Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich - Kjersti A. Skomsvold

  • Kurzbeschreibung:
    Mathea Martinsen ist fast hundert Jahre alt, lebt am Stadtrand von Oslo und hat gerade ihren geliebten Mann verloren. Für wen soll sie nach seinem Tod jetzt ihre Ohrenwärmer stricken? Mit wem kann sie nun über das Leben philosophieren? Mit Humor und großer Zärtlichkeit zeichnet der Roman das Bild einer alten Dame, die Antworten auf die entscheidenden Fragen des Lebens sucht.


    Über die Autorin:
    Kjersti Annesdatter Skomsvold wurde 1979 in Oslo geboren, wo sie bis heute lebt. "Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich" ist ihr erster Roman, der mit dem Tarjei-Vesaas-Debütpreis ausgezeichnet wurde und für den norwegischen Buchhändlerpreis nominiert war.


    Über die Sprecherin:
    Pola Kinski studierte Anfang der 1970er Jahre Schauspiel in München. Sie hatte Engagements am Schauspielhaus Bochum und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, arbeitete mit Peter Zadek und Ivan Nagel zusammen und übernahm diverse Filmrollen.


    Meine Rezension:
    Mathea Martinsen, eine hochbetagte alte Dame, steht nach dem Tod ihres geliebten Mannes Epsilon vor dem Nichts, denn er war alles, woran sie ihr Leben lang interessiert war. Sie brauchte keine Freunde, keine Arbeit und nicht viele Hobbys, doch jetzt steht sie alleine da und beginnt sich zu fragen, ob es überhaupt jemand merken würde, wenn sie einfach in ihrem Bett sterben würde? Kjersti Annesdatter Skomsvold hat mit Mathea Martinsen eine liebenswürdige Dame erschaffen, die einen durchaus trockenen Humor hat und die Welt mit eigenen Augen sieht, was teilweise zu sehr skurrilen Gedanken und Verhaltensweisen führt. Doch das Schmunzeln, was sich manchesmal auf das Gesicht des Hörers schleicht, bleibt nur allzu schnell im Halse stecken, wenn die Tatsache ins Bewusstsein rückt, dass sich diese Frau freiwillig (!) Jahrzehnte lang von der Außenwelt abgeschottet hat und es versäumt hat, ihr Leben mit Freundschaften oder Erlebnissen zu bereichern, von denen sie auch noch nach dem Tod ihres Ehemanns zehren kann. Vermutlich ist ihr nie in den Sinn gekommen, dass Epsilon mal vor ihr gehen könnte, er, der sie immer beschützt hat, ihre Marotten geduldig ertragen und das Beste daraus zu machen versucht hat. So groß die Liebe zwischen beiden auch gewesen sein mochte, so richtig glücklich scheinen sie am Ende ihres Lebens nicht zu sein, und ob Mathea überhaupt in der Lage ist, das Versäumte aufzuholen, Neues zu entdecken und vor allem den Wert von menschlichem Kontakt schätzen zu lernen, bleibt fraglich.
    Somit ist "Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich" ein sehr trauriger Roman, der den Blick auf Menschen wie Mathea lenkt, die es nicht nur in Norwegen, sondern auf der ganzen Welt gibt. Auch wenn es einzelne berührende Szenen und Gedanken gab, so konnte mich die Geschichte doch nicht vollständig ergreifen, zu fern und fremd ist die Isolation, die sich Mathea selbst gewählt hat, zu unvorstellbar ihr Leben, das im Grunde an einem einzigen Ort und mit einem einzigen Menschen gelebt wurde.


    Pola Kinski hat eine gewöhnungsbedürftige, etwas ältlich klingende Stimme, doch mit zunehmendem Verlauf wird sie zu der perfekten Sprecherin für diesen Roman. Sie liest so gut akzentuiert, dass man wirklich glaubt, Mathea selbst trägt ihre Geschichte vor.


    Insgesamt vergebe ich 7 Punkte.


    P.S.: Bei dem Hörbuch handelt es sich um eine ungekürzte Lesung!

  • Auf dem Umschlag der TB-Ausgabe steht folgende Aussage:


    "Eine Liebesgeschichte, wie sie schöner nicht sein könnte." Spiegel online


    Dieser Satz mag für viele Bücher passen, für dieses hier überhaupt nicht. :yikes


    Hauptfigur, aus deren Sicht (Ich-Persepektive, Präsens) erzählt wird, ist die fast 100-jährige Mathea. Sie ist ziemlich verschroben, wirkt etwas dumm und daraus resultierend komisch (weil sie alberne Dinge sagt und tut), was mit Sicherheit von der Autorin so beabsichtigt war. Matheas Verschrobenheit ist jedoch ab dann nicht mehr lustig, sobald man merkt, dass sie sich aus ihrer Unfähigkeit zu Sozialkontakten ergibt.
    Das Problem, nicht auf andere Menschen zugehen zu können, mit ihnen in normalem Maß zu interagieren, hat Mathea bereits als Kind. Einzig ihren zukünftigen Mann Niels, den sie nur Epsilon nennt, lässt sie in ihr Leben. Und leider ist er auch ihr Leben. Eine Bürde und auch ein Gefängnis für den Mann, der das tapfer trägt, denn er liebt seine Frau. Doch leicht ist es mit Sicherheit nicht.


    Das alles erfährt der Leser aus Rückblicken, die die Autorin sehr geschickt in den Handlungsverlauf einarbeitet. Normalerweise mag ich keine Rückblenden, aber hier bremsen sie die Erzählung nicht aus, sie präsentieren sich gleichwertig zum gegenwärtigen Erzählstrang.


    Die Gegenwart ist sehr ernüchternd: Epsilon ist tot und Mathea leidet unter ihrer Einsamkeit. Sie versucht Kontakte zu knüpfen, auszubrechen aus ihrem emotionalen Gefängnis.


    Dem Leser wird vorgeführt, wie armselig diese Frau ist, die von sich selbst behauptet, ihre beste Leistung im Leben ist das Anfangen einer neuen Klorolle, weil ihr das gelingt, ohne Risse ins Papier zu machen. Sie traut sich einfach nichts, bekommt schon Herzrasen, als ein Fremder sie nach der Uhrzeit fragt.
    Was hier gezeigt wird, ist keine amüsante alte Dame, die ihre Schrullen pflegt. Es ist eine Frau, die unter massiven, psychischen Defiziten leidet. Äußerst deprimierend.
    Dass ihr Mann dieses Leben an ihrer Seite ausgehalten hat, mag man vielleicht für die große Liebe halten. Ich sehe das nicht so romantisch. Der Mann hatte einfach Pflichtgefühl, denn er hat erkannt, dass seine Frau ohne ihn nicht lebensfähig ist.


    Ein Buch, das mich mit gemischten Gefühlen zurücklässt.


    Ich gebe 7 Eulenpunkte.