Amazon-Kurzbeschreibung:
Die Autorin läßt ihre Protagonistinnen inmitten des schwullesbischen Alltags auftreten, im Geschlechterkrieg der Frisöre und in den lesbischen Bars, als verzweifelte Putzfrau in der Nähe der begehrten Kneipenwirtin und in der Frauen-WG. Wie rächt sich eine Lesbe, nachdem sie von einem schwulen Frisör verschandelt worden ist? Wie wird sie mit verteufelt großbusigen Arbeitskolleginnen um die Fünfzig fertig? Warum braucht Monika eine Pistole? Daraus entwickeln sich wunderbar absurde (Großstadt-)-Abenteuer.....
Meine Meinung:
Der "Episodenroman" ist angeblich eine typische literarische Form der postmodernen Popkultur. Also abgedreht, schräg und im Wesentlichen unverständlich? Keineswegs. "Episodenroman" heißt hier, dass Stephanie Sellier uns für unser Geld nicht eine einzelne durchgehende Geschichte serviert, sondern viele kleine Appetithäppchen, aus unterschiedlichen Erzählperspektiven geformt, stilistisch individuell gewürzt und mit ganzseitigen farbigen Illustrationen von Gudula Hesse aufwändig garniert. So wird die Lebensgeschichte der Szenelesbe Susanne Schumacher, die eigentlich genauso stinknormal ist, wie sie heißt, zu einem äußerst schmackhaften Menü.
Da findet sich das peinliche Erlebnis mit der an den Kühlschrank geketteten Gespielin der SM-Mitbewohnerin neben der Sache mit der Voodoo-Puppe, die Gruselgeschichte aus der einsamen Wesermarsch neben dem unverhofften morgendlichen Schäferstündchen mit der besten Freundin, die Begegnung mit der Traumfrau in der Neurologiepraxis neben dem abenteuerlichen Flug mit selbiger nach…? Ausgerechnet Alaska.
Inhaltlich weniger geglückt sind vielleicht die drei Einsprengsel zum Thema "Lesben und Kinder", besonders gut gelungen dagegen die Fantasien aus der Therapiestunde und - eine Schelmin, die Böses dabei denkt! - Kapiteltitel wie "Geh, wohin dein Herz dich fegt" und "Busreise nach Paris".
Egal, in welcher Gestalt es daherkommt - ein Tellerchen Krimi, ein edles Tröpfchen Vampirgeschichte, mehrere kleine Gänge humorvolle leichtfüßige Erzählung, ein Happen Jugenderinnerungen am Telefon - Stephanie Sellier meistert sie alle. Angesichts der überaus gelungenen Illustrationen verzeihe ich dem Verlag die überzähligen Trennungen aus einem früheren Setzversuch, und die Rätsel, mit denen mich das Buch am Ende zurückließ, betrachte ich nicht als Ungereimtheiten, sondern als Herausforderungen eines Buches, das man durchaus mehr als einmal lesen kann.
Wer sich traut, das Buch als Lektüre für den Deutschunterricht vorzuschlagen, beweist dennoch Mut, denn an erotischem Gehalt wird nicht gespart. Begnügen wir uns darum zum Schluss mit Rafael Kuczeras erklärendem Stichwort zum Episodenroman, dessen Anspruch auch dieses Buch erfüllt, ohne dass das Lesevergnügen im Geringsten zu kurz kommt: "Von verschiedenen Standpunkten aus werden Menschen beleuchtet, komplementiert, oft für ihr irrationales Handeln entschuldigt, manchmal aber auch kompromittiert. Hierzu gesellt sich die Mischung von verschiedenen Erzählperspektiven und -strukturen. Dabei wird deutlich, dass der Versuch gestartet wird, sich über die reine Subjektivität und die sich daraus ergebende Reduktion und Unzulänglichkeit der modernen Literatur hinwegzusetzen, indem das subjektive Erleben vieler Protagonisten beschrieben und somit eine neue Art der Objektivität begründet wird."