'Krieg und Frieden' - Band 4, Epilog 01 - 26

Die tiefgreifenden System-Arbeiten sind soweit abgeschlossen. Weitere Arbeiten können - wie bisher - am laufenden System erfolgen und werden bis auf weiteres zu keinen Einschränkungen im Forenbetrieb führen.
  • Ausgelesen; ich habe rund sechs Wochen für das Buch gebraucht - so lange habe ich, wenn meine Erinnerung zutrifft, noch nie an einem Roman gelesen. Nach einem (für mich) schwierigen Start konnte mich das Buch denn doch noch überzeugen und begeistern, wenngleich bis zum Ende eine gewisse Distanz zu den Figuren bestehen blieb, was sich in relativ wenig Empathie mit dem Schicksal derselben meinerseits ausdrückte.


    Trotz allem bin ich froh, das Buch gelesen zu haben; und ich bin mir relativ sicher, es irgendwann nochmals lesen zu wollen. Allerdings erst, wenn ich von den im Buch vorkommenden historischen Ereignissen mehr Ahnung habe.


    Jetzt kann ich erst mal daran gehen, in den einzelnen Abschnitten zu schreiben.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Die ersten Kapitel gehen wieder um die Vorsehung. Das Beispiel mit der Herde von Hammeln finde ich recht anschaulich. Was sind wir nur für Schafe! :lache


    Allerdings geht es mir zu weit, wie Tolstoi Napoleon als Werkzeug der Vorsehung versteht. Sie bemüht alle möglichen „Zufälle“, damit Napoleon an die Position gelangt, die nötig ist, das zu tun, was er tun muss.

    Ich persönlich glaube, dass es viele Möglichkeiten gegeben hätte, wie sich die Geschichte hätte entwickeln können, wenn diese „Zufälle“ nicht eingetreten wären. Wenn es eine Macht gibt, die die Geschichte steuert, hat sie es nicht nötig, sich eines ganz bestimmten Menschen zu bedienen.


    Es mag ja sein, dass es so etwas wie einen Endzweck gibt. Allerdings liegt er, meine ich, außerhalb der menschlichen Sphäre. Hier denkt Tolstoi zu sehr aus menschlicher Sicht. So wie die Hammel nicht über ihren Endzweck nachdenken können, weil ihnen die Möglichkeit der Wahrnehmung und verstandesmäßigen Verarbeitung fehlt, fehlt uns Menschen das Verständnis unseres Endzwecks, weil die Kraft, die womöglich uns steuert, nicht mit menschlichen Begriffen wie Zweck, Vorsehung usw. begriffen werden kann.


    Genauso wenig kann man sagen, dass ein wie auch immer gearteter Gott denkt, liebt oder handelt, weil das lediglich menschliche Begriffe von den Dingen sind, die der Mensch als das höchste ansieht. Ein Gott hat viel unvorstellbarere Möglichkeiten.

    So wie ein Blinder nur äußerst ansatzweise begreifen kann, was Farben sind, kann ein Mensch verstehen, was für Eigenschaften ein Gott hat, und die gehen meines Erachtens weit über die Begriffe Denken, Zweck und Plan hinaus.


    Womöglich gibt es allerdings überhaupt keine Steuerung von außen. Vielleicht ist die Welt, wie wir sie begreifen, irgendwie entstanden und sich selbst überlassen. Oder vielleicht liegt alles schon seit der Erschaffung der Welt von Anfang an in den Dingen und Lebewesen drinnen.


    Oh Gott. Versteht das jemand?

  • Bis Kap. 8


    Ich weiß nicht, was Tolstoi uns mit Nikolai sagen will. Er scheint bis zu seiner Heirat mit Maria keine Entwicklung zu durchlaufen. Er hat schon immer das gemacht, was ihm Spaß gemacht hat, ohne sich über die finanzielle Lage Gedanken zu machen. Als seine Mutter ihn um Hilfe bittet, lässt er die Familie in Stich und macht weiter wie bisher. Als sein Vater stirbt, muss er wohl oder übel die Aufgabe des Familienoberhaupts übernehmen. Und das macht er eher schlecht. Er sagt seiner Mutter nicht die Wahrheit über ihre finanzielle Situation. Manche sehen das als Aufopferung an, dabei ist das doch eher Feigheit. Seine Mutter muss doch wissen, dass es finanziell nicht zum besten steht, schließlich haben sie ihr Haus verkauft und sind in eine Wohnung gezogen.


    Er schafft es nicht, irgendwelche einschneidenden Maßnahmen zu ergreifen, mit denen er die Situation in den Griff bekommt. Er wurstelt sich durch, doch alles wird eher schlechter als besser. Was wäre geworden, wenn Maria nicht wieder in sein Leben getreten wäre. Vermutlich wäre die Familie noch weiter herunter gekommen, bis nicht einmal eine Geldheirat in Frage gekommen wäre.

    Er hat Glück, dass sie die Initiative ergreift.


    Erst nach seiner Heirat mit Maria bringt er was Ordentliches zustande. Allerdings sind da noch seine Gewaltausbrüche. Ich finde, das kann man nicht damit entschuldigen, dass er das so von früher gewohnt ist. Das ist doch eine Frage der inneren Einstellung. Da ist noch etwas offen bei ihm.


    Seltsamerweise erfährt man nichts von seinen Gefühlen, als sein Bruder stirbt.

  • Was hat Tolstoi nur aus Natascha gemacht! Ein Hausmütterchen! Ich verstehe natürlich, dass in einer Ehe die Anziehungskraft nicht nur auf äußere Reize beruhen, sondern sich auf einer tieferen Ebene abspielen soll. Aber dass Natascha alles aufgibt, was sie äußerlich attraktiv macht, sogar das Singen, finde ich einfach zu viel. Und die Aussage ihrer Mutter, dass sie in jungen Jahren nur deshalb so lebhaft war, weil sie auf der Suche nach genau diesem Leben war, ist doch ausgesprochener Unsinn. Aber das war wohl Tolstois Ideal einer Ehefrau, oder zumindest eine Variante.


    Um auf die Frage zurückzukommen, die früher mal in dieser Leserunde gestellt worden ist: Wären Andrej und Natascha glücklich miteinander geworden? Ich glaube nicht, dass Andrej eine solche Natascha gefallen hätte. Ich denke, er hätte sehr gern eine Frau gehabt, mit der er tiefere Gespräche hätte führen können. Aber vielleicht hätte sich Natascha mit Andrej anders entwickelt.

    Pierre hat seine Visionen und braucht es, dass Natascha hinter ihm steht. So gesehen passt es also.

  • Maria und Nikolai passen eigentlich gar nicht zusammen. Ich habe mich schon früher gefragt, was sie an ihm findet. Sie sagt sich (Kap. 6): „ … ich habe sein edles, festes, selbstloses Herz erkannt“. Also ich kann mir nicht helfen, ich habe es nicht erkannt.

    Aber vermutlich brauchen sie sich gegenseitig. Er braucht sie, um seine negativen Anwandlungen in den Griff zu bekommen, und sie braucht ihn, damit sie nicht schon zu Lebzeiten auf Engelsflügeln davon fliegt.

  • Um auf die Frage zurückzukommen, die früher mal in dieser Leserunde gestellt worden ist: Wären Andrej und Natascha glücklich miteinander geworden? Ich glaube nicht, dass Andrej eine solche Natascha gefallen hätte. Ich denke, er hätte sehr gern eine Frau gehabt, mit der er tiefere Gespräche hätte führen können. Aber vielleicht hätte sich Natascha mit Andrej anders entwickelt.

    Pierre hat seine Visionen und braucht es, dass Natascha hinter ihm steht. So gesehen passt es also.


    Ich hatte diese Frage gestellt. Komischerweise habe ich gerade durch diese veränderte Natascha das Gefühl, ja, Andrej wäre mit dieser glücklich geworden. Die kleine Fürstin, also Lisa kokettierte trotz Schwangerschaft mit Ippolit Kuragin am Anfang des Romans. Sie schien das Leben in der Gesellschaft von Peterburg zu lieben. Hingegen war Andrej dieses zuwider. Und dann nach Austerlitz, nach dem Tod seiner Frau hat sich Andrej in die Einsamkeit begeben. Das Landleben, schien mir, lag ihm mehr. Und deshalb bin ich wohl zu dieser Ansicht gekommen.

  • Das Beispiel mit der Herde von Hammeln finde ich recht anschaulich. Was sind wir nur für Schafe! :lache

    Das fand ich in den letzten Abschnitten (also nicht nur im Epilog) auffallend: Diese fantastischen, zutreffenden Metaphern, die Tolstoi gebraucht. In diesen Augenblicken habe ich bedauert, das Buch zu hören und nicht mehr zu lesen. Diese wunderbaren Vergleiche hätte ich mit Sicherheit unterstrichen.

  • Ich habe es nach etwas mehr als 2 Monaten nun auch geschafft. Der Epilog war noch mal harte Kost und eher ein Sachbuch.


    Der belletristische Teil des Epilogs dagegen war gut, auch wenn alle nun sehr gesittete Eltern geworden sind und nicht mehr so viel Schwung wie vorher haben.


    Marja hat durch die teilweise widerliche Behandlung ihres Vaters wohl ein Trauma bekommen. Permanent befürchtet sie, von Nikolai schlecht behandelt und abgekanzelt zu werden. Dabei geht er mit ihr richtig liebe- und rücksichtsvoll um.


    Was muss das aber für ein trauriges Leben von Sonja sein. Eigentlich sollte sie die Hausherrin sein. Stattdessen sitzt sie nun am Katzentisch und bewacht den Samowar. :(

  • Sonja scheint ja das geborene Opfer zu sein, d. h. sicher war es ihr nicht in die Wiege gelegt. Aber vermutlich hat man ihr schon von klein auf klar gemacht, dass sie dankbar zu sein hat, dass sie von den Rostows in die Familie aufgenommen worden war.


    Im Gespräch mit Maria sagt Natascha (Kap. 8):

    "Sie ist eine taube Blüte; weißt du, wie an einer Erdbeerstaude. Manchmal tut sie mir leid; aber manchmal denke ich, daß sie es nicht so empfindet, wie wir es empfinden würden.«


    Da frage ich mich, ob sich das Natascha nicht schön redet, um ihr oder Marias schlechtes Gewissen zu beruhigen.

    Maria kann zwar nichts dafür, dass Nikolai sie und nicht Sonja geheiratet hat, aber sie ist der Typ, sich darüber Gedanken zu machen. Und Natascha fallen bestimmt 100 Situationen ein, in denen sie früher Sonja gegenüber ungerecht gewesen war, auch wenn sie es nicht absichtlich getan hat.

  • dass sie von den Rostows in die Familie aufgenommen worden war

    Ich weiß das gar nicht mehr. War Sonja eine Waise oder warum lebte sie bei den Rostows?


    Da frage ich mich, ob sich das Natascha nicht schön redet, um ihr oder Marias schlechtes Gewissen zu beruhigen.

    Zum Teil wohl das, zum anderen aber wohl auch der Standesdünkel. Sonja hatte ja keinen Adelstitel oder wurde sie auch mit Prinzessin angeredet? Sie war im Stand schon mindestens eine Stufe unter den anderen beiden.

  • Ja, Nicht und Cousine war noch klar. Eigentlich müsste sie dann auch adelig sein, so angesprochen wurde sie aber nie, meine ich.

    Mir fällt da auch nichts ein. In meiner Erinnerung tritt Sonja im Buch hauptsächlich im Familienkreis auf. In Gesellschaft ist sie immer "nur so" dabei, als Nebenfigur. Da bekommt man nicht mit, wie sie tituliert wird.

    Wenn sie eine Nichte der Rostows ist, müsste sie doch einen ähnlichen gesellschaftlichen Rang haben wie Natascha.

    Es ist aber auch durchaus möglich, dass sie keine Nichte ersten Grades ist, sondern weitschichtiger verwandt.

  • Der - lange - Epilog war noch mal nett, um einen Blick auf die Protagonisten, vor allem die nun verheirateten Paare zu werfen. Natalies Veränderung finde ich regelrecht erschütternd. Nikolai dagegen hat es geschafft, sich selbst aus den Schulden zu ziehen, Peter will eine geheime Gesellschaft gegen die Regierung gründen (erst 100 Jahre später wird die Monarchie beendet).


    Insgesamt hat mir "Krieg und Frieden" ganz gut gefallen, manche Szenen sind sehr unterhaltsam, es gab etwas zum Schmunzeln und etwas zum Weinen. Der Krieg gegen Napoleon einmal aus russischer Sicht zu sehen, ist ganz interessant. Leider gibt es auch einige Längen, manchmal habe ich Szenen nur überflogen.


    Ich bin froh, dass ich den Roman endlich gelesen habe, hätte ich schon früher tun sollen.

  • Doch, ich denke schon, dass ich verstehe, was du meinst.


    Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass man nicht alles mit dem menschlichen Verstand erklären kann. Man kann mit dem Verstand viel begreifen und erklären, aber nicht alles.

    Ich finde es z.B. immer faszinierend, darüber nachzudenken, dass Gott schon immer da war. Wenn ich mir versuche, das vorzustellen, stoße ich sehr schnell an meine Grenzen. Da denke ich, dass der menschliche Verstand wohl nicht dafür gemacht ist, das zu begreifen. Allerdings führen die Theorien zum Thema Existens Gottes immerhin zu solch eine Idee.


    Was hat Tolstoi nur aus Natascha gemacht! Ein Hausmütterchen! Ich verstehe natürlich, dass in einer Ehe die Anziehungskraft nicht nur auf äußere Reize beruhen, sondern sich auf einer tieferen Ebene abspielen soll. Aber dass Natascha alles aufgibt, was sie äußerlich attraktiv macht, sogar das Singen, finde ich einfach zu viel. Und die Aussage ihrer Mutter, dass sie in jungen Jahren nur deshalb so lebhaft war, weil sie auf der Suche nach genau diesem Leben war, ist doch ausgesprochener Unsinn. Aber das war wohl Tolstois Ideal einer Ehefrau, oder zumindest eine Variante.


    Um auf die Frage zurückzukommen, die früher mal in dieser Leserunde gestellt worden ist: Wären Andrej und Natascha glücklich miteinander geworden? Ich glaube nicht, dass Andrej eine solche Natascha gefallen hätte. Ich denke, er hätte sehr gern eine Frau gehabt, mit der er tiefere Gespräche hätte führen können. Aber vielleicht hätte sich Natascha mit Andrej anders entwickelt.

    Pierre hat seine Visionen und braucht es, dass Natascha hinter ihm steht. So gesehen passt es also.

    Ich habe eher den Eindruck gewonne, dass Natascha sich allgemein sehr schnell den Dingen fügen kann. Wie schnell hatte sie sich damals in Andrej verliebt. Und wie schnell wollte sie mit Anatol durchbrennen.

    Und so schnell hat sie sich mit Andrejs Tod abgefunden und sich für die Ehe mit Pierre geöffnet.


    In der Verfilmung war ich irgendwie entsetzt darüber, dass Natascha so schnell in eine (Liebes)Heirat eingewilligt hat, kaum, dass sie Pierre wiedergesehen hatte. Im Buch ging es dann nicht so salopp. Und im Buch hat Marja meine kleine Enttäuschung über Nataschas Liebe zu Andrej wiedergespiegelt. (Das hatte mir im Film gefehlt.) Also, ich meine damit, wenn Natascha so schnell in eine Heirat einwilligt und dabei meint, sie liebe Pierre schon jetzt, könnte man schnell meinen, ihre Liebe zu Anderj war gar nicht so stark/ehrlich, wie sie die ganze Zeit schien; nur so eine kindelei.

    Deshalb bin ich dann beim Lesen zum Entschluss gekommen, dass Natascha sich einfach generell schnell den Dingen anpassen kann. Insgeheim trauert sie ja dennoch um Andrej. (Und das fehlt m.M.n. im Film gänzlich. Und darum war ich dann so enttäuscht von Natascha am Ende des Filmes.)

    Ich habe es nach etwas mehr als 2 Monaten nun auch geschafft. Der Epilog war noch mal harte Kost und eher ein Sachbuch.


    Der belletristische Teil des Epilogs dagegen war gut, auch wenn alle nun sehr gesittete Eltern geworden sind und nicht mehr so viel Schwung wie vorher haben.

    So habe ich das Buch dann in der zweiten Hälfte empfunden: Belletristik mit Sachtexten umrahmt. Ich habe dann nur noch den belletristischen Teil gelesen.


    Falls ich jemals wieder Krieg und Frieden lesen sollte, werde ich mich auf jeden Fall mit einer kürzeren Version probieren.


    Insgesamt hat mir "Krieg und Frieden" ganz gut gefallen, manche Szenen sind sehr unterhaltsam, es gab etwas zum Schmunzeln und etwas zum Weinen. Der Krieg gegen Napoleon einmal aus russischer Sicht zu sehen, ist ganz interessant.

    Mir ging es mindestens genau so. (Ich muss immer noch an die Tanzeinlage von Denissow - ich glaube, dass war Denissow - denken. :-] Auf jeden Fall ein interessantes, unterhaltsames (dickes) Buch.



    Und zum Schluss: Ach Sonja, ... ich hoffe, du hast das alles gut wegstecken können und konntest auch glücklich werden.

    Sasaornifee :eiskristall

    _______________________
    "Ich habe nicht mehr Ambitionen zum Fliegen als ein verdammter Strandlöper!" - Die Insel der Tausend Leuchttürme - Walter Moers

  • Ich habe eher den Eindruck gewonne, dass Natascha sich allgemein sehr schnell den Dingen fügen kann. Wie schnell hatte sie sich damals in Andrej verliebt. Und wie schnell wollte sie mit Anatol durchbrennen.

    Und so schnell hat sie sich mit Andrejs Tod abgefunden und sich für die Ehe mit Pierre geöffnet.

    Das ist mir gar nicht so aufgefallen, aber du könntest rechthaben.

    Ich denke aber auch, dass Nataschas Ruf ramponiert ist. Es war in damaligen Zeiten allen klar, dass sie jede Gelegenheit ergreifen muss zu heiraten. Eine gute Partie war Pierre doch allemal.

    Dass Natascha das nicht schwer gefallen ist, liegt womöglich auch daran, dass sie ihn nicht nur als Ehemann, sondern auch als Freund sehen konnte.

    Zumindest habe ich das so vage im Gefühl.