie Sandor Marais, Miklos Radnoti, Gyula Krudys.
    Diese vielen literarischen Bezüge waren sehr interessant zu lesen.


    Aber auch das Kapitel „Wem gehört Auschwitz“ ist spannend, in denen er sich zu Filmen von Spielberg „Schindlers Liste“ und Roberto Benigni „Das Leben ist Schön“.
    Nur einer der beiden ist in den Augen von Imre Kertesz ein geistiger Erbe.


    In weiteren Texten geht es um die Projektion des Holocaust in der ungarischen Literatur, über Budapest als Heimat, über Intellektuelle in Europa, dem Besuch in einer Synagoge in Wien u.a.


    Das Buch ist sehr lesenswert!

  • Danke, Herr Palomar! :anbet


    Kertesz ist ein unglaublicher Schriftsteller, so dicht, so konzentriert, so an sich kettend wie kaum ein anderer. Mir geht es nur immer wieder so, dass ich eine Pause brauche, wenn ich ein Buch von ihm gelesen habe. Die "Gedankenlänge Stille" ist aber das nächste auf meinem doch schon recht klein gewordenen Kertesz-Stapel.

  • Lipperin konnt nicht warten:


    Es stimmt schon, über Essays lässt sich in der gebotenen Kürze nicht so sonderlich viel sagen. Die hier von Kertesz vorgelegten erzählen mir – auch – sehr viel über den Schriftsteller, der viel Leid ertragen musste und darüber nicht in Schweigen verfiel. Bemerkenswert seine Einschätzung (Seite 25), dass der Nationalsozialismus wiederholbar sei; seine „Rede über das Jahrhundert“ von 1995 zeugt einigiges an Hellsichtigkeit.
    Stellenweise, wenn er beispielsweise über Nazilager und Gulags, aber auch, wenn er über das Verschweigen des Holocausts in den Ländern jenseits des Eisernen Vorhangs spricht, hatte ich das Gefühl, er kommt mit „Bloodlands“ von Timothy Snyder ins Gespräch – wobei die Sachlage natürlich umgekehrt richtig ist, das Snyder-Buch erschien einiges später als alle hier versammelten Essays (unter anderem Seiten 51, 87 und 95).
    Beim Lesen stellte sich bei mir oftmals ein Gefühl großer Bitterkeit ein, trotzdem habe ich die Essays als eine sehr lohnenswerte Lektüre empfunden – gerade, weil sich Kertesz nicht nur Gedanken über die beiden Regime, unter denen er zu leben versuchte, und den Holocaust macht. Er versteht es sehr gut, den Finger auf die kapitalistischen Wunden zu legen.