Chrysantheme und Schwert - James Melville

  • "Chrysantheme und Schwert" von James Melville


    ISBN: 3550061374


    Verlag: Ullstein


    Erscheinungsjahr: 1987


    Seitenzahl: 288


    Übersetzer: Rainer Schmidt


    Über den Schriftsteller:
    James Melville ist das Pseudonym des 1931 in England geborenen Schriftstellers Roy Peter Martin, der mit seinen Inspector Otani Romanen, die in Japan spielen, bekannt wurde.
    Durch seine Tätigkeit als Lehrer kam Melville nach Japan und Übersee und begann dort mit dem Schreiben.
    Neben der Reihe um Inspector Otani sind die Romane "Chrysantheme und Schwert" sowie "Der getarnte Phoenix" in deutscher Übersetzung erschienen.


    Über den Inhalt:
    Als die japanischstämmige Amerikanerin Lesli Hoshino mit den Recherchen zu einer Biografie des japanischen Großindustriellen Jiro Shimada beginnt, ahnt sie noch nicht, dass sie mit den Ereignissen des Jahres 1936 konfrontiert werden wird. Nach und nach lernt die Journalistin Shimada und dessen Schwester Yoko kennen und erfährt von der Beteiligung ihres Bruders Hideos am Putschversuch gegen den Kaiser.


    Meine Meinung:
    Gut fünfundzwanzig Jahre nach Erscheinen dieses Buches überrascht dieser Unterhaltungsroman mit einer Handlung, die auch heute noch für einen Romanstoff taugt.
    Die erfolgreiche und attraktive Journalistin Lesli Hoshino darf die Biografie des diesjährigen Newsworld-Preisträgers Jiro Shimada schreiben und fliegt nach Jahren in das Land zurück, das ihre Eltern ihre Heimat nennen.
    Bereits das erste Treffen ist geprägt von Spannungen und Hoshino wird schnell klar, dass sich die Zusammenarbeit mit Shimada als nicht einfach erweisen wird.


    In kurzen Kapiteln führt James Melville weitere Protagonisten ein und erweckt zumindest anfänglich den Eindruck, weniger zu erzählen als dem Leser ein durchschaubares Romankonzept zu präsentieren wie es offensichtlich in Schreib- und Drehbuchseminaren gelehrt wird. Mit zunehmender Handlung treten diese theoretischen Überlegungen zugunsten seiner Figuren und
    der eigentlichen Handlung in den Hintergrund und greifen die Ereignisse um den Putschversuch gegen den japanischen Kaiser im Jahre 1936 auf. Positiv ist dabei zu bemerken, dass James Melville nicht den Versuch unternimmt, aus der Sicht eines Japaners diese historischen Ereignisse zu schildern, sondern ähnlich seiner Protagonistin Lesli Hoshino seine westliche Sichtweise mit
    den eigenen fernöstlichen Erfahrungen verbindet und wiedergibt.


    Während die engagierte Journalistin in der Vergangenheit Shimadas forscht und kaum etwas Persönliches über den erfolgreichen Unternehmer in Erfahrung bringt, meldet sich Shimadas Schwester Yoko bei Lesli Hoshino. Yoko erzählt ihr vom Leben in den dreißiger Jahren, von einer Mutter, die langsam verrückt wurde, von einem Vater, der sein Leben seiner Firma opfert, von der jüngeren Schwester Teruko, die sich ein glamouröses Leben erhofft und von den beiden unterschiedlichen Brüdern Jiro und Hideo.
    Nach und nach entwickelt James Melville ein wundervolles, nicht nur nostalgisches Zeitporträt Japans in den dreißiger Jahren, das einen politischen Wandel unter amerikanischem Einfluss erlebt und diese Veränderungen anhand der Familie Shimada beschreibt.
    Die Shimadas selbst werden als recht konservativ beschrieben und während der Vater in seiner Firma um seinen Job kämpft und die Mutter langsam verrückt wird, sind es vor allem Teruko und Hideo, die sich allmählich von den Eltern und ihren Werten trennen. Vor allem Teruko, die in einem angesehenen Friseursalon arbeitet und in Kontakt mit vermögenden Ausländern kommt, entfernt sich immer mehr von ihrer Familie und legt jegliche Zurückhaltung ab. Im Gegensatz zu ihr strebt ihr älterer Bruder Hideo nach Ruhm und Karriere und begeistert sich für die Ideen innerhalb des Militärs, das den Sturz des Kaisers plant.


    Überhaupt besteht die Stärke dieses Romans darin, das japanische Leben und Arbeiten anhand unterschiedlicher Generationen zu beschreiben und etwas von der Position einzelner Familienmitglieder und ihrer Innenansichten zu erzählen, die nicht immer mit den gesellschaftlichen Konventionen und Tugenden übereinstimmen und aus denen die Protagonisten auszubrechen versuchen.


    Kritik lässt sich einzig und allein am Versprechen des in Rot und Schwarz gehaltenen Covers, einen Thriller zu kaufen und zu lesen, anbringen, denn dem Roman fehlt es an dem für einen Thriller notwendigen Tempo und den Spannungsbögen und wird damit der Erwartungshaltung einer Leserklientel, die Nervenkitzel erwartet, nicht gerecht.


    Zum Ende des Romans verbindet James Melville kunstvoll die zwei Stränge um das alte und das neue Japan und lässt den Roman wohltuend ohne einen überdramatischen Höhepunkt ausklingen.


    Mit "Chrysantheme und Schwert" hat James Melville einen im besten Sinne kurzweiligen Unterhaltungsroman geschrieben, der eindrucksvoll und mit einer für 288 Seiten angemessenen Tiefe das Schicksal einer japanischen Familie schildert, die in die Ereignisse des Jahres 1936 verwickelt ist und tritt mit diesem Roman erfolgreich den Beweis an, dass ein Familienroman durchaus anständige Unterhaltung mit einem wissenswerten Einblick in eine andere Kultur verbinden und seine Lektüre durchaus Vergnügen bereiten kann.

  • Danke für die Rezension!


    :anbet


    Damit ist das Buch zum Wiederlesen ein gutes Stück nach oben gerückt. Schöne Wiederentdeckung.





    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus