Lassen sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edeleltern und ihren Bestimmerkindern
Kurzbeschreibung
Was ist nur mit den Eltern los? Kaum haben sie ihr "[I]Jetzt wirds aber Zeit"-Kind, wird es zum sinnstiftenden Projekt. Egal, ob bei der Wahl von Kita und Schule, beim Kauf von Kleidung oder der richtigen Wohnung - das Beste scheint gerade gut genug. Das Kind wird zum Statussymbol. Aber muss wirklich alle Welt Rücksicht nehmen, nur weil Eltern mit ihrer Fortpflanzung das Land vor der Vergreisung retten? Wächst eine Generation kleiner Egoisten heran? Anja Maier hat Familien im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg beobachtet und feststellen müssen, dass aus dem Szeneviertel eine kuschelige Kleinstadt geworden ist. Ihre Geschichten sind vor allem eines: erschreckend wahr, manchmal tragisch - und vor allem urkomisch. [/I]
Über die Autorin
Anja Maier, geboren 1965 in Ostberlin, ist taz-Journalistin. Bevor sie das wurde, war sie Schriftsetzerin, Studentin, Redaktionsassistentin und Korrektorin. Mit ihrem Mann, einem rübergemachten Franken, und den beiden Töchtern lebt sie in Brandenburg am Ende einer verkehrsberuhigten Sackgasse. Sie hat vor zwanzig Jahren im Prenzlauer Berg eine Familie gegründet, hat "Die Wende" dort erlebt, die ersten Bioläden und Geburtshäuser eröffnen sehen und auch ausprobiert. Um schließlich die Flucht aus dem dreckigen Szenekiez an den Stadtrand ins Grüne zu ergreifen. Nun ist sie zurückgekehrt in ihren "alten" Kiez, der zu den geburtenreichsten und wohlhabendsten Deutschlands zählt. In den Mikrokosmos um Kollwitz- und Helmholtzplatz, alleine und für drei Monate zu Recherchezwecken. Um dem Mythos von Latte Macchiato- Haltern an Tausend Euro- Designerkinderwagen, Edel- Eltern mit Bestimmerkindern und gelebter Gentrifizierung auf den Grund zu gehen und ein Buch darüber zu schreiben.
Meine Meinung
Sicherlich ist das ein polarisierendes Buch. Ich habe selber zwei Kinder und bin gerne am Prenzlauer Berg. Ist nicht weit entfernt von meinem piefigen, grünen Wohnort am Stadtrand. Jedesmal ist ein Ausflug in eine andere Welt, in eine unwirkliche. Dort gibt es Kindermitmachmuseen, Kindercafes (Spezialität "Babycchino", ein Mini- Latte Macchiato für den Nachwuchs- mit Caro Kaffee zubereitet) in denen Kinder sich nicht benehmen müssen und über Bänke und Tische klettern dürfen/sollen/müssen. Es gibt Frittenbuden, die für horrende Preise Biopommes und Biobratwurst anbieten. An jeder Ecke Klamottenläden für hippe Mamas und Kinder, die lustige Namen a la "Kaufrausch" oder "Kauf dich glücklich" haben und Designerware von zB Petit Bateau anbieten. Bioläden über zwei Etagen auf einer Fläche von 600 Quadratmetern. Yogaentspannungskurse für Säuglinge. Zahnarztpraxen, deren Klienten ausschließlich Kinder sind. Überfüllte Abenteuerspielplätze. Biowochenmärkte mit handgenähten Taschen. Schöne Menschen en masse und kaum ein Penner stört das Bild.
Und vor allen Dingen gibt dort jede Menge zu beobachten. Das, was Anja Maier in ihrem Buch beschreibt, habe ich genau so auch schon hundertmal beobachtet und mich dementsprechend während der Lektüre heftig nickend köstlich amüsiert. Es fängt bei Designer- Kinderwagen an und hört bei Müttern, die einen auf offener Straße darum bitten, die Zigaretten auszumachen, auf.
Die Autorin lässt Neuberliner zu Wort kommen, die für den Kauf von "Townhouses" ordentlich Geld in die Hand genommen haben, um den Traum von kleinstädtischer Urbanität zu leben. Die für verkehrsberuhigte Straßen und Ruhe ab 22 Uhr kämpfen, weil sie das aus Koblenz oder Baden- Württemberg so gewohnt sind. Sie erwähnt auch den alteingesessenen Knaack- Club Knaack Homepage, der nach Lärmschutzauflagen schließen musste. Sie redet mit alteingesessenen Einwohnern und Cafebesitzern, die genervt sind von stillenden Müttern, die immer und überall ihre Brüste raushängen lassen und damit kinderlose Gäste vertreiben. Cafebesitzer, deren Pacht in ein paar Jahren ausläuft und die mit dem Gedanken spielen, an Ort und Stelle "einen Pornoshop zu eröffnen, mit Allem drum und dran." Sie spricht mit kinderlosen Kiezbewohnern, die vor lauter Verzweiflung überlegen, sich einen Atrappenkinderwagen zuzulegen, damit sie mit ihrem kindergefährdeten Monsterköter wieder unbeschimpft durch die Straßen Gassi laufen können.
Die Autorin versucht bei aller Bissigkeit immer objektiv zu bleiben und mehr als einmal stellt sie sich die Frage: Bin ich neidisch, weil es zu meiner Zeit anders war? Weil meine Kinder nicht auf eine teure Phorms Privatschule gehen konnten, auf der sie u.a die Möglichkeit gehabt hätten, Mandarin zu lernen? Aber nein, sie ist nicht sozialneidisch, sie schildert Beobachtungen, die mir allzu bekannt vorkommen. Warum nur ist es heutzutage soo unglaublich besonders, Eltern zu sein? Die Autorin fragt sich: was wird eigentlich aus diesen Vollzeitmüttern, die sich ausschließlich über ihre späten Wunschkinder definieren und alles in dessen Förderung stecken? Und vor allen Dingen- welche Generation von Me First- Tyrannen wächst dort eigentlich heran?
Ich bin gerne im Prenzlauer Berg. Für einen Ausflug, entweder Zoo oder Prenzlauer Berg. Es ist eigenartig dort, lustig. Tagsüber. Abends ist es schön, in meinen piefigen Stadtteil zurückzukehren. In dem es ruhig ist und in dem es auch ein sehr schönes französisches Cafe gibt, in das ich meine Kinder auch manchmal mitnehme. Damit sie lernen, sich zu benehmen. Wie in der richtigen Welt. Das finde ich persönlich wichtig. Abends bin ich lieber in Friedrichshain unterwegs oder in Kreuzberg, alleine und ohne Kinder. Das ist spannender.
Fazit:
Dieses Buch spricht mir sehr aus der Seele. Ich hänge ja auch grade genau drinne. Natürlich habe ich mit meinem Sohn auch einen Emmi Pickler Krabbelkurs besucht und bin zum Musikgarten gegangen. Um dann irgendwann festzustellen- das isses nicht. Kinder sind Kinder und sollen Kinder sein. Die Menschheit bringt seit Jahrmillionen ihre Brut ohne TamTam darum zu Welt, also schaffe ich das auch. Und meine Kinder werden ganz sicher auch ohne Yoga- Sprachenfrühförderung- Ballett- Klavier- Nido- Eltern- Tausend- Euro Kinderwagen etcpp groß werden und hoffentlich glücklich. Mittlerweile kenne ich schon drei (schwäbische) Familien, die ihre Eigentumswohnungen am PBerg verkauft haben und hierher gezogen sind. Weil sie keinen Bock mehr auf diesen Irrsinn dort hatten. Sind ganz nett.
Ein tolles Buch, komisch, genau beobachtet, erschreckend realistisch. Würde mich mal interessieren, ob das auch nur eine Buchhandlung im PBerg an Lager hat.