Der Fluch des Nummer- Eins- Hits und der ewigen Vergleiche.
Das scheint im Astra Kulturhaus so zu sein. Dass sich kleine, Umhängetaschen- tragende Mädchen einen Weg zu mir suchen, um dann ihr Abendlager vor mir aufzuschlagen. Um mir dann mit ihren beschissenen Smartphones vor der Nase rumzufuchteln. Auf der Bühne des ausverkauften Saals gibt sich Opener "Kimbra" nur mit Stimme, Gitarre und Loopmachine bereits ordentlich Mühe und macht das ganz interessant und ordentlich- dagegen gilt es von Hippchenseite aus blüllend laut gegen anzuschreien. Ist doch auch schöner, sich über den neuesten Bürokram auf einem Konzert zu unterhalten, geht man nicht deswagen dahin? Mit 99,99 %iger Wahrscheinlichkeit kennen sie ohnehin nur den Superhit, der seit Wochen im Radio rauf und runterläuft und der aber auch sowas von untypisch für diesen Künstler ist, wenn man sich mal die Mühe macht und sich das ganze Album "Making Mirrors" anhört. Am besten mehrmals, dann entwickelt es sich zu einem echten Erlebnis. Auf dem der "Superhit" die allerschwächste Nummer ist. Für mich zählt es jetzt schon zu meinen Jahreshighlights. Ich befürchte allerdings, dass nicht sehr viele Leute aus dem Publikum das Album überhaupt kennen.
Dann kommt er auf die Bühne, der ruhige, sympathisch wirkende Mann aus Australien, ein bisschen müde wirkt er auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick lässt er seine Musik für sich sprechen, anstatt das Publikum anzuheizen. Was auch ganz und gar aufgesetzt wäre.
Es geht los mit "Eyes Wide Open", die Atmosphäre ist vom ersten Ton an da. Alles groovt und lebt, ist in Bewegung. Seine vier Mitmusiker wechseln Keyboards, Sampler, Schellen, Schlagzeuge einfach untereinander ab, was so locker und ungezungen wirkt, als würden sie grade vor ein paar Freunden auf einer Party spielen. Eine Videoleinwand im Hintergrund zeigt das Outback, den weiten Himmel. Dort wurden die verschiedenen Geräusche und Klänge aufgenommen, die Gotye im Laufe des Abends noch ordentlich durch seine Samplemaschine jagen wird. Wenn er jemals aus seiner Percussionburg herauskommen sollte, die er unglaublich gut beherrscht.
Und ja- Gotye erinnert mit seiner Stimme sehr an den jungen Sting. Ja- er wirkt auf der Bühne mit seinen Percussioneinlagen manchmal wie Peter Gabriel, als dieser noch bei Genesis spielte. Und nein- er ist nichts von dem. Ich scheue diese Vergleiche. Er ist Gotye, etwas ganz Eigenes, er lässt sich in keine einzige musikalische Schublade stecken, was wohltuend ist.
Die Musik ist schwer zu beschreiben, lässt sich eigentlich gar nicht in einen Stil fassen. Mal dominieren coole Elektrobeats, Reggaeelemente, Folk, grooviger Soul, Dub, rockige Beats, mal ist es herrlich melancholisch, sogar fast sogartig Tranceartig. Immer untermalt mit diesen eigenartigen, abgesampleten Geräuschen. Alles ist durcheinander und doch harmonisch. Die Bilder im Hintergrund passen großartig.
Schon nach etwa zanzig Minuten wird der Hit "Somebody That I Used To Know" verheizt, von Gotye mit "This is Livin' on a Prayer- Bon Jovi" angekündigt und zum ersten und letzten Mal an diesem Abend brennt die Hütte. Ich sehe mal wieder alles durch Smartphonesdisplays, zudem spüre ich sie im Nacken. Vielleicht sollte ich mal aus Versehen meine Cola drüberkippen. Naja. Der Song wird im Duett mit Kimbra runtergerotzt, ich kann es ihm nicht verübeln und wir beide (Gotye und ich) sind froh, als es endlichendlich vorbei ist. Dann geht es noch eine halbe Stunde sehr schön weiter, mein absoluter Höhepunkt "Smoke and Mirrors", aber eigentlich ist alles toll, bevor nach gut einer Stunde Spielzeit auch schon Schluss ist.
Nun ja, wirklich viel Material ist auch noch nicht da, sind auch nur drei Alben bis jetzt, wovon die ersten beiden nicht an "Making Mirrors" heranreichen. Insgesamt wäre es ausbaufähig gewesen, aber alles in allem war das ein kleines, feines, stimmiges, mitreißendes Konzert. Was im Publikum leider nicht viele Menschen verstanden haben. Glaube ich.
Der Saal leert sich sehr schnell, wir stehen noch ein bisschen versonnen vor der Bühne rum, als uns jemand fragt, wie wir es denn fanden. Auf den zweiten verdutzen Blick erkennen wir den Gitarristen. "Great", sagen wir synchron, was nicht gelogen ist und wir alle müssen lachen.
Eigentlich sollte man einem Künstler ja Erfolg wünschen, diesem hier wünsche ich es auch, aber vor allen Dingen wünsche ich ihm tolerante Musikfreunde, die sich das anhören, was er mitzuteilen hat. Eine ganze Menge. Ich hatte einen fantastischen Abend.