Ausgelesen. Mit diesem Buch ging es mir ähnlich wie mit Peter Høegs „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“. Nur andersherum. Während ich in der Leserunde zu jenem Buch mehrfach schrieb, daß das eines meiner Jahreshighlights werden könnte, haben die letzten etwa drei Seiten diesen Eindruck völlig und absolut zerstört. Ergebnis: nie wieder ein Buch dieses Autors.
Hier habe ich über 150 - 200 Seiten immer wieder mit dem Abbruch gekämpft und war mir über weite Strecken sicher, daß ich keine Fortsetzung lesen würde. Weder habe ich abgebrochen noch bin ich sicher, ob ich nicht doch zumindest den nächsten Band lesen möchte.
Ich sehe ein, daß der Gefängnisaufenthalt unter den damaligen Bedingungen möglicherweise die einzige Möglichkeit für Jo war, technische Dinge zu lernen, und das auch nur, weil es dort so einen guten Hausmeister gab. Andererseits empfand ich diesen Teil des Buches als ziemlich deprimierend, obwohl ich nicht mal so genau sagen kann, woran sich das fest macht. In „Der Klang des Piano“ ging es über weite Strecken auch nicht sehr angenehm zu (Stichwort Arbeiterviertel von Belfast um 1912), oder in Elizabeth Gaskells „North And South“ passiert viel Schlimmes, und dennoch empfand ich das dort nicht als deprimierend. Ob das daran liegt, daß das Buch hier in Deutschland spielte und ich immer wieder feststelle, daß mir manches „typisch deutsche“ seltsamerweise doch eher fremd ist oder „auf den Geist geht“? Wie dem auch sei, der Schlußeindruck war ein ganz anderer als der zu Beginn.
Gut gefallen hat mir die Beschreibung des Rennens in Dänemark. Dazu sei zugegeben, daß ich im Jahr nur eine einzige Sportübertragung ansehe. Und genervt bin, weil so viel Zeit dafür drauf geht - über drei Wochen. Aber solange dauert die Tour de France nunmal. Von den Kommentaren dort weiß ich, daß die Räder von Jo und ihren Mitstreiterinnen vermutlich keine Gangschaltung hatten und auch sonst mit den heute üblichen Rennmaschinen überhaupt nicht mithalten konnten. Wenn ich dann noch an den Troß denke, der den Fahrern heute zur Verfügung steht und das, was hier im Buch beschrieben wurde - da steigt mein Respekt für diese Leistung (das Rennen gab es ja anscheinend wirklich) ins nahezu Unermeßliche!
Bei dem Sturz von Isabelle hatte ich unwillkürlich Bilder von vor ein paar Jahren vor Augen, als ein Fahrer ähnlich schwer stürzte. Allerdings weiß ich weder das Jahr, noch wer das war.
An anderer Stelle merkte man doch, daß da Damen fuhren. Einige Jahre später wurde ein Favorit bei der Tour, als er schlapp machen wollte, von seinem Kumpel mit den freundlichen Worten „Quäl dich, du Sau“ aufgemuntert.
Ich meine, das war das Jahr, in dem Jan Ulrich die Tour gewonnen hat. (Zu Seite 478)
Das Thema Doping war schon damals aktuell! Wurde anscheinend jedoch nicht verfolgt oder geahndet. Vom Ächten mal ganz zu schweigen.
Ein paar Dinge gingen mir im letzten Abschnitt etwas schnell. Etwa, daß der Hausmeister aus dem Gefängnis so einfach dabei war. Da hätten doch Fragen kommen müssen „woher kennst Du den?“ - mit entsprechenden Folgen (lies Enthüllung). Oder als Isabelle von dem Gefängnisaufenthalt Jos sprach, das wurde sehr rasch übergangen.
Auch Jos Eltern tauchen nicht mehr auf; wenn ich das richtig verstanden habe, wohnen die doch in der gleichen Straße wie Jo, nur ein paar Häuser weiter?
Da es mit Isabelle weitergeht, kann ich mir vorstellen, den nächsten Band zu lesen. Wenngleich sich da einiges an Ungemach ankündigt. Die Voraussetzungen für die Heirat mit Leon sind nicht so günstig; beide haben anscheinend verschiedene Vorstellungen. Vor allem Leon, der auf eine gute Partie hofft, um sein Leben weiterleben zu können, während Isabelle zur Not auf das Geld ihres Vaters verzichten würde.
Ob ich mir allerdings lesemäßig den Kampf zwischen Clara und ihrem Mann antun werde, weiß ich noch nicht. Zu sehr habe ich mich über diesen Arzt geärgert und aufgeregt. Was da kommt, kann ich mir in etwa denken.
Ansonsten ist mir noch eine grundsätzliche Thematik aufgefallen.
Vor einiger Zeit habe ich Lynn Austins „Rhapsodie der Freundschaft“ gelesen; spielt während des 2. Weltkrieges. Daraus habe ich gelernt, daß dieser dramatische gesellschaftliche Veränderungen, auch und vor allem für Frauen, zur Folge hatte. Aus „Downton Abbey“, vor allem aus dem Bonusmaterial sowie historischem Sachbuch dazu, habe ich gelernt, daß ein gleiches für den 1. Weltkrieg gilt, vielleicht noch dramatischer als für den 2. Und nun lerne ich aus diesem Buch, daß sich durch das Fahrrad die gesellschaftlichen Verhältnisse, lies auch Stellung der Frau, dramatisch veränderten.
Jetzt frage ich mich, ob es durchgehend von etwa 1890 bis tief ins 20. Jahrhundert hinein eine dauernde gravierende Veränderung gab? Irgendwie paßt das für mich nicht so ganz zusammen.
Alles in allem hat mir das Buch doch gut gefallen und einen positiven Eindruck hinterlassen, auch stimmungsmäßig. Hier hat es sich wirklich gelohnt, durchgehalten zu haben und ich werde sicherlich nach weiteren Büchern der Autorin Ausschau halten.