Alice Munro: Der Traum meiner Mutter

  • Alice Munro: Der Traum meiner Mutter. Erzählungen
    Mit einem Nachwort von Judith Hermann.
    Fischer 2011. 224 Seiten
    ISBN-13: 978-3596161638. 8,95€
    Originaltitel: Love of a Good Woman
    Übersetzerin: Heidi Zerning


    Die Autorin
    Alice Munro wurde 1932 in Kanada geboren. Ihre Erzählungsbände sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für "Die Liebe einer Frau" wurde sie mit dem National Book Critics Circle Award und dem Giller Prize ausgezeichnet. Sie lebt in Ontario und in British Columbia.


    Verlagstext
    Alice Munro ist die Meisterin der Ambivalenz. Komik und Tragik, scheinbar Alltägliches und Schicksalhaftes mischen sich in ihren Erzählungen und locken den Leser in ein Reich dunkler Ahnungen. Alice Munro ist die Meisterin der Ambivalenz. Komik und Tragik, scheinbar Alltägliches und Schicksalhaftes oszilliert in ihren Geschichten in immer neuer Intensität, die den Leser nie unberührt lässt. Wie alle Geschichten der Autorin haben auch die vier Erzählungen dieses Bandes eine unheimliche Unterströmung; sie spielen mit der Irritation von Zeitverschiebung und Perspektivwechsel, locken den Leser mit Andeutung und Aussparung in das Reich dunkler Ahnungen.
    In der Geschichte "In der Nacht" inszeniert Alice Munro mit feinem Gespür für die Spannungen den erbitterten Machtkampf zwischen Säugling und Mutter, der um ein Haar in eine häusliche Katastrophe führt. Ein "literarisches Wunder" nannte die New York Times die Erzählungen der kanadischen Autorin - Geschichten, so komplex wie Romane, Kammerspiele des Gefühls, Geschichten, die wie Idyllen beginnen und sich auf den Abgrund zubewegen.


    Inhalt
    Kindheit und Mutterschaft sind Alice Munros Themen in ihren vier Geschichten des Bandes "Der Traum meiner Mutter". Die Titelgeschichte, erste und längste Erzählung des Bandes, hat mich am stärksten beeindruckt. Jill, eine junge Musikerin, deren Mann im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, zieht zu den Schwestern und zur dementen Mutter ihres Mannes. In einem verstörenden Alptraum glaubt sie, sie hätte ihr Baby im Schnee draußen zurückgelassen. Doch es ist Sommer und Jill ist von der Betreuung des anstrengenden Kindes und der Familienkonstellation überfordert. George, der Gefallene, altert in der Vorstellung der Frauen nicht, er bleibt ihr Held, während Jill den Lebensunterhalt für alle verdient und die Tanten die Entscheidungen treffen. Erzählt wird über ein anstrengendes Baby, das nicht gestillt werden will und sich nur von seiner Tante beruhigen lässt, von diesem Kind selbst. In "Die Kinder bleiben hier" gibt der Schwiegervater seinem Sohn und der jungen Mutter Pauline seine Vorstellungen von Elternschaft vor. Brians und Paulines Urlaube mit den Eltern sind eine Fortsetzung von Brians Kindheit. Kritik am Großvater darf es nicht geben. Konflikte mit dem Sohn werden in dieser Familie nicht direkt und auf Paulines Kosten ausgetragen, Freiräume, die Pauline sich durch ihr Laientheaterspiel zu verschaffen sucht, vom Ehemann unsensibel zerstört. Pauline erlebt Liebe zu etwas und jemand Unvorsehbarem und opfert dafür ihre Kinder. Karin ("Stinkreich") ist noch ein Kind und wirkt wie Strandgut, das die Trennung ihrer Eltern zurückließ. Karins Mutter geht eine sonderbare Beziehung zu einem Schriftsteller ein, der auf peinliche Art die Mutter vor ihrer Tochter bloßstellt. Am Ende genießt Karin das siegreiche Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein. Ihre Mutter muss erkennen, dass das Mädchen nicht mit Geld glücklich zu machen ist. In der letzten Erzählung "Vor dem Wandel" besucht eine erwachsene Tochter ihren Vater, der seit dem frühen Tod ihrer Mutter mit nur einer Assistentin seine Arztpraxis betreibt. Der Vater wirkt erschöpft und scheint mitten in einem früheren Leben steckengeblieben zu sein. Vater und Tochter verschließen jeder ein Geheimnis, das den Weg zueinander blockiert. Wie schon die erste Erzählung wirkt besonders diese letzte durch die gelebten Werte, als lägen die Ereignisse sehr viel länger zurück als nur fünfzig Jahre.


    Fazit
    Alice Munros Erzählungen zeichnen sich dadurch aus, dass die kanadische Autorin Alltagsereignisse, die auf den ersten Blick banal wirken könnten, solange ins passende Licht dreht, bis sie wie ein außergewöhnlicher Edelstein wirken.


    9 von 10 Punkten

  • Zitat

    von Buchdoktor
    Alice Munros Erzählungen zeichnen sich dadurch aus, dass die kanadische Autorin Alltagsereignisse, die auf den ersten Blick banal wirken könnten, solange ins passende Licht dreht, bis sie wie ein außergewöhnlicher Edelstein wirken.


    Hallo Buchdoktor,
    das hast Du wunderbar auf den Punkt gebracht. Ich habe dafür keine Worte gefunden, aber genauso empfinde ich es auch. Danke!

  • Ich habe gerade entdeckt, dass Anfang Dezember der 13. und letzte Erzählband Alice Munros veröffentlicht werden soll: "Liebes Leben" (engl. "Dear Life"). Da freue ich mich schon sehr...! :lesend Besonders freue ich mich natürlich, dass man an Alice Munro noch VOR ihrem Tod gedacht hat bzgl. Nobelpreisverleihung, und dass sie wirklich eine adrette, feinsinnige "First Lady" der nordamerikanischen Literaturszene ist, die ihre Wurzeln als Farmerstochter nie verleugnet hat...