• Vor einiger Zeit stieß ich auf einen Roman des britischen Psychologie-Professors der Universität Brighton, Brian Bates, mit dem Titel "Wyrd" - Der Weg eines angelsächsischen Zauberers.


    Der Titel zog mich an, denn in meinen Gesprächen mit anderen Menschen, die sich mit der Definition unserer Existenz befassen, ging es von Zeit zu Zeit um ein "großes Gewebe", das alles Lebende verbindet, ein gespanntes Netz, ähnlich einem Teppich, aber versehen mit viel mehr Dimensionen als Höhe, Länge, Breite und - in gewisser Weise - für unseren Lebensbereich - Zeit.


    Soziologischer / ethnologischer / mythologischer Hintergrund: In den noch existenten traditionellen schamanischen Gesellschaften dieser Erde wird die Verbundenheit all dessen, was lebt, betont. Dies ist auch eine essentielle Qualität des "Wyrd" unserer eigenen nordisch / keltischen Mythologie, die nur noch bruchstückhaft rekonstruiert werden kann. "Wyrd" wird demnach gesponnen von den Energien, die unsere Vorfahren als drei Nornen (Faten/ Moiren / Schicksalsgöttinen) in der Mythologie verbildlicht haben. Dennoch ist "Wyrd" kein festgelegtes Schema, sondern entwickelt sich im Jetzt und Hier. Der Schamane /Zauberer (ebenso die weiblichen Pendants der verschiedenen europäisch-angelsächsischen Traditionen) nutzt die Fäden des "Wyrd" für seine Reisen zu den Geistern. Ich war gespannt auf eine Erzählung aus dem angelsächsischen Bereich, deren ursprüngliche Traditionen ja genau so wie bei uns lange Zeit unter der Schwelle geschichtlicher Zeitereignisse weiterexistieren mussten.


    Inhalt: Bates schrieb einen Roman (276 Seiten, Taschenbuchausgabe, mit einer umfangreichen Liste der Quellenliteratur) über einen christlichen Bruder, der von seinem Orden ausgeschickt wird, die Geheimnisse des angelsächsischen Zauberwesens zu untersuchen, um die Menschen durch diese Kenntnisse besser missionieren zu können. Sein Begleiter entpuppt sich als angelsächsischer Zauberer, dem der christliche Bruder mit großem, glaubensbedingtem Misstrauen begegnet. Aus seiner Rolle des beobachtenden, überlegenen (weil "gebildeten" und dem "wahren" Glauben anhängenden) Lernenden entwickelt sich die eines Initianden in den alten Glauben, dessen Inhalte er in Folge seines eigenen Erlebens allmählich trotz beständiger Zweifel und Ängste, die eigene Gottesvorstellung zu verraten, nachvollziehen kann.


    Eigene Einordnung (Das Wort "bewerten" möchte ich im Bezug auf subjektive Glaubensinhalte nicht benutzen): Im Gegensatz zu der "schweren" wissenschaftlichen Literatur der Anthropologen, Ethno-Soziologen und sonstigen wissenschaftlichen Untersucher der weltweiten Bestände alten, häufig in Mythen festgehaltenen Wissens, kommt dieses Fantasy-Gleichnis leicht lesbar, an den wichtigen Punkten dennoch in die Tiefen gehend daher und ist dazu noch unterhaltsam geschrieben.


    Für mich war das Buch lebendig und bereichernd und ich werde mich vermutlich noch längere Zeit vergleichend und abwägend (unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Fachbücher) damit auseinandersetzen.


    Als hilfreich zum Verständnis empfinde ich eine Seite zum Buch, die die Erkenntnisse über die Eckpunkte des "Wyrd" analog zum Buch nochmals erläutert. Man muss es also nicht gelesen haben, kann sich aber dennoch einen Überblick über die vertretenen Thesen verschaffen, leider nur auf Englisch: (wayofwyrd. com)


    Brian Bates ist Professor für Psychology an der University of Brighton, Direktor des Shaman Research Program an der University of Sussex (dort lehrt er auch über schamanisches Bewusstsein), und ein Mitglied der Royal Society of Arts. Er lehrt auch im internationalen Kontext und nimmt teil an Radio- und Fernsehsendungen. Zusätzlich ist er Berater im "Rat der Ältesten" der Ford Foundation, einer weltweiten Vereinigung traditioneller und neuzeitlicher Schamanen und schamanisch Interessierter, die das Ziel verfolgt, indigenes Wissen zu erfassen und zu dokumentieren.

    Wissen Sie, Intelligenz ist ein Rasiermesser: Man kann sie sinnvoll nutzen, sich damit aber ebenso gut auch die Gurgel durchschneiden. Im Grunde ihres Wesens ist sie ungesund. Lem


    The farther one travels, the less one knows. George Harrison