ZitatDer 18jährige Tim kommt mit seinem Leben nicht mehr zurecht. Zu viel ist passiert in den letzten Monaten. Verzweifelt bricht er aus seinem Alltag aus, setzt sich in den nächstbesten Zug und lässt sich ohne Ziel treiben.Er strandet am Münchner Hauptbahnhof, wo er eine Gruppe Backpacker trifft, die als Interrailer mit der Bahn durch den Süden reist. Er schließt sich ihnen an und erlebt eine Welt, die ihm bisher verborgen geblieben ist, mit vielen interessanten Bekanntschaften, spannenden Abenteuern, traurigen und heiteren Erlebnissen. Irgendwann wird ihm klar, was ihm wirklich wichtig im Leben ist.Adria-Express, ein unterhaltsamer, amüsanter und manchmal nachdenklicher Roman über die Träume und Realitäten des Lebens. (Quelle: Klappentext)
Jeder im Leben hatte schon mal eine Situation, wo er am Liebsten einfach irgendwo eingestiegen, und einfach ohne Ziel losgefahren wäre. Egal ob mit der Bahn, dem Auto oder gar dem Flugzeug, einfach dem Straßenverlauf oder einem bestimmten Gleis folgen, sich treiben lassen und schauen, wo man landet.
Diesen Gedanken hat sich Gerrit Fischer zu Nutzen gemacht und dabei seine Erfahrungen, die er in den 90er Jahren auf zahlreichen Bahnreisen mit Freunden in Richtung Süden, mit eingebaut.
In der Ich-Perspektive begleitet der Leser den jugendlichen Tim auf seiner Reise. Eine Reise zum Sinn des Lebens. Tim wird den Lesern als antriebslos, verzweifelt und hilfebedürftig dargestellt. Er ist an einem Punkt in seinem Leben angekommen, wo er seine Träume aufgibt, und die kalte Realität erblickt. Mit dieser kommt er jedoch nicht klar. Es ist eine Situation, wie man sie vielleicht selbst kennt. Und selbst wenn dies nicht der Fall ist, kann man sie trotzdem nachvollziehen, denn Gerrit Fischer gelingt es durch die richtige Wortwahl ein klares, emotionales und tiefgründiges Bild entstehen zu lassen. Diese Liebe für seine Hauptfigur kommt auch bei den anderen Nebenrollen zum Vorschein. Ich hatte ganz oft das Gefühl, dass es sich um reale Figuren handelt, so greifbar und authentisch wurden sie dargestellt.
ZitatAlles erscheint sinnlos. Anstrengend. Ziellos. Planlos. Leer. Ich fühlte mich wie eine Flipperkugel. Immer in Bewegung, die Richtung fremdbestimmt, von einem harten Anschlag zum nächsten harten Aufprall geschossen. (Zitat S. 6)
Doch nicht nur bei den Charakteren, sondern auch bei den Schauplätzen und Begebenheiten ist der Stil ein wahrer Genuss. Leicht, plastisch und verträumt schildert er Ortschaften, sodass man sie direkt vor seinem inneren Auge sieht und davon träumen kann. Mitreißen, kräftig und zart hingegen sind die Situationen. An Hand dieser Beschreibungen wurde mir sofort klar, warum dieser Autor schon in der ersten Klasse von seiner Deutsch-Lehrerkraft, für seine Schreib- und Stilsicherheit gelobt wurde. Im fliegen die Worte nur so zu. Es ist eine Freude diese Wortgewandtheit miterleben zu dürfen.
Neben dem Stil kommt auch der Inhalt nicht zu kurz. Spannende Momente werden von lustigen Situationen abgelöst. Kleine Anekdoten, neue Kontakte oder interessante Begebenheiten sorgen für eine gute Abwechslung, sodass in meinen Augen keine Langweile aufkommt. Zeitgleich vergiss Gerrit Fischer die Grundidee nicht. Tiefgründig, Gefühlvoll und zum Nachdenken anregend befasst er sich mit dem Sinn des Lebens, dem Träumen und den Zielen, die man haben sollte.
Gerrit Fischer bezeichnet das vorliegende Werk als Jugendbuch. Ich selbst würde es in die zeitgenössische Literatur einordnen. Der Protagonist ist zwar 18, und Interrailer ist ein Thema, dass gerade junge Leser interessiert, aber durch die Grundidee ist es nicht unbedingt eine Umsetzung die Jugendliche begeistern wird. Trotzdem will ich damit nicht sagen, dass nicht auch Leser ab 16 oder gar ab 14 das Buch lesen können. Im Gegenteil, es eignet sich idealerweise für den Deutschunterricht ab der 9 Klasse. Die stilistischen Mittel, der Inhalt und die Umsetzung bieten nicht nur genügend Material im „Deutsch-Sinn“, sondern auch zum Diskutieren.
Unterhaltsam ist dieser Roman definitiv, aber als leichte Sommerlektüre, würde ich ihn nicht empfehlen. Da muss ich der Mittelhessischen Anzeigen Zeitung widersprechen. Oberflächlich gesehen ist es ein leichtes Thema, aber liest man zwischen den Zeilen, dann ist es tiefsinnig. Und genau diese Kombination macht das Buch so lesenswert. Vergesst den Verlag, denn der Autor kann definitiv überzeugen.