Leonard Sax: Jungs im Abseits:
5 Gründe, warum unsere Söhne immer antriebsloser werden.
Kösel-Verlag 2009. 288 Seiten.
ISBN-13: 978-3466308224. 17,95€
Der Autor
Dr. med. Leonard Sax ist Kinderarzt, Entwicklungspsychologe und gefragter Vortragsredner. In seiner Praxis in Maryland, USA stellt er bei einer wachsenden Anzahl von Kindern Verhaltensauffälligkeiten und Schulschwierigkeiten fest – die meisten davon sind Jungen.
Verlagstext
Jungs entwickeln sich zunehmend zu den Verlierern im Bildungssystem und in der Gesellschaft. Schulstrukturen, Computerspiele, mangelnde Vorbilder und Hormonveränderungen durch Medikamente und Giftstoffe in Plastikflaschen. Dr. Leonard Sax, erfahrener Entwicklungspsychologe und Kinderarzt, deckt die fünf sozialen und biologischen Faktoren auf, durch die immer mehr Jungen hinter ihrem Potenzial zurückbleiben.
Inhalt
Leonard Sax wird bei Eltern, die Söhne und Töchter haben, offene Türen einlaufen. Eltern beobachten seit langem, dass Mädchen zielstrebige, motivierte Schülerinnen sind, die aus Sympathie zur Lehrerin lernen, während ihre Brüder im vergleichbaren Alter Probleme haben, in der Schule still zu sitzen und schließlich verkünden, dass ein normaler Junge sich eben nicht für Schule interessiert. Zehn Jahre später hat die unkomplizierte Schülerin ein Studium beendet, während der Bruder sich zwar der Anerkennung Gleichaltriger für seine Verweigerung sicher sein kann, aber nur mit Mühe einen Schulabschluss schafft. Wieder zehn Jahre später wünscht sich die erfolgreiche Karrierefrau Kinder und hofft, dass ihr Partner sie wenigstens bei der Familienarbeit unterstützt, wenn sie schon den größeren Anteil zum Familieneinkommen beiträgt. Doch hoch qualifizierte, erfolgreiche Frauen haben zunehmend Probleme einen passenden Partner zu finden.
Aus der Sicht des Kinderarztes und Entwicklungspsychologen erläutert Leonard Sax, welche gesellschaftlichen, familiären und umweltbedingten Entwicklungen dazu geführt haben, dass wir uns inzwischen um Jungen als das schwächere Geschlecht sorgen müssen. Sax führt die Antriebslosigkeit von Jungen auf ein Schulsystem zurück, das Mädchen fördert, ohne auf die Bedürfnisse von Jungen einzugehen, auf die schädliche Wirkung von Phthalaten im Trinkwasser, auf die Verordnung von Ritalin an verhaltensauffällige Schüler, auf die Verwöhnung im Hotel Mama und schließlich darauf, dass PC-Spiele Jugendliche von sinnlichen Erfahrungen in der Realität fernhalten.
Der 1960 geborene amerikanische Autor hält Jungen im Vergleich zu ihren Altersgenossen, die vor 40 Jahren aufwuchsen, für intelligent, verwöhnt und antriebslos. Selbst Tom Sawyer hätte Ziele gehabt, für die er sich anstrengte, auch wenn er heute vermutlich wegen Hyperaktivität Patient bei Dr. Sax wäre, moniert der Autor. Sax kritisiert, dass Fünfjährige in amerikanischen Kindergärten Lesen und Schreiben lernen, statt sich zu bewegen und zu spielen. Wenn man berücksichtige, dass Mädchen in diesem Alter Jungen in ihrer Entwicklung um bis zu zwei Jahre voraus sein könnten, sei dies der ungünstigste Zeitpunkt für den Vorschulunterricht. Sax formuliert einige bemerkenswerte Vorschläge, wie Schulen jungenfreundlicher werden können, die sich jedoch nur bedingt auf das deutsche Bildungssystem übertragen lassen.
Sax Urteil zum problematischen Einfluss von PC-Spielen auf Jungen in der Pubertät unterscheidet sich wohltuend von Urteilen jener Experten, die zwar wissen, dass sie dagegen sind, aber anscheinend nicht kennen, was sie kritisieren. Sax moniert an der schönen, schnellen Welt am PC, dass sie Jugendliche von der Realität fernhalte und damit auch von der Möglichkeit, unter Gleichaltrigen soziale Fähigkeiten zu trainieren.
Kritisch äußert sich Sax dazu, dass inzwischen Kindern in den USA dreimal so häufig Medikamente gegen psychische Störungen verschrieben würden wie in jedem europäischen Land, häufig ohne dass Kinder zuvor von einem Entwicklungs-Psychologen untersucht wurden. Die von ihm wahrgenommene Trägheit junger Männer führt Sax u. a. auf Nebenwirkungen des Mittels gegen das Aufmerksamkeitsdefizit zurück. Den Einfluss von synthetischen Östrogenen, die aus Weichmachern, und von Bisphenol A, das aus dem Polycarbonat von Baby-Flaschen ins Trinkwasser und in die Nahrungskette gelangt, erläutert Sax sehr plausibel.
Fazit
Leonard Sax ist sich der Tatsache bewusst, dass seine Erkenntnisse aus US-amerikanischer Perspektive sich nur bedingt auf deutsche Verhältnisse übertragen lassen. Der Autor kann seine Forderungen - kein Unterricht für Fünfjährige, eine jungenfreundliche Schule, Zurückhaltung bei der Verordnung von Ritalin, Mädchen brauchen Patinnen und Jungen Paten, die sie in ihre Rolle in unserer Gesellschaft einführen - sehr plausibel und mit anschaulichen Beispielen formulieren. Den dringend nötigen dritten Weg für die Erziehung von Söhnen hat auch Sax noch nicht gefunden; denn beständige Kulturen wie die Samburu oder das Judentum seien häufig auch konservative oder sexistische Kulturen, merkt der Autor kritisch an.
9 von 10 Punkten