'Das Geheimnis der Jaderinge' - Seiten 258 - 361

  • Zitat

    Original von Alice Thierry


    Heute zwängt man sich dafür in Röhrenjeans, sticht sich Löcher in die Haut und durch alle möglichen Körperteile und trägt Stilettos. Jedem Zeitalter sein Modediktat. ;-)


    Ja, das stimmt schon. Außerdem hungert frau sich auf size zero runter.


    Anders als früher geht hier der Druck dabei nicht von den Eltern aus (die Piercings meist gräßlich finden), sondern von Gleichaltrigen. Früher wurde der gesellschaftliche Druck mehr auf die Eltern ausgeübt, die eine Tochter heranziehen mussten, die auf dem Heiratsmarkt bestehen konnte.


    Im alten China soll es übrigens vereinzelt Mütter bzw. Eltern gegeben haben, die es nicht ertrugen, ihre Töchter leiden zu sehen, und deshalb die Fußbandagen entfernten oder wenigstens lockerten. Die bekamen von den Töchtern später schwere Vorwürfe, denn ein Mädchen mit großen Füßen galt als häßlich und fand keinen Ehemann.


    Etwas freiwilliger ist es heute aber schon, finde ich. Nicht jedes Mädchen ist magersüchtig und es gibt auch bequeme, modische Klamotten.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Leute, wollt ihr jetzt ernsthaft die Praxis, fünfjährigen wehrlosen Mädchen die Füße für ihr Leben unumkehrbar brutalst zu verstümmeln mit heutigen Modetrends vergleichen? In den meisten Fällen wird sich diesem Gruppendruck freiwillig gebeugt und sie richten auch meist keinen dauerhaften Schaden an. In jeder Schulklasse gibt es Jugendliche, die sich diesem Druck nicht beugen, wobei ich natürlich nicht vergesse, dass es in Ausnahmefällen entgleitet (Magersucht!) Aber in meinen Augen überhaupt kein Vergleich!


    Der Wikiartikel dazu war sehr aufschlußreich (übrigends gibts dort auch einen recht umfangreiche Darstellung des Taiping-Aufstandes) und obwohl mir dieses Vorgehen vorher schon bekannt war, sehr schockierend! Schuhgröße 17!!!! - das haben extrem zierliche Laufanfänger im Alter von einem Jahr! Die meisten Mädchen haben bereits in diesem jungen Alter größere Füße! Unvorstellbar als Erwachsene auf solchen Füßen laufen zu können.


    @ beowulf: Ich bin mal ganz neugierig: Wie kam dein Vater zu einem chinesischen Kindermädchen?


    Zitat

    Original von Mulle
    Hier schwenkt der ganze Roman plötzlich um - aus Love&Landscape (wie ich es definiere) wird ein knallharter Historischer Roman.


    Das hätte ich so extrem auch überhaupt nicht erwartet! Und auch wenn es mir anfangs schwerfiel, Victoria mit all ihren Eigenheiten zu verlassen, hat mich Yazis Geschichte in Bann gezogen. Ich finde diese komprimierte, etwas distanzierte Erzählweise als Rückschau sehr gelungen! Ansonsten wäre Yazis Leben (zumindest für mich) wohl zu dramatisch, um es wirklich mit Genuß lesen zu können. So vergehen brutale und traumatische Ereignisse relativ schnell und wechseln sich mit ruhigeren Lebenssituationen ab.


    Zitat

    Original von tweedy39
    muss es hart gewesen sein, erst völlig überzeugt sein und dann sehen wie alles zerbricht.


    War sie das? Anfangs völlig überzeugt? Für mich eher nicht, sie hat die Gegenheit genutzt, um ihren ungeliebten langweiligen Dasein im Hause ihres Schwiegervaters zu entfliehen. Es ist sehr menschlich, dann die positiven Seiten zu suchen und zu betonen, keiner will sich eingestehen müssen, dass es total Blödsinn ist, was er da macht. Von daher sehe ich es mehr wie eine zufällige Entwicklung als echte Überzeugung.


    Ansonsten kann ich mich meinen Vorschreibern anschließen, die vielen chinesischen Namen sind anspruchsvoll zu lesen! Ich war sehr froh, dass ich die letzten zwei Tage wieder mehr Zeit hatte und ich es weitgehenst zusammenhängend lesen konnte, sonst hätte ich mehr Probleme gehabt!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Nachdem ich gestern endlich wieder zum Lesen gekommen bin, habe ich diesen Abschnitt geradezu verschlungen. :anbet


    Yazis wird mit Yingxiang verheiratet. Mich hat sehr bewegt, dass sie ihren Namen aufgeben muss und sie sich als Konkubine wie lebendig begraben fühlt. Das Kätzchen holt sie aus der Palaststarre heraus, das finde ich sehr gut geschrieben.
    Sie ist stark uns findet für sich eine Möglichkeit, das beste aus ihrer Lage zu machen. Ich kann all ihre Beweggründe absolut verstehen und nachvollziehen. Mir fällt es jetzt schwer, einzelne Aspekte hervorzuheben. Mir imponiert ihre Entwicklung, das finde ich so interessant. Wie sie vom einfachen Bauernmädchen zur Ehefrau und dann zur Kämpferin wird, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es genau so ein Schicksal gegeben hat.
    Wie verratenund verkauft muss sie sich jetzt vorkommen. Ihre Überzeugungen, für die sie gekämpft und getötet hat, zerfallen am Ende des Abschnittes.
    Ganz zart und gefühlvoll wird die Annäherung an Andrew beschrieben. :anbet


    Besonders gut gefällt mir in diesem Abschnitt, die realistische Schreibweise. Auch wenn es mich beim Lesen manchmal geschüttelt hat, ein Krieg ist nun mal grauenvoll- und genauso kommt es bei mir an.


    Zitat

    Original von Lesebiene
    ...
    Noch mehr Mitgefühl als für die Katze hatte ich für Chantian als ihr die Füße bandagiert wurden. :yikes Ich sah ein 3jähriges Kind in der Ecke wimmern und versuchen ihre Füße zu befreien! Schrecklich diese Tradition! Herzlos hoch 3! :yikes


    Das ging mir auch so. An dieser Stelle flossen auch ein paar Tränen. Grausam. Auch der Gedanke, dass einem Kind die Bewegungsfreiheit genommen werden soll, entsetzt mich. Wenn ich daran denke wie quicklebendig Kinder in diesem Alter sind, werden sie jetzt schon gebrochen. Ein Stück Urvertrauen geht verloren.


    Zitat

    Original von Tereza
    In Europa schnürte man Mädchen (etwas älteren, zugegeben) die Taille auf 50 cm Umfang und zwang sie manchmal sogar, derart eingeschnürt zu schlafen, damit sie sich daran gewöhnten. So toll war das auch nicht.


    Viele Grüße


    Tereza


    Das entsetzt mich genauso. Da wird genauso über einen Menschen verfügt, der sich nicht wehren kann.


    Klasse Abschnitt, lese gleich weiter! :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Was für ein Abschnitt! Der Perspektivwechsel ist perfekt gelungen und nimmt den Leser nochmals tiefer in das alte China mit. Ich bin genauso begeistert wie alle hier. Und es ist wirklich schwer, über diesen Abschnitt zu schreiben. So viele Eindrücke, die auf einen nieder prasseln (im positiven Sinne), so dass man richtiggehend von den Vorkommnissen mitgerissen wird. Wie sehr habe ich mit Yazi gelitten, mich über Chuntian’s Geburt gefreut. Bis jetzt ist Yazi mit Abstand meine Lieblingsfigur. Trotz allen Widrigkeiten bleibt sie stark und vor allem sich selber treu.


    Spätestens nach diesem Abschnitt ist dieses Buch auf dem besten Wege zu einem frühen Jahreshighlight zu werden…! :anbet



    Edit hat mich gerade an einen eventuellen Druckfehler erinnert: auf S. 348 steht "Reisschapses" - sollte das Reisschnaps heissen?

    Lesen ist ein grosses Wunder

    Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

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  • Zitat

    Original von bonomania
    Was mir in diesem Abschnitt gar nicht gefallen hat, als die 1. Frau neidisch auf Yazi's Schwangerschaft war und deshalb das süße Kätzchen Ngiau umgebracht hat :cry
    Warum ausgerechnet eine Katze? - hättest auch einen Kanarienvogel nehmen können.


    :yikes Was könnte denn der arme Kanarienvogel denn dafür? Ich habe unter dieser Szene auch sehr gelitten - aber mit einem Vogel würde mir das nicht anders ergehen. :-(


    Zitat

    Original von Mulle
    Als ebenfalls Tierliebhaberin möchte ich dem mal entschieden wiedersprechen. :wave
    Ja, mir tut sowas auch weh zu lesen, aber genau das braucht es in solchen Textpassagen ja. Es soll ja wehtun, damit man mitfühlt und begreift, wie ernst die Lage für die Romanfigur ist.


    Und ich als Leser will das auch! Ich will Momente, in denen ich schlucken muss und schaudere, wenn der Figur schlimme Dinge widerfahren.
    Herrje, im Abschnitt davor wurde das Mädchen von drei Männern vergewaltigt. Das ist doch noch ne Nummer härter. Trotzdem reagiert der Leser in seinem bequemen Sessel nicht so stark darauf wie auf die aufgeschlitzte Katze.


    Und das zeigt ziemlich gut, dass die aufgeschlitzte Katze scheinbar doch sehr nötig ist, um den Leser zu erreichen, um im wahrsten Sinne des Wortes den Schmerz be-greif-bar zu machen: He, ich mein das ernst. Da passieren *wirklich* schlimme Dinge!


    So gesehen ist es schon auch bedenklich, wie wir Menschen ticken. :gruebel

    Lesen ist ein grosses Wunder

    Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

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  • Zitat

    Original von Suzann
    Ich finde, dass für so ein dickes Buch sehr wenig Fehler zutage getreten sind, oder?


    Das ist ja auch keine Kritik, sondern nur ein Hinweis. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin


  • Zu dem Thema bin ich vor einiger Zeit über eine interessante Abhandlung eines gewissen William Henry Flower aus dem Jahre 1882 gestolpert.


    Hier der Link. Rechts auf der Seite "Read online" anklicken (oder gleich als PDF runterladen)


    http://openlibrary.org/books/OL7236369M/Fashion_in_deformity


    Auf den Seiten 17 bis 21 finden sich Illustrationen zu den Füßen., auf den Seiten 22 und 23 zum Korsett. Auch sonst ist diese Schrift sehr aufschlussreich.
    Mr. Flower, der übrigens nicht nur mehrere Jahre Präsident der Londoner Zoologischen Gesellschaft, sondern auch Fellow der Linné-Gesellschaft sowie der Royal Society, also ein großes Licht in der Gelehrtenwelt war, hat sich übrigens schon damals sehr gegen Korsetts stark gemacht. Gegenwind erhielt er von den Frauen, die nun mal der Mode folgen wollten. Da kann man nur den Kopf schütteln.

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling


  • Ich bin schon ganz schön müde, deshalb wähle ich den einfachen Weg und zitiere Katerina, die mir aus der Seele spricht. Yazis Ehemann empfand ich als die bisher gelungenste Figur. Seine Versehrtheit, seine Zerissenheit sind hervorragend dargestellt. Ganz großes Kino mit der Vergewaltigungsszene als würdigem Fanal. Ja, hier tut's den Lesern weh – und genau das soll es auch, wie Mulle es so schön auf den Punkt gebracht hat bei der Katzendiskussion. (Ich mag Katzen sehr gerne. Trotzdem, wenn ich damit meine Leser aufrütteln kann, dann würde ich sie auch bedenkenlos hinmeucheln.)


    Yazis Geschichte finde ich sehr, sehr spannend und, wie ich gestehen muss, wesentlich interessanter als Vickis Geschichte. Meinetwegen hättest du ein Buch ganz allein für Yazi schreiben können, Tereza :kiss
    Sagt mal, hat eigentlich schon jemand Bilder von diesen wunderbaren Hakka-Rundbauten verlinkt? Wenn nicht, dann schaut mal hier:


    http://www.heybrian.com/travels/china/2007/hakka.php


    und hier:


    http://www.haohaoreport.com/l/26683



    oder einfach googeln: "Hakka Rundhaus" und auf Bildersuche gehen :-)

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    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Zitat

    Original von SteffiB


    Yazis Geschichte finde ich sehr, sehr spannend und, wie ich gestehen muss, wesentlich interessanter als Vickis Geschichte. Meinetwegen hättest du ein Buch ganz allein für Yazi schreiben können, Tereza :kiss


    Ich habe mir schon fast gedacht, dass du es auch so siehst. :-) Aber für einen Roman über eine Taiping-Kriegerin würde ich wahrscheinlich heute noch einen Verlag suchen. Normalerweise wird ja so argumentiert, dass eine mitteleuropäische Hauptfigur notwendig ist, damit Leser sich mit ihr identifizieren können (wobei sich hier witzigerweise zig Leute besser mit Yazi identifizieren konnten. :lache)


    Danke für das Einstellen der schönen Bilder zu den Rundbauten.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Ich frage mich gerade, ob "unser" Lese-Geschmack so sehr von den sonstigen Lesegeschmäckern abweicht... :gruebel
    Sonst müssen wir hier mal Rauchzeichen geben, damit Verlage sehen, dass auch das Schicksal einer Taiping-Kriegerin gelesen wird. Ach, was sage ich, verschlungen wird. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Rauchzeichen helfen nicht mehr. Vielleicht einen Verleger entführen und damit drohen, ihn in kleine Streifen zu schneiden (für den Wok :chen), wenn nicht ....


    Nee, mal ehrlich, ich habe auch manchmal den Eindruck, dass Verlage und Buchhandel in vorauseilendem Gehorsam den Leser/Innen einen sehr einseitigen Lesegeschmack unterstellen.

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    Kipling

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Nee, mal ehrlich, ich habe auch manchmal den Eindruck, dass Verlage und Buchhandel in vorauseilendem Gehorsam den Leser/Innen einen sehr einseitigen Lesegeschmack unterstellen.


    Anmerkung vom Zaungast:
    Den viele leider auch haben, weil es ihnen schwer fällt, sich mit nicht-europäischen Heldinnen zu identifizieren. Viele haben ja schon enorme Probleme, eine Figur anzunehmen, wenn sie etwas nach unseren heutigen Maßstäben politisch nicht Korrektes tut.


    Die Leser suchen immerzu nach Vertrautem und können sich deshalb wohl oft auf andere Kulturen oder dadurch bedingte Einstellungen nicht einzulassen, auch wenn sie die Exotik ferner Länder schätzen. Die Muster müssen vertraut sein.
    À la: Italien ist wunderschön, aber wo gibt's Schnitzel? :schnellweg


    edit: Ergänzung

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

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  • Da ist viel Wahres dran. Ich begegne auch Lesern, die sehr festgefahren sind und nur bestimmte Genres lesen oder wenn Historisches, dann nur aus England. Oder nur Thriller, aber bitte ohne Politik.
    Aber es gibt auch offene Leser und ich finde es schade, dass Verlage wirklich herausragenden Büchern erst gar keine Chance einräumen. Auch wenn daran nicht viel zu ändern ist. Ich hoffe immer noch darauf, dass das Lottoglück mal die richtigen trifft. :lache

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Das Glück macht leider zu oft Ferien.
    Bücher wie dieses landen bedauerlicherweise viel zu häufig auf den hinteren Plätzen, wohingegen irgendein hingespuckter pseudohistorischer Schmus in den großen Buchhandlungen ins Rampenlicht gerückt wird.


    Ich wollte mir gestern Terezas Roman kaufen, nachdem diese Leserunde mein Interesse daran geweckt hat, aber in keinem einzigen Hugendubel in München war das Buch vorrätig. Das ist doch wirklich traurig! :-(

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers