Mascha ist dreizehn und verlebt mal wieder ziemlich langweilige Sommerferien bei ihren Großeltern in einer Kleinstadtsiedlung. Ihre Mutter ist tot, ihr Vater geistig meist abwesend und auch die Großeltern sind seltsam unemotional. Aber das ist egal, Mascha ist das schließlich gewöhnt, und nur, wenn sie einmal vergisst, dass sie es gewöhnt ist, muss sie ein wenig weinen.
Da lernt sie die neunjährige Julia und ihren kleinen Bruder kennen, die zwar eigentlich zu jung für Mascha, aber die einzigen Kinder sind, die sie, die Fremde, überhaupt wahrnehmen. Doch die beiden sind seltsam, und als Mascha auch noch eindeutige Spuren von Gewalt an ihren Körpern entdeckt, wird ihr klar: sie werden vom Vater misshandelt, und Mascha ist die Einzige, die sie retten kann. Und da kein einziger Erwachsener ihr glaubt, geschweige denn beisteht, schreitet sie selbst zur Tat.
Was nun folgt ist eine fatale Verkettung von Aktion und Reaktion, Mascha verliert die Kontrolle über ihr eigenes Handeln und manövriert sich und die Kinder in eine immer ausweglosere Situation...
Als mir die Autorin vor einigen Wochen so ganz nebenbei erzählte, dass bald ihr erster Roman erscheinen würde, war ich ein wenig skeptisch. Aha, mal wieder Missbrauch. Doch ich hätte eigentlich wissen müssen, dass Susan Kreller ein großartiges Buch aus diesem Thema machen würde. Denn die Autorin meidet weiträumig jede Tränendrüsendrückerei. Julia und Max sind nicht in erster Linie Opfer, sondern einfach Kinder, denen Furchtbares geschehen ist, die völlig auf sich gestellt mit einer Situation klarkommen, die die meisten Erwachsenen überfordert. Der eigentliche Täter bleibt im Hintergrund, er ist der Elefant im Raum, den keiner sehen will, und der deshalb im Buch auch kaum Raum erhält, wohl aber die Folgen seines Tuns, auch wenn außer Mascha auch die niemand wahrhaben will.
Die Geschichte ist toll ausgedacht und streckenweise so verrückt, dass ich Sorge hatte, die Autorin würde die Kontrolle über die Geschehnisse verlieren. Aber nein, bis auf wenige Ausnahmen kriegt sie immer die Kurve, Ereignisse und Verhalten aller Beteiligten bleiben schlüssig und streben nahezu zwangsläufig auf die Auflösung zu, jedes kleinste Detail sitzt.
Die Protagonisten sind authentisch, menschlich, ambivalent oder vielleicht auch einfach nur echt. Mascha, sie steckt irgendwo zwischen Mädchen und Frau, denkt zwar schon mit einer gewissen Abgebrühtheit über sich und das Leben nach und beobachtet ihre Umgebung mit einer erstaunlichen Klarheit, ist aber auch noch irgendwie hilflos, unsicher, mit auf den ersten Blick naiven Problemlösungsstrategien. Zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl, hier würde eine so handeln und denken, wie sich eine Erwachsene das Handeln und Denken einer Dreizehnjährigen vorstellt
Aber auch Julia und Max sind absolut überzeugend dargestellt. Auf den ersten Blick sind sie ganz normale Kinder, sind traurig, wütend und fröhlich, nur dass dies vor dem Hintergrund ihrer körperlichen und seelischen Versehrtheit ein ganz andere Dimension bekommt.
Selbst die Spießbürger der Siedlung rutschen nur ganz selten ins klischeehafte ab. Die Atmosphäre der Rentnersiedlung, über der trotz der hektischen Betriebsamkeit, mit der ihre Bewohner Vorgärten, Wohnzimmer, Fassaden in Ordnung halten, eine bleierne Schwere liegt wie die sengende Julihitze, ist mit Händen zu greifen.
Aber dann ist da noch diese Leichtigkeit der Sprache, die die Thematik erträglich macht, dieser wunderbare Humor, der trotz aller Traurigkeit in dieser Geschichte mitschwingt, dieses Spiel mit Worten, die wundervollen Metaphern.
Mit diesem Roman ist Susan das Kunststück geglückt, ein Buch zu schreiben, das Freude macht, auch wenn dass Thema alles andere als freudvoll ist.
Laut Verlag ist das Buch ab 14, doch ich denke, dass leseerfahrene Kinder das Buch durchaus schon früher lesen können. Jedenfalls wird's wohl demnächst einen Kommentar von Kaya geben