'Krieg und Frieden' - Band 3, Teil 2 - Kapitel 10 - 24

  • Die letzten Tage kam ich nicht zum Lesen, weshalb ich für diesen Abschnitt länger gebraucht habe. Bei der Ausführlichkeit, mit der Tolstoi schreibt und beschreibt, kann dabei schon mal der durchgehende Faden verloren gehen, und ich habe jetzt gar nicht mehr so genau im Kopf, was in diesen und was in frühere Abschnitte gehört.


    Auf jeden Fall wird es langsam ernst - die französischen Truppen dringen in Russland ein und kommen immer näher. Beim Versuch, ihr Gut zu verlassen, wird Prinzessin Marja von Aufständischen (?) Bauern aufgehalten. Es kommt zu einer Begegnung mit Nikolai Rostow - und bei beiden scheint es zu „funken“! Jedenfalls hilft er ihr bei der Abreise, bei der eben dann doch wieder das Herrschaft- und Dienstverhältnis durch kam. Bei genügend „Renitenz“ seitens Nikolais weichen die Bauern zurück und geben nach. Bis zum endgültigen Aufstand dauert es noch über hundert Jahre.


    Bleibt abzuwarten, ob die beiden sich wiedersehen - und was dann geschieht.


    S. 989 (Ende Kapitel XV): „Ach, diese deutsche Kleinkrämerei!“

    Da konnte ich mir ein Grinsen denn doch nicht verkneifen. :grin


    Überhaupt tauchen immer wieder Aussagen über „die Deutschen“ auf, was zum Einen unter dem Gesichtspunkt eben der Vorurteile interessant ist, zum Anderen, weil es zu der Zeit doch gar kein „Deutschland“ gab. In der Wahrnehmung Tolstois aber anscheinend auf jeden Fall ein „deutsches Volk“.


    S. 1000 (Kapitel XVIII) dann kommt an Tageslicht, daß auch die finanziellen Mittel eines Pierre nicht unerschöpflich sind: um seine eingegangenen Verpflichtungen einhalten zu können, muß er ein Gut verkaufen. Bei seinem Lebensstil habe ich mich schon lange gefragt, wie lange das gut geht und er am Ende mittellos da steht.


    Pierre will also „in den Krieg“. Ich bin gespannt, ob es bei dem Besuch und dem Abreiten der Linie bleibt oder ob da noch mehr Beteiligung kommt. Für einen Offizier halte ich ihn für ungeeignet, und als Graf dürfte er fürs „Fußvolk“ kaum in Betracht kommen.


    Julie Drubezkaja - da schlägt nun die Länge des Buches und die seit Lesebeginn verstrichene Zeit durch: ich entsinne mich, daß sie eine (wie es hieß) nicht unbedingt ansehnliche Frau ist, dafür aber um so mehr finanzielle Mittel verfügt, weshalb sie eine lohnende Partie war. Boris hat um sie geworben, aber daß es zur Hochzeit kam, hatte ich nicht mehr im Gedächtnis.


    Mit großem Interesse habe ich auch in diesem Abschnitt wieder die schon philosophischen Auslassungen Tolstois gelesen. Etwa im Kapitel XIX:

    „Erst die Historiker haben beiden Heerführern, im ihre weitvorausschaunede Genialität zu erweisen, nachträglich allerhand listig ersonnene Kombinationen untergeschoben, während es tatsächlich unter allen den willenlosen Werkzeugen der Weltgeschichte keine sklavischeren und willenloseren gegeben hat als eben diese Heerführer.“

    Eine Aussage, die vermutlich auf die meisten Ereignisse der Weltgeschichte zutreffen dürfte.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • In Kapitel 10 - 12 steht Maria im Mittelpunkt. Sie hat Entscheidungen zu treffen, gleichzeitig trauert sie. Die Szene in der Sommernacht am offene Fenster mit ihren Gedanken um ihren Vater war wunderschön.

    Ich habe mich zunächst geärgert, dass zum folgenden Kapitel ein Szenenwechsel stattfand. Ich wollte einfach nicht weg von da.


    Ich hab nicht mitgekriegt, ab wann Maria und Nikolai gegenseitig wussten, wen sie vor sich hatten. Das muss doch ein peinlicher Moment gewesen sein.

    Beim Versuch, ihr Gut zu verlassen, wird Prinzessin Marja von Aufständischen(?) Bauern aufgehalten.

    So ganz habe ich die Reaktion der Bauern nicht verstanden. Dass sie selbst bleiben wollen, kann ich ja noch verstehen. Aber warum wollen sie Maria nicht weggehen lassen?


    Seltsam kam mir auch vor, dass die Menschen nicht wissen, wer ein russischer und wer ein französischer Soldat ist. Die haben doch Uniformen.

  • So ganz habe ich die Reaktion der Bauern nicht verstanden. Dass sie selbst bleiben wollen, kann ich ja noch verstehen. Aber warum wollen sie Maria nicht weggehen lassen?


    Seltsam kam mir auch vor, dass die Menschen nicht wissen, wer ein russischer und wer ein französischer Soldat ist. Die haben doch Uniformen.

    Vielleicht Neid?


    Nun ja, dazu muß man die Uniformen kennen und unterscheiden können. Ob das die damaligen (leibeigenen) Bauern konnten, wäre zu untersuchen. Und da der Adel noch meist französisch sprach, war die Sprache also auch keine große Hilfe.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Kutusow bekomme ich nicht richtig zu greifen. Für ihn sind Zeit und Geduld die wichtigsten Mittel, einen Feldzug zu gewinnen. Sicher ist es richtig, den passenden Moment abzuwarten. Andererseits war es auch damals so, dass Zeit Geld ist. Die Soldaten mussten versorgt werden. In der Zwischenzeit wird das Land verheert.

    Aber das zieht sich von Anfang an durch das Buch: es muss alles seinen unausweichlichen Gang gehen.

    Ich kann mir vorstellen, dass Kutusow nach außen wirkt als einer, der völlig planlos, ja überfordert ist. Andrej versteht ihn, es beruhigt ihn, dass Kutusow so denkt.


    Ich frage mich, ob Kutusow irgendeine Vorstellung hat, wie der Krieg weitergeht. Er sagt zu Andrej: „Ich werde dir sagen, was man tun muss und was ich tun werde. Wenn du Bedenken hast, … so halte dich zurück“. Jetzt habe ich gedacht, er erklärt sein weiteres Vorgehen, aber es kommt nichts. Oder war das auf irgendeinen Zeitpunkt in der Zukunft bezogen?


    Ganz nebenbei: Ich hätte gern einen Blick in das Buch „Die Schwanenritter“ von Madame Genlis geworfen, so nach dem Motto: Sage mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist. Wie ich im Internet gelesen habe, hat die Autorin nicht gerade Weltliteratur verfasst. Aber was soll man auch in Wartestellung vor einer Schlacht schon lesen?

  • S. 1000 (Kapitel XVIII) dann kommt an Tageslicht, daß auch die finanziellen Mittel eines Pierre nicht unerschöpflich sind: um seine eingegangenen Verpflichtungen einhalten zukönnen, muß er ein Gut verkaufen. Bei seinem Lebensstil habe ich mich schon lange gefragt, wie lange das gut geht und er am Ende mittellos da steht.

    Ein ganzes Regiment zu unterhalten wird ja auch einiges kosten. Das hat man nicht unbedingt flüssig.

    Außerdem hat er die Hälfte seines Vermögens Helene überschrieben.

  • Ich frage mich, ob Kutusow irgendeineVorstellung hat, wie der Krieg weitergeht.

    Irgendeine schon, aber keine so ganz genaue ist mein Eindruck.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Pierre beschließt also in den Krieg zu ziehen. Was für ein groteskes Bild: Pierre im Frack mitten im Getümmel von Kriegsvorbereitungen und Verwundetentransporten!


    Sehr beeindruckend ist Tolstois Beschreibung der Szenerie um Borodino: Der Wechsel von einem Chaos an Soldaten, Fuhrwagen, Reiter, Verwundete, Geschrei und dann die Schönheit der Natur, Sonne und Glockengeläut. Grandios!

    Im 20. Kapitel heißt es: „und es schien ihm, dass hier, bei diesen Leuten, die Lösung der Frage, die ihn beschäftigte, vorliege.“ Um welche Frage geht es hier? Bezieht sich das auf das Ende des 18. Kapitels, wo Pierre das Gefühl bekommt, etwas zum Opfer bringen zu müssen?

    Mit großem Interesse habe ich auch in diesem Abschnitt wieder die schon philosophischen Auslassungen Tolstois gelesen. Etwa im Kapitel XIX:

    „Erst die Historiker haben beiden Heerführern, im ihre weitvorausschaunede Genialität zu erweisen, nachträglich allerhand listig ersonnene Kombinationen untergeschoben, während es tatsächlich unter allen den willenlosen Werkzeugen der Weltgeschichte keine sklavischeren und willenloseren gegeben hat als eben diese Heerführer.“

    Eine Aussage, die vermutlich auf die meisten Ereignisse der Weltgeschichte zutreffen dürfte.

    Wäre interessant zu erfahren, wie heutige Historiker die tatsächlichen oder ersonnenen Kombinationen sehen.

  • Im 20. Kapitel heißt es: „und es schien ihm, dass hier, bei diesen Leuten, die Lösung der Frage, die ihn beschäftigte, vorliege.“ Um welche Frage geht es hier? Bezieht sich das auf das Ende des 18. Kapitels, wo Pierre das Gefühl bekommt, etwas zum Opfer bringen zu müssen?

    Ich glaub, jetzt weiß ich es. Es geht um die Frage nach dem Sinn des Ganzen und warum die russischen Soldaten so gelassen am Vortag einer Schlacht sind.

  • Pierre beschließt also in den Krieg zuziehen. Was für ein groteskes Bild: Pierre im Frack mitten imGetümmel von Kriegsvorbereitungen und Verwundetentransporten!

    Das fand ich auch irre - vor allem, daß der da so ungehindert überall hin konnte und durfte !


    Sehr beeindruckend ist TolstoisBeschreibung der Szenerie um Borodino: Der Wechsel von einem Chaos anSoldaten, Fuhrwagen, Reiter, Verwundete, Geschrei und dann dieSchönheit der Natur, Sonne und Glockengeläut. Grandios!

    :write Aber wenn Du solche Wechsel in absoluter grandioser Meisterschaft lesen willst, dann lies "Der stille Don" von Michail Scholochow. Da hat es grandiose Naturschilderungen. Aber je grandioser die Natur - um so furchtbarer das, was in der Menschenwelt passiert. Immer, wenn er eine Idylle bringt, ist das die Einleitung zu etwas Grauenhaftem, was folgen wird. Aber sei gewarnt: bei ähnlichem Umfang die "Krieg und Frieden" ist das ein sehr harter Lesestoff!

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich habe mir "Der stille Don" vor kurzem gekauft. Aber es scheint auch eine gekürzte Version zu sein, wenn du sagst, es ist ähnlich umfachreich wie "Krieg und Frieden". Das ist doch eine Unverschämtheit, diese Meisterwerke zu verstümmeln und das dann nicht einmal kenntlich zu machen.

  • @ made

    Den "Stillen Don" habe ich auch in einer Bertelsmann-Club-Ausgabe, die hat in zwei Bänden 1.478 Seiten, wenn man die Satzspiegel umrechnet, sind das (geschätzt) vielleicht maximal rund hundert Seiten weniger als "Krieg und Frieden".


    Kürzungen deutscher Ausgaben ist ein Kapitel für sich, da waren (und sind?) manche Verlage hemmungslos.


    Übrigens gab es zum "Stillen Don" in 2012 eine Leserunde hier. Seither habe ich vor, das Buch wieder zu lesen - emotional gesagt zehre ich noch immer davon. :rolleyes

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Oh je, das ist ärgerlich. Ich habe das - ohne daß ich es lesen könnte! - auch in einer russischen Ausgabe, da sind es auch zwei Bände.


    Mir ging es vor Jahren so mit Dumas "Der Graf von Monte Christo". Als ich den gelesen hatte, habe ich irgendwann später festgestellt, daß es da Ausgaben mit deutlich mehr Umfang gibt. Da bin ich heute noch angesäuert, weil ich meiner Ausgabe nichts von einer Kürzung steht.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Die Bauern waren nicht aufständig, sondern hatten einfach nur Angst. Mit wollten sie nicht, da sie dort mittlerweile freie Bauern waren und bei Moskau dachten sie, wären sie wieder Sklaven.

    Sie vertrauten dem Flugblatt und dem Falschgeld. Es wurde versprochen, dass nichts passiert, wenn sie blieben. Sind aber die Häuser leer oder sogar niedergebrannt, fürchteten sie Napoleons Rache.

  • Ein ganzes Regiment zu unterhalten wird ja auch einiges kosten. Das hat man nicht unbedingt flüssig.

    Außerdem hat er die Hälfte seines Vermögens Helene überschrieben.

    Es waren doch 800.000 Rubel, die Pierre für das Regiment gab. Es stand zumindest bei mir, dass ein anderer diesen Betrag einbrachte und sich Pierre in gleicher Höhe beteiligte.