'Das Geheimnis der Jaderinge' - Seiten 001 - 146

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    Original von Lese-rina


    Das mit den Kleidern habe ich auch nicht ganz verstanden. Die lange Überfahrt mit einem Kleid!? Und auch danach? Finde ich für eine Gesellschafterin in gehobenem Kreis nicht angemessen!


    Und dann hat sie plötzlich wieder massig Kleider und kann ihr Geld ohne groß darüber nachzudenken ausgeben?


    Also: Viktoria hat zunächst einmal zwei Sommerkleider und ein Winterkleid. Von den Sommerkleidern hat sie eins in Shanghai von ihrem Gehalt gekauft. Sie musste die meisten ihrer Kleider in Hamburg verkaufen und allzuviel Gepäck konnte sie auch nicht mitschleppen. So ein Kleid von anno dazumal hatte einiges an Volumen, mit Unterröcken etc.


    Gesellschaftlerinnen und Erzieherinnen mussten damals nicht elegant aussehen, sondern nur sauber und ordentlich. Zuviel Eleganz wäre in ihrer Stellung sogar unangebracht gewesen. Sie sollten keinesfalls die Hausherrin in den Schatten stellen.


    Später bekommt sie Geld von Nathan, damit sie seine Treffen mit Anette deckt.
    Sie kauft sich Essen bei chinesischen Straßenhändlern und geht in chinesische Theateraufführungen. Beides war für Europäer sehr billig.


    Man hat Kleidung damals nicht so oft gewechselt wie heute, abgesehen von wirklich reichen Leuten. Die Kleider wurden ja nicht von der Stange gekauft, sondern mussten genäht werden. Das war aufwändig und kostspielig, vor allem, weil es noch keine T-Shirts und Jeans gab, sondern lange, gerüschte Gewänder. Die wurden ab und an gewaschen. Nicht jeden Tag.


    Viele Grüße


    Tereza

  • @ Tereza: Mit dem unterschiedlichen Umgang mit Kleidung damals und heute hast du natürlich recht. Der Unterschied ist mir so krass aufgefallen, da zunächst ihr einziges Kleid betont wird (meiner Meinung nach trotzdem sehr gewagt - es kann ja immer mal ein größeres Malheur passieren und was tut sie dann?) und dann hat sie auf der Reise nach Peking wieder eine größere Gardarobe. Natürlich darf nicht vergessen werden, dass sie ja längere Zeit in Shanghai lebt, nur geht das im Fluß der Ereignisse manchmal unter und auch, dass Kleid damals (mit gesamter Ausstattung) mit Kleid heute (nur Kleid) nicht gleichgesetzt werden darf.


    Edit Peking verbessert!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

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  • Zitat

    Original von Lese-rina
    Der Unterschied ist mir so krass aufgefallen, da zunächst ihr einziges Kleid betont wird (meiner Meinung nach trotzdem sehr gewagt - es kann ja immer mal ein größeres Malheur passieren und was tut sie dann?) und dann hat sie auf der Reise nach Pekink wieder eine größere Gardarobe.


    Also nochmals zur Kleiderfrage: wo wird denn erwähnt, dass sie nur ein Kleid hat? Spielst du auf die Szene an, da sie Angst hat, ihr Kleid durch einen Blutfleck zerstört zu haben und sich so schnell kein neues leisten zu können? Das heisst doch (nach meinem Verständnis) nicht unbedingt, dass sie nur ein Kleid hat, sondern lediglich, dass sie so wenige hat, dass der Verlust eines Kleides ein Problem wäre. (Sie hat, wie gesagt, zu dem Zeitpunkt nur noch zwei Musselinkleider für den Sommer, éin altes und ein neues.)
    Später habe ich, soweit ich mich erinnern kann, noch den Erwerb eines Winterkleides zum Neujahrsfest erwähnt. In Peking erwägt Vicky, sich eine Ballrobe zu kaufen, da sie nun auf Botschaftsbälle geht, aber dazu kommt es ja nicht mehr. Das war meines Wissens soweit alle zum Thema Klamotte. :grin


    Wieviele Kleider die durchschnittliche Gouvernante im 19. Jahrhundert besaß, dazu habe ich keine klaren Angaben gefunden. Es dürfte immer von diversen Faktoren abhängig gewesen sein. Aber dass eine Frau, die in recht bescheidenen Verhältnissen lebte, nur drei bis vier Kleider besaß, scheint mir absolut realistsich.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Zitat

    Original von Tereza
    Also nochmals zur Kleiderfrage: wo wird denn erwähnt, dass sie nur ein Kleid hat?


    Bitte verzeih, wenn ich es jetzt nicht genau raussuche, aber es war an der Stelle, an der sie sich für ihr erstes Gehalt in Shanghai ein neues Kleid kauft und froh ist, jetzt eins zum Wechseln zu haben. Kann natürlich auch sein, dass ich diese Stelle völlig falsch in Erinnerung habe. (Wenn ich drandenke suche ich es heute abend doch noch raus).


    Ansonsten ist es nur ein kleines Detail, das mir (und wohl auch Lesebiene) einfach aufgefallen ist. Die Kleiderfrage zeigt im Buch sehr gut den wechselnden Lebensstandard von Victoria.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

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    Original von Lese-rina


    Bitte verzeih, wenn ich es jetzt nicht genau raussuche, aber es war an der Stelle, an der sie sich für ihr erstes Gehalt in Shanghai ein neues Kleid kauft und froh ist, jetzt eins zum Wechseln zu haben.


    Aber das bedeutet doch, dass sie zwei hat. :gruebel


    Eins zum Wecheln, d.h. sie zieht es dann an, wenn das andere gewaschen werden muss.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Zitat

    Original von Lese-rina


    Bitte verzeih, wenn ich es jetzt nicht genau raussuche, aber es war an der Stelle, an der sie sich für ihr erstes Gehalt in Shanghai ein neues Kleid kauft und froh ist, jetzt eins zum Wechseln zu haben. Kann natürlich auch sein, dass ich diese Stelle völlig falsch in Erinnerung habe. (Wenn ich drandenke suche ich es heute abend doch noch raus).


    Ansonsten ist es nur ein kleines Detail, das mir (und wohl auch Lesebiene) einfach aufgefallen ist. Die Kleiderfrage zeigt im Buch sehr gut den wechselnden Lebensstandard von Victoria.


    Mir kam die Kleiderfrage an der Stelle, wo sie aus dem Jinriksha gefallen ist und den Blutfleck auf dem Kleid hatte.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Da ich erst an der Passage bin, in der Viktoria vom Ruin ihres Vaters erfährt, habe ich eure Beiträge noch nicht gelesen. Ich wollte ich aber dennoch kurz aus der "Versenkung" melden... :wave


    Der Schreibstil gefällt mir sehr gut und die Seiten lesen sich ganz leicht weg. Viktoria war mir von Anfang an sympathisch. Auch wenn sie recht naiv und verhätschelt ist, blitzen immer wieder ihre Charakterstärken auf. Mir gefiel besonders gut ihr Verhalten gegenüber dem Dienstmädchen Magda. Ich bin schon gespannt, wie sie sich weiterentwickeln wird.


    Ihrem Verlobten, Anton, stehe ich mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. Sein Charme und gutes Aussehen könnten auch mir gefallen. ;-) Aber irgendwie ist er wohl nur hinter Viktorias Geld hinterher und ich befürchte, dass er sich jetzt von ihr abwenden wird. :gruebel

  • Das ist also die "Strafe" fürs Hinterherhinken. Liebes Herrgöttle von Biberach! Es dauert länger, den Thread zu lesen, als das Buch. :lache


    Wunderschöne Aufmachung des Buches. Kompliment auch an den Herrn Verleger!


    Dank des Klappentextes wissen wir ja schon, dass es mit Anton nix wird. Also ahnt man schon nichts Gutes, als sie ihm ihre Unschuld schenkt.


    Eine Stelle unter vielen, die mir sehr gut gefällt: "Sophie wollte tapfer und machtlos leiden. Hätte sie versucht, ihre Lage durch diplomatisches Geschick zu verbessern, wäre das ein Zeichen von Einsicht gewesen."


    Dass Vicki erst so spät vom Ruin ihres Vaters erfährt, ist sehr glaubhaft zu einer Zeit, als das Finanzielle reine Männerangelegenheit war, mit der man die Damen verschonte, und wo es beschämend war, darin versagt zu haben, ihnen ein sorgloses Leben zu bieten.
    In der Folge dieser Geschichte kann man sowohl Vicki als auch ihre Mutter mit ihrer jeweiligen Haltung gut verstehen. Ein richtig guter Konflikt.


    Der Sprung ins vierte Kapitel und nach China war mir fast zu riesig und verwirrend, da hätte ich mir eine stärkere Zäsur gewünscht, die mich darauf vorbereitet, ein neuer Teil oder eine Datumsangabe. So war es ein: Hä? Sie kann doch nicht schon dort sein?


    Ich habe mir gewünscht, dass Vicki auf dem Fest des englischen Konsuls nicht aus ihrem Mauerblümchendasein gerissen wird, denn das wäre zu einfach gewesen. Sie - und damit der Leser - müssen den gesellschaftlichen Fall schmerzhaft erleben. Außerdem ist sie ja als verwöhnte junge Dame aus besseren Kreisen angelegt, die erstmal noch etwas über die Welt lernen muss.


    Und ich bin so froh, dass sie keine langweilige, makellose Heldin ist! Danke!

  • Nochmal zur Kleidung: Jetzt hab ich eben nachgeblättert und festgestellt, dass bei der mir im Gedächtnis gebliebenen Szene wirklich nicht die Rede von einem zweiten Kleid, sondern nur von einem neuen Kleid ist!


    Ich nehme an, dass meine (Fehl)einschätzung auch von der Stelle kommt, als Margaret zu ihr nach dem Rikschaunfall sagt (S. 127) "Geben Sie ihr das Kleid ... Sie haben doch noch eines, nicht wahr?" Von daher kann es sein, dass sie zu diesem Zeitpunkt nur zwei Kleider hat (ein mitgebrachtes, ein neu gekauftes), muss aber nicht so sein.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021


  • Und wieder melde ich mich erst nach Tagen wieder... :schaem Aber kaum war ich in die LR eingestiegen, ist das Internet bei meinen Eltern ausgefallen und ich konnte in den letzten Tagen nicht posten.


    Jetzt sind wir aber wieder Zuhause und somit auch wieder "internetfähig". Ich werde jetzt erst Mal die Koffer auspacken und eure Beiträge lesen und mich dann Morgen im Verlaufe des Tages melden.

  • Wow, das nenn ich mal eine tolle Leserunde...! So viele Zusatzinfos und Gedanken machen das Buch erst recht zu einem wunderbaren Leseerlebnis. Vielen Dank an euch alle! :wave


    Die Sprache gefällt mir nach wie vor ausserordentlich gut und ich geniesse jede einzelne Zeile. Bei so dickeren Büchern habe ich mich öfters dabei ertappt, einzelne Passagen quer zu lesen. Hier hätte ich aber immer die Befürchtung, etwas zu verpassen. ;-)


    Besonders gut gelungen und absolut realistisch finde ich Viktoria's Entwicklung, die allmählich und schrittweise voran geht.


    Auch in China wirkt Viktoria erst noch sehr oberflächlich. Erst mit dem "Kauf" von Dewei blitzt erneut ihre gute und starke Charakterseite auf. Ich denke, sie wird auf jeden Fall ihren Weg - auch wenn er noch schwer wird - gehen.

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Ich habe früher einfach für mich und mit mir allein gelesen. Meistens Thriller und Krimis oder was so im Buchladen auslag bzw. was meine Buchhändlerin mir empfohlen hat. Für mich war und ist es dann ein gutes Buch, wenn ich lachen, heulen, zittern oder mich damit unterhalten kann. Um die Entwicklung von Figuren habe ich mir keine Gedanken gemacht. Das kam erst mit dem Austausch mit anderen Lesern und den Autoren dazu.


    Mir erging es da sehr ähnlich. Mit den Büchdereulen habe ich das Lesen für mich quasi wieder entdeckt und ich habe auch hier erst "richtig" lesen gelernt. Durch den Austausch bekommt man als Leser einen ganz neuen Blick auf die Dinge, sprich Figuren, Plots etc. und ich erlebe seitdem die Geschichten um so intensiver.

  • Trotzdem ich schon 300 Seiten weiter bin, möchte ich noch ein paar gedanken nachschieben:


    Ich konnte Vickis gesellschaftlichen Abstieg sehr gut nachfühlen und nachvollziehen. Die Ballszene ist sehr gelungen! Vicki, die lichte Ballkönigin, degradiert zur mausgrauen Gesellschafterin. In der Gosse ist sie nicht, oh nein. Es ist fast noch schlimmer: Sie ist unsichtbar. Allerdings findet sie sich für meinen Geschmack fast zu leicht mit ihrem Los ab. Aber gut, dann hätte das Buch 1000 Seiten haben müssen. Warum eigentlich nicht? :-]

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Endlich wieder ein Buch welches mit gefällt ich dachte schon ich kann nicht mehr lesen :-(


    Victoria gefällt mir sehr gut mit ihrer schnodderigen Schnauze und das es momentan in Hamburg spielt ist natürlich ein wesentlicher Zusatzpunkt.
    Das sie ihrer Zofe ein Kleid machen lassen will und der Laden sagt es geht nicht mehr hätte sie eigentlich wach rütteln müssen, aber nun ja verwöhnte Göre :grin.
    Ansonsten könnte ich Anton :schlaeger :hau aber so ist das nun mal in gehobenen Kreisen.


    Das der Vater sich erschiesst :wow ich ahnte es als dieses Gespräch geführt wurde.


    Schon heftig das Ganze.