Super Sad True Love Story - Gary Shteyngart

  • Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, in welcher Rubrik dieses Buch am besten aufgehoben wäre, deshalb stelle ich es einfach mal hier rein und bitte jene, die es besser wissen, das Verschieben zu organisieren. Danke.



    Klappentext
    In einer sehr nahen Zukunft - nächsten Dienstag, wer weiß ? - steht ein reizüberflutetes, konsumversessenes, analphabetisches Amerika vor dem Zusammenbruch. Aber sage das niemand dem russischstämmigen Hausmeistersohn Lenny Abramov, stolzem Autor des vermutlich letzten Tagebuchs und weniger stolzem Besitzer einer kahlen Stelle auf dem Kopf. Obwohl er in einem Unternehmen arbeitet, das der reichen Klientel Unsterblichkeit verspricht, pirscht sich der Tod an diesen 39-jährigen Cholesterinhappen gemessenen Schritts heran. Warum auch nicht? Lenny ist aus einem anderen Jahrhundert - liebt Bücher, auch wenn viele seiner Freunde glauben, dass sie stinken. Aber noch mehr als Bücher liebt er Eunice Park, eine unwahrscheinlich süße und unwahrscheinlich abgebrühte 24-jährige koreanischstämmige Frau, die im Hauptfach Images und im Nebenfach Selbstsicherheit studiert hat und ihm in Rom in die Arme läuft. Sofort zeigt sie ihm, wie man effektiver die Zähne putzt, geht mit ihm nicht entflammbare Baumwollkleidung kaufen.


    Amerika hingegen ist weniger flammenresistent als Lennys neue Ausstaffierung. Das Land steckt in einer Kreditkrise und ist bei den Chinesen hochverschuldet, Unruhen brechen im New Yorker Central Park aus, Panzer der Nationalgarde stehen an jeder Ecke. Unbeirrt will Lenny seine wankelmütige Geliebte davon überzeugen, dass es sich in einer Zeit ohne Normen und Stabilität, in einer Welt, in der man «Attraktivität» und «Nachhaltigkeit» seines Gegenübers per Mausklick abfragen kann, in einer Gesellschaft, in der die Betuchten womöglich ewig leben, die Armen hingegen zu früh sterben werden, trotzdem lohnt, ein Mensch zu sein.


    Autor
    Gary Shteyngart ist als Kind mit seinen Eltern aus der Sowjetunion in die USA gekommen. Er lebt in New York.


    Meine Meinung
    Das wichtigste Vorweg: Das nebensächlichste im ganzen Buch ist die im Titel genannte Love Story.
    Super Sad True Love Story ist ein unheimlich phantasievolles Buch, bei dem man jedoch nie den Eindruck hat, das es sich um eine Traumwelt handelt. Dazu ist das ganze beschriebene Szenario zu dicht an der Wirklichkeit. Die Geschichte spielt im Amerika der nahen Zukunft, die Amis sind praktisch pleite, die Währung wird vom Yuan gestützt, jeder rennt mit einem "Äppärät", einer Weiterentwicklung heutiger Smartphones rum und die Kleidung... Lest es selbst, ich will hier nicht zu viel verraten. Geschrieben wird das Buch aus zwei Perspektiven: Zum einen schreibt Lenny, ein 39jähriger New Yorker, ein Tagebuch - vermutlich das letzte seiner Art. Zwischen den einzelnen Tagebucheinträgen gibt es den Mailverkehr von Eunice, die Lenny kurz vor dem Ende seines einjährigen Aufenthalts in Italien kennen gelernt hat. Insgesamt ein sehr ansprechendes Buch mit netten, aber imho niemals übertriebenen Wendungen. Auf jeden Fall lesenswert!


    Zu guter Letzt möchte ich, was ich sonst eigentlich nie mache, auf Cover und Titel eingehen, das dem Buch leider nicht gerecht wird: Ich hätte dieses Buch im Buchladen wohl nie in die Hand genommen, wenn ich nicht zufällig eine Besprechung dieses Buches im Deutschlandfunk gehört hätte. Das Cover ist einfach nur nichtssagend, aber in Verbindung mit dem Titel hätte ich auf irgendeine Liebesschnulze getippt und zielsicher woanders hin gegriffen. Zwar paßt der Titel in gewisser Weise, aber die Assoziation beim Käufer, der den Inhalt noch nicht kennt, dürfte in eine völlig andere Richtung gehen. Schade.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Danke für diese aufklärende Rezi. :wave Mir ging es wie dir: Cover und Titel suggerierten mir ziemlich eindeutig, dass dieses Buch nichts für mich ist. Aber nach dem zu urteilen, was du darüber geschrieben hast, klingt es ganz interessant, also wird es auf die Leseliste wandern.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Da das Buch in der Bibliothek verfügbar war, landete es ziemlich schnell bei mir auf dem Bücherstapel. Ich kann mich jedoch leider der Meinung von LeSeebär nicht anschließen, denn ich habe das Buch nach der Hälfte abgebrochen. Shteyngart formuliert zwar interessante Ideen (und damit verbunden natürlich auch Gesellschaftskritik), aber scheiterte daran, mir diese näher zu bringen. Die Charaktere blieben für mich eher blass und ihr Handeln nicht nachvollziehbar. Gut möglich, dass es einfach nicht meine Wellenlänge ist - seinen Schreibstil und Humor muss man eben mögen, ansonsten kann man mit Buch wohl nicht viel anfangen...

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Ich habe das Buch gerade ausgelesen. Mir hat es gut gefallen. Besonders die Zukunftsbeschreibung: teilweise vielleicht überspitzt, aber doch möglich :grin.


    Aufmerksam wurde ich auf das Buch durch eine gute Kritik im Feuilleton einer Tageszeitung.

  • Ich bin auf das Cover hereingefallen und habe nun statt der erwarteten Liebesgeschichte ein ... ja was eigentlich erhalten? Die Liebe kommt vor, als roter Faden quasi. Mehr noch aber werden Gesellschaft und Lifestyle beschrieben, eng verbunden mit den Gedanken von Lenny, der ein Kind jüdischer Einwanderer ist. Das spielt hier und da eine große Rolle. Ich kann mich nicht so gut in ihn hinein versetzen, viele Gedanken und Gefühle, auch seinen Eltern gegenüber, bleiben mir fremd. Schwer tue ich mich auch mit den Gedanken, mit 39 Jahren schon alt zu sein. Manchmal meint man, der Erzähler sei 60 oder 70 Jahre. Die Darstellung der Gesellschaft dagegen gefällt mir gut, sie ist nahe genug am heute dran, nur überspitzter und noch beängstigender kommerzialisiert. Ist das Buch kritisch? Ich denke schon, komme mit dem Stil des Autors aber nicht soooo gut zurecht und wage es deshalb nicht fest zu behaupten. Erschreckend ist für mich die allgegenwärtige Pornographie, der Rassismus, die Nacktheit, die Sprunghaftigkeit ... das alles finde ich gut durch Eunice transportiert.
    Alles in allem ein Buch, mit dem ich mich schwer getan habe und das ich dennoch merkwürdig lesenswert finde. Der Fall Amerikas und der Umgang der Einwohner mit diesem ist vorstellbar geworden. Was dannach geschieht, würde mich auch interessieren.

  • Tragikomische, brilliant erzählte Dystopie


    Lenny Abramov ist Ende dreißig, und als er nach einem Auslandsjahr - Rom, Italien - in das zurückkehrt, was von den Vereinigten Staaten noch übrig ist, muss er feststellen, zum sehr alten Eisen zu gehören. Dies umso mehr, da er für "Posthumane Dienstleistungen" arbeitet, eine Unternehmung des "Wapachung"-Konzerns, der sich mit wenigen anderen Monopolisten das bisschen Industrie teilt, das noch in den USA agiert. "Posthumane Dienstleistungen" bietet unter anderem "Dechronifizierung" an, also die Verjüngung seiner betuchten Klienten. Lennys Aufgabe bestand während des vergangenen Jahres darin, in Europa neue Kunden zu suchen, aber er hat keine gefunden. Halb so wild, denn Chef der Firma ist Lennys Langzeitkumpel Joshie, der zwar weitere dreißig Jahre älter ist, aber wie ein Teenager aussieht - unter anderem, weil durch seine Venen nanomaschinengesteuertes "SmartBlood" pulsiert, das von selbst fließt, weshalb perspektivisch kein Herz mehr benötigt wird. Was metaphorisch für die gesamte Zukunft steht, die Shteyngart hier skizziert.


    Lenny hat in Italien die fast zwanzig Jahre jüngere Eunice Park kennengelernt, die Tochter koreanischer USA-Immigranten, und Lenny ist verliebt, weshalb es auch nicht so schmerzt, dass sein Name trotz der Freundschaft zu Joshie nicht mehr auf jenen Anzeigetafeln vorzufinden ist, die den "Posthumane Dienstleistungen"-Mitarbeitern anzeigen, welchen Status sie in der Firma derzeit innehaben, etwa "kooperativ, aber zurückhaltend". Denn in Abramovs Amerika ist sowieso alles anders, und dann doch wieder nicht so sehr: Shteyngarts zwingender Nahzukunftsentwurf denkt die Gegenwart in einer Konsequenz fort, dass einem beim Lesen Angst und Bange werden kann. Was in Amerika noch halbwegs Rendite abwirft, gehört zu den Sparten "Konsum" oder "Kredit". Alle Menschen laufen mit "Äppäräten" (die auch im englischen Original so heißen) herum, multidimensionalen Kommunikationsgeräten, die bis zum intimsten Detail jederzeit alles über jeden verraten - was vielleicht noch fehlt, krakehlen "Kreditmasten" in die Welt, die beim Passieren das Rating der Passanten anzeigen. Überhaupt wird alles - von der sexuellen Potenz bis eben zur Bonität - "geratet" und bewertet, die Bürger sind gläsern und auch optisch transparent: Zur aktuellen Mode gehören "Onionskin"-Jeans, die schlicht völlig durchsichtig sind. Kommunikation ist offen und via "GlobalTeens" monopolisiert, aber man schreibt oder liest nicht, sondern man streamt, scannt oder textet; Schriftsprache beherrscht fast niemand mehr. Das letzte gedruckte Buch ist vor so langer Zeit erschienen, dass sich kaum noch jemand erinnert, weshalb Lennys sorgfältig gepflegte Bibliothek bei Besuchern amüsiertes Staunen hervorruft. Man betastet die Cover und wundert sich über den unfrischen Geruch.


    In dieser Welt mit ihrer Tabulosigkeit, ihrem Jugendlichkeitswahn, ihrem kulturellen Raubbau und ihrer grenzenlosen Transparenz, die keineswegs mit mehr Wissen, sondern eher mit egozentrischem Desinteresse einhergeht, ist der achtunddreißig Jahre alte Lenny Abramov ein Anachronismus. Die Liebe zur zarten, klugen und verunsicherten Eunice Park, die ihm hinterherreist und auch bei ihm einzieht, verschafft ihm eine kurze Periode der Frische, verbunden aber mit der Gewissheit, ein Auslaufmodell zu sein, Eunice bald wieder zu verlieren und in dieser Welt ohnehin nichts mehr zu suchen zu haben. Ulkigerweise gilt das für diese Welt selbst auch; Amerika rangiert inzwischen weit hinter ehemaligen Schwellenländern, der Dollar ist an den chinesischen Yuan gekoppelt, die Musik spielt anderswo, etwa in Norwegen, SicherheitsKanada oder HeiligPetrolRussland (und, natürlich, in China, angeführt von der Kapitalistischen Volkspartei). Wer die Staaten genau regiert, weiß niemand so recht, aber es ist auch egal, weil die wenigen Konzerne das Geschehen bestimmen - auch das militärische. Und die Bürger interessiert sowieso höchstens, was die neuen Onionskins bei "AssLuxury" kosten. Oder ob sie einen schmalen Job im Konsum bekommen können, nach dem erfolgreichen Studium so spektakulärer Fachrichtungen wie "Images und Selbstsicherheit". Die Alternative besteht darin, zu den "Vermögensschwachen" zu gehören, die in Zeltstädten die Parks von Manhattan bevölkern und argwöhnisch von "WapachungKrise" beobachtet werden.


    "Super Sad True Love Story" besteht aus Lennys Tagebucheinträgen und der GlobalTeens-Kommunikation von Eunice Park. Schon die fast beiläufig vermittelte, authentische Gegensätzlichkeit dieser Modelle macht das Buch lesenswert, aber in jedem Kapitel, jedem Abschnitt, jedem Satz stecken so viele Ideen und Weisheiten, dass es einem den Atem raubt. Zumal dies mit der unangenehmen Gewissheit einhergeht, eine Perspektive dessen wahrzunehmen, woran wir derzeit alle arbeiten: Wenige Konzerne, die die Kommunikation beherrschen, angetrieben vom nihilistischen Mitteilungsrausch der Menschen, einem grenzenlosen Konsumdrang und einer streng profitorientierten Globalisierung, fokussiert in einem Menschenbild, an dessen Ende lediglich ein renditebringender Datenknoten steht, der jederzeit durch irgendeinen anderen ersetzt werden kann. Es mag sein, dass einige der Technologien, mit denen sich Lenny Abramov auf naiv-konservative Weise auseinandersetzt, noch Zukunftsmusik sind, aber die Töne, aus denen sie komponiert wird, gibt es jetzt schon. Und die Dirigenten stehen auch bereits am Pult.


    Ich bin an dieses Buch, das im Jahr 2010 publiziert wurde und recht erfolgreich war, erst über Shteyngarts kürzlich erschienene Autobiografie "Kleiner Versager" geraten, und das war ein Glück. "Super Sad True Love Story" ist trotz des auf den ersten Blick recht blöden Titels (der aber im Roman seine Erklärung findet) eines der besten Bücher, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe.

  • Titel: Super Sad True Love Story

    Autor: Gary Shteyngart

    Übersetzt aus dem Englischen von: Ingo Herzke

    Verlag: Rowohlt

    Erschienen als TB: Februar 2013

    Seitenzahl: 463

    ISBN-10: 3499255006

    ISBN-13: 978-3499255007

    Preis: 9.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    In einer sehr nahen Zukunft steht ein reizüberflutetes, analphabetisches und bei den Chinesen hoch verschuldetes Amerika vor dem Zusammenbruch. Aber sage das niemand dem russischstämmigen Hausmeistersohn Lenny Abramov, der seine Bücher liebt und vor allem Eunice Park, eine unwahrscheinlich süße und abgebrühte junge Frau. Unbeirrt will Lenny seine wankelmütige Geliebte davon überzeugen, dass es sich in einer Zeit ohne Normen und Stabilität trotzdem lohnt, ein Mensch zu sein.


    Der Autor:

    Gary Shteyngart wurde 1972 in Leningrad (St. Petersburg) geboren und emigrierte mit seinen jüdisch-russischen Eltern im Alter von sieben Jahren nach Queens, New York. Er studierte Politikwissenschaften am Oberlin College und arbeitete danach für verschiedene Non-Profit-Organisationen. Als Reise- und Kulturjournalist schreibt Shteyngart unter anderem für den New Yorker, Granta und die New York Times. Er lebt in New York.


    Meine Meinung:

    Schon der erste Satz dieses Romans macht einfach neugierig:

    „Liebstes Tagebuch, heute habe ich eine wichtige Entscheidung getroffen: Ich werde niemals sterben.“


    Und dann folgt eine Geschichte der besonderen Art. Skurril, utopisch, realistisch, ein böser Blick in eine Zukunft, die vielleicht schon längst begonnen hat.

    Gary Shteyngart hat es drauf, er sieht und beschreibt die Menschen so, wie sich wirklich sind: Dekadent, überflüssig und eine Missgeburt der Natur.

    Würde man die handelnden Personen als oberflächlich beschreiben, sie kämen bei einer solchen Beschreibung viel zu gut weg.


    Und wenn man diesen Roman aufmerksam liest, dann wird man schnell sehen, dass die Menschen offenbar bereits auf dem Weg sind, den Gary Shteyngart hier beschreibt. Für eine Umkehr dürfte es zudem längst zu spät sein.


    Ein sehr lesenswerter Roman, der zynisch ist, der keine Hoffnung vermittelt. Und bei diesem visionären Blick in die Zukunft, da kann man nur noch sagen, der Mensch wurde immer als Krönung der Schöpfung bezeichnet, dabei ist er nichts weiter als eine Laune der Natur – wobei gewiss ist, das die Natur hier ausgesprochen schlechte Laune hatte. 8 Punkte

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.