Dies ist die Geschichte von Saba, einer Frau, die im Albanien der 1920er Jahre in eine archaische Dorfgemeinschaft geboren wird. Obwohl sie in einem fürsorglichen Elternhaus groß wird, muss sie mit nur vierzehn Jahren Omer, einen viele Jahre älteren Mann heiraten. Der Totschlag ihres Vaters an einem Verwandten Omers gebietet dies, um Blutrache zu vermeiden. Denn Omer war vor vielen Jahren mit Sabas großer Schwester verheiratet und verbringt seit deren frühen Kindsbetttod seine Zeit mit Schnaps und Grübeleien. Trotz dieses auf den ersten Blick tragischen Schicksal wird Saba eine selbstbewusste Frau und das geliebte Vorbild ihrer Enkeltochter.
Denn es ist auch die Geschichte dieser Enkeltochter, der Ich-Erzählerin des zweiten Teiles, die nach der Wende Albanien verlässt und in Rom eine Familie gründet, aber dennoch immernoch ihrer albanischen Wurzeln verbunden ist.
„Rot wie die Braut“ ist eine klassische Familiengeschichte, die das Schicksal mehrerer Generationen eines albanischen Clans erzählt. Und da dieser Clan in erster Linie aus Frauen besteht und die wenigen Männer entweder frühzeitig das Zeitliche segnen oder so unbedeutend sind, dass ihr Leben nicht weiter der Rede wert ist, geht es hauptsächlich um Frauenschicksale.
Das hört sich nach großer Jammerei an, ist es aber zum Glück gar nicht. Die Frauen der Familie Islami sind keine Rebellinnen, die sich gegen das Patriarchat auflehnen, aber auch keine Opfer, die an diesem zugrunde gehen. Nein, sie sind autarke Menschen, die bestimmte Gegebenheiten, etwa arrangierte Ehen, mit Gleichmut ertragen, aber dennoch ihre eigenen Vorstellungen von dem, was richtig oder falsch ist, konsequent durchsetzen und, wenn es denn nötig sein sollte, ganz unabhängig von den Ansichten der Männer, zur Tat schreiten.
Ganz nebenbei ist dieser Roman aber auch eine kleine Geschichte Albaniens im 20.Jhd. Zu Sabas Geburt, als noch ein König herrschte, lebte die Dorfgemeinschaft noch derart abegschottet, dass sie nicht einmal wusste, zu welchem Verwaltungsbezirk sie eigentlich gehörte. Und in dem deshalb das Funktionieren der Gemeinschaft durch die Ausübung uralter Stammesgesetze gewährleistet wurde. Erst nach dem zweiten Weltkrieg zog mit dem Sozialismus eine gewisse Modernisierung auch in die abgelegenen Täler und erlaubt es Saba, sich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich zu emanzipieren. Und offenbar brach dann auch in Albanien in den neunziger Jahren ein völlig ungezügelter maßloser Kapitalismus los...
Anilda Ibrahimi erzählt voller Wärme die Geschichte ihrer Familie, oder vielmehr die ihrer Vorfahrinnen. Ohne die Verhältnisse zu beschönigen, fühlt sie sich in die Denkweisen dieser Frauen ein, und wirft einen überraschend humorvollen Blick auf die leidige Zwangsehendiskussion, die oftmals mit arrangierten Ehen gleichgesetzt wird. Sie holt diese Frauen aus der Opferecke und stellt auch klar, dass Frauen wie auch Männer mit diesen gesellschaftlichn Gepflogenheiten glücklich werden können oder auch nicht. Ibrahimi überhöht diese Frauengestalten nicht, sie dürfen so handeln, wie sie es in ihrem eigenen Wertekosmos richtig ist, auch wenn man von heutigen Standard der politischen Korrektheit aus eigentlich nur den Kopf schütteln kann. Genausowenig überhöht sie die guten alten Zeiten, sei es nun Königreich oder Sozialismus: jede Zeit gab ihren Zeitgenossen Möglichkeiten, aber auch Einschränkungen.
Deshalb ist dieses Buch ein sehr menschliches, da alleine die Menschen, ihr Tun und ihr Sein, im Mittelpunkt stehen. Und so bekommen Menschen ein Gesicht, deren Nationalität der gemeine Mitteleuropäer meist nur mit Blutrache oder kriminellen Hütchenspielern assoziiert.