Ich-Perspektive

  • Ich lese gerade einen Krimi, mit dem ich (noch?) so meine Schwierigkeiten hab. Zunaechst mal beginnt er mit dem wohl schlechtesten Prolog, den ich jemals gesehen hab - und ich mag sonst Prologe. Und dann ist er in der Ich-Perspektive geschrieben. Das an sich muss ja nicht problematisch sein. ABER: der Ich-Erzaehler ist ein Mann, geschrieben hat das Buch eine Frau. Ich hoere da automatisch eine Frau erzaehlen und es passt fuer mich nicht.


    Das ist mir sonst noch nie aufgefallen. Ist es eine grosse Ausnahme, dass Autor und Ich-Erzaehler unterschiedlichen Geschlechts sind oder passiert das oefter? Warum wuerde ein Autor das machen???

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Mich stört es eigentlich nicht, wenn Autor und Erzähler nicht dasselbe Geschlecht haben. Es ist ja keine Biographie, sondern ein Roman, der aus der Sicht des Helden geschrieben ist, und wenn das ein Mann ist und die Autorin eine Frau, ist das für mich okay.


    Das Buch kenne ich leider nicht, aber vielleicht hat sich die Autorin fr den Erzähler entschieden, weil er ihre Geschichte am besten vorantreibt. Oder sie schreibt lieber aus der Sicht eines Mannes, weil sie dann sprachlich andere Mittel hat als bei einer weiblichen Heldin. Kommt natürlich auf die Geschichte an.


    Könnte es sein, dass du sonst eher Bücher mit weiblichen Protagonisten liest? Dann gewöhnst du dich vielleicht nach einigen Seiten noch an den männlichen Erzähler. Ich drück dir die Daumen, dass es nach dem Prolog spannender weitergeht.
    :wave

  • Zitat

    Original von Beatrix
    Das ist mir sonst noch nie aufgefallen. Ist es eine grosse Ausnahme, dass Autor und Ich-Erzaehler unterschiedlichen Geschlechts sind oder passiert das oefter? Warum wuerde ein Autor das machen???


    Ob es eine große Ausnahme ist, kann ich dir nicht sagen, aber mir fällt spontan „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ von Peter Hoeg ein.
    Ich persönlich setze den Autor eines Romans eigentlich nie mit dem Ich-Erzähler gleich und da spielt es dann keine Rolle ob der Autor das gleiche Geschlecht hat wie der oder die Protagonist/in. Bei einem Krimi ist es ja meist der Ermittler, aus dessen Sicht erzählt wird.

  • Wie bei allem kommt es - denke ich -, darauf an, wie es gemacht ist.
    Roddy Doyle erzaehlt als Frau aus der Ich-Perspektive, und das ist so kraftvoll, dass es in meinem Zimmer anfaengt, nach Menstruationsblut zu riechen.
    Grundsaetzlich bin ich aber der Ueberzeugung, dass es in wesentlich mehr Faellen misslingt als dass es glueckt.
    Wie die Ich-Perspektive an und fuer sich. Allzu haeufig dringt die Stimme des Autors dabei so tief in die Erzaehlstimme, dass es mich toedlich nervt. Unter den Buechern, die ich wegen des hohen Nerv-Faktors nicht zu Ende lesen kann, sind die aus der Ich-Perspektive ueberproportional vertreten. Und bei denen, die ich fertig lese, ueberwiegen die, bei denen ich denke: Personal in der dritten Person Singular erzaehlt haette mir das wesentlich besser gefallen.
    Ausnahmen bestaetigen die Regel. Roddy Doyle ist eine, sonst faellt mir jetzt spontan keine ein. Ich-Erzaehler moechte ich da lesen, wo es nicht anders geht. Und wo einer es wirklich kann.


    Einen schoenen Tag wuenscht Charlie

  • Hallo :wave


    Ich kann verstehen das dich das nervt. Bücher, die in der Ich - Perspektive erzählt sind, mag ich an sich sehr gerne. Da ich generell eher Bücher mit weiblichen Protagonistinnen lese, würde ich es glaube ich auch seltsam finden, wenn sie von einem Mann geschrieben wurden. Doof eigentlich, aber ich denke, ein Mann kann sich doch nie so in eine Frau hineinversetzen und so schreiben, dass ich mich mit ihr identifizieren kann. Kam aber ehrlich gesagt noch nie vor und wäre vielleicht einen Versuch wert.
    In meinem aktuellen Buch wird die Geschichte hauptsächlich von einem Mann erzählt und wurde auch von einem geschrieben. Der Mann als Protagonist war zwar gewöhnungsbedürftig, aber es gefällt mir überraschenderweise sehr gut.


    LG Finnia

  • Zitat

    Original von Beatrix
    Ist es eine grosse Ausnahme, dass Autor und Ich-Erzaehler unterschiedlichen Geschlechts sind oder passiert das oefter?


    Zuletzt ist mir das in Die Tränen der Königin von Christopher Gornter begegnet - hier war ich überrascht wie gut er aus weiblicher Sicht erzählt hat.
    Aber ich habe das auch schon sehr störend empfunden, allerdings waren das dann meist Bücher, die mir vermutlich auch in einer anderen Erzählperspektive nicht wirklich gefallen hätten.

  • Interessante Frage. Habe ich mir auch schon einige Male gestellt. Ganz tief drinnen bin ich auch immer skeptisch, wenn in der Ich-Personen aus dem anderen Geschlecht erzählt wird. Selbst der einfühlsamste Mann kann keine Frauen-Gefühle nachvollziehen. Da ist die Geburt noch nicht mal das Herausragendste. Frauen und Männer sind einfach genetisch anders gestrickt. Und auch eine Frau kann einige Männer-Probleme und -Gefühle wirklich nur erahnen aber nicht nachempfinden. Auch die unterschiedliche Art an Dinge heranzugehen und sich auszudrücken ist schwer umzusetzen. Und wie Charlie mag ich die Ich-Erzählungen nicht besonders (bei Biographien mal ausgenommen). Oft ist mir die Perspektive einfach zu einseitig. Bei Spannungsliteratur fehlt die Möglichkeit, zwischen einzelnen Handlungssträngen zu wechseln. Es sei denn, man wechselt dort auch die Ich-Stimme ind die dritte Person EZ.
    Ausnahmen gibt es freilich, die mich trotzdem fesseln konnten. Aber bei der Entscheidung, ob ich ein Buch kaufe oder nicht, spielt tatsächlich auch diese Perspektive oft eine Rolle und Ich-Erzählungen lese ich weitaus seltener als die anderen.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Wenn ein Geschichte in der "Ich-Form" geschrieben ist, dann muss auch das "Ich" als "Ich" erkennbar sein. Das bedeutet, wenn eine Frau einen Mann in der "Ich-Form" erzählen lässt, dann muss dieser Protagonist als Mann erkennbar sein und eben nicht als "Frau, die einen auf Mann macht" - und das gilt natürlich umgekehrt genauso.


    Hier den richtigen Ton zu treffen scheint mir ziemlich schwer. Denn es gibt eben typische weibliche und männliche Verhaltensweisen, die quasi angeboren sind, von denen man sich aber im Erzählfall völlig trennen muss. Eine schwierige Sache.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Abgesehen davon, dass ich grundsätzlich eine nauktorialen Erzähler vorziehe, würde es mich auch nur dann stören, dass ein Mann aus Frauensicht erzähl oder vice versa, wenn es unglaubwürdig rüberkommt.


    Ich habe schon von Lesern gehört, die es als unangenehm empfinden, wenn ein männlicher Autor aus Sicht einer Frau erzählt, weil sie meinen, dass ein Mann sich nicht in eine Frau hineinfühlen kann.
    Allerdings haben diese Leser kein Problem damit, wenn Autorinnen die Gedanken des männlichen Protagonisten in aller Ausführlichkeit schildern. Das nehmen sie kritiklos hin.


    Vielleicht halten manche Frauen es für eine Art unbefugtes Eindringen in die weibliche Welt, wenn ein Autor sich in eine Frauenrolle begibt.


    Für mich ist es Fisch wie Fleisch, ob Männer aus Frauensicht oder Frauen aus Männersicht schreiben, was z.B. Daphne du Maurier bravourös getan hat. In den meisten Fällen geht es um die Darstellung von Menschen und nicht um das Herausarbeiten geschlechtsspezifischer Merkmale.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • "Nauktorialer Erzähler? Wasndas? :-)


    Die Frage der Glaubwürdigkeit steht nicht notwendigerweise in direktem Zusammenhang mit der Perspektive. Auch ein personaler oder auktorialer Erzähler berichtet u. U. aus Sicht einer Figur, die wenig mit dem Autor zu tun hat, wobei das Geschlecht nur die Spitze des Eisbergs darstellt - es gibt noch weit mehr, etwa ethnische Herkunft, Religionszugehörigkeit, politische Ansichten, sexuelle Orientierung usw. Ganz haarig wird es bei Tätern, in Kriminalromanen, Thrillern und ähnlichen. Aber es gehört zu den notwendigen Fähigkeiten, über die man als Autor verfügen muss, sich in alle möglichen Figuren und Eigenarten hineinversetzen zu können. Wenn man das nicht beherrscht, sollte man es lassen.


    Allerdings würde ich auch eine Gegenfrage stellen wollen. Wenn jemand meint, etwa eine Frau, aus deren Sicht erzählt wird, wäre unglaubwürdig - woran wird das festgemacht? "Frauen denken/reden/handeln nicht so" kommt mir da als Argument zu schwach vor, außerdem ist das verallgemeinernd und letztlich diskriminierend.


    Die Ich-Perspektive birgt, wie jede andere übrigens auch, große Gefahren. "Glaubwürdigkeit" habe ich da bisher allerdings als geringste betrachtet.

  • @ Tom


    Ein Tippfehler, würde ich sagen. (Das N hat es zum a mehr hingezogen gefühlt als zum e). Und damit Dein Beitrag auch verständlich bleibt, lasse ich ihn jetzt drin. :-)


    edit: Wieder Fehler. Ist noch zu früh am Morgen.

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    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Alice Thierry ()

  • Zitat

    Original von Tom
    Allerdings würde ich auch eine Gegenfrage stellen wollen. Wenn jemand meint, etwa eine Frau, aus deren Sicht erzählt wird, wäre unglaubwürdig - woran wird das festgemacht? "Frauen denken/reden/handeln nicht so" kommt mir da als Argument zu schwach vor, außerdem ist das verallgemeinernd und letztlich diskriminierend.


    In der Vorstellung vieler Leute gibt es aber ganz geschlechtertypische Verhaltensmuster.


    Deswegen haben sich wohl auch Bücher wie "Männer sind anders, Frauen auch" so erfolgreich verkauft. Die Leute mögen nicht, wenn man ihnen ihre Klischees klaut.


    Ein einfühlsamer Mann, der sich brav aufs Töpfchen setzt - o Gott!


    Eine strukturiert denkende Frau, die einparken kann - o nein!

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  • Ich lese nicht wirklich viele Bücher aus der Ich-Perspektive. Aber wenn ich sie dann mal lesen, so ist mir das noch nie aufgefallen.


    Letztens erst habe ich Still Missing gelesen, aus der Ich- Perspektive, und mir war danach irgendwie schwindlelig. Aber nicht wegen dem Buch ansich, sonder von der Art und Weise wie es geschrieben wurde.


    Aber ich werde jetzt mal drauf achten und mal schauen, ob es mich stört.

  • oh schoen, da steh ich morgens auf und kann mir gleich eine nette Diskussion beim Kaffee durchlesen ;-)


    Ich hatte gestern abend noch etwas weiter gelesen und so langsam komm ich etwas besser ins Buch rein. Ist nicht so, dass ich sonst mehr Buecher mit weiblichen Protagonisten lese. Das haelt sich wohl so in etwa die Waage.


    Aber ich glaube inzwischen auch, dass mich die Erzaehlperspektive genervt hat, weil ich generell das Gefuehl hatte, dass der Schreibstil zu wuenschen laesst. Wenn ein Autor schreiben kann, so liest es sich aus jeder Perspektive gut. Kann er's nicht, dann hat die Ich-Perspektive wohl noch mehr Fallen als jede andere ...


    Und es ist schwer sich beim Lesen total davon zu befreien, dass man autobiografische Parallelen sucht. Insbesondere, wenn ja auch ein paar mit drin sind. Hier sind Erzaehler und Autor beide Kanadier, die in der Karibik leben und das Land als Expats erleben. Das ist eben auch eine bestimmte Perspektive, die doch eine ganz andere ist als die der Einheimischen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Also bisher hat mich das nicht gestört, wenn Autor und Figur unterschiedichen Geschlechts sind. Ich glaube, ich hatte da bisher nur Bücher von Männern geschrieben, die aus Sicht von Frauen schreiben. Bisher war das auch immer überzeugend.
    Ich muss allerdings sagen, dass ich die Ich-Perspektive generell nicht so mag, vor allem wenn ich mich mit der Hauptfigur nicht wirklich identiefizieren kann.

  • Zitat

    Original von Goldbeere
    Also bisher hat mich das nicht gestört, wenn Autor und Figur unterschiedichen Geschlechts sind.


    Das ist ja auch nicht Gegenstand der Frage hier. Sieht man ja doch sehr haeufig und hat mich auch noch nicht gestoert. Schliesslich brauchen doch die allermeisten Buecher beide Geschlechter ;-) Es ging mir hier wirklich nur um das Schreiben in der Ich-Perspektive.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Grundsätzlich stört es mich absolut nicht, wenn ich Bücher in der ICH-Perspektive lese. Lese gerade auch aktuell "Never knowing" von Chevy Stevens und ich finde es wirklich super geschrieben.


    Allerdings ist mir bisher nicht aufgefallen, ob die Geschlechter zwischen Autor und Hauptperson eine Rolle spielen, wenn sie sich denn unterscheiden. Da werd ich mal drauf achten :-)

  • Zitat

    Original von wirbelwind
    Allerdings ist mir bisher nicht aufgefallen, ob die Geschlechter zwischen Autor und Hauptperson eine Rolle spielen, wenn sie sich denn unterscheiden. Da werd ich mal drauf achten :-)


    Geht mir genauso... Ich kann noch nicht mal sagen, wann ich das letzte Mal ein Buch mit einem Ich-Erzähler gelesen habe. Vielleicht bin ich nicht aufmerksam genug... :yikes