Scheck, Dennis: Mein Adoptivvater, der Bordellier

  • Andreas und seine beiden Geschwister müssen nach den Tod der Eltern ins Kinderheim. Als sich wenig später Michael und seine Frau, Freunde der verstorbenen Eltern, um die Kinder bemühen, ist die Freude groß. Ein sorgloses Leben erwartet die Kinder, bis Andreas eines Tages Nicole auftaucht, die von ihrem Vater geschlagen wird. Anfängliche Gerüchte, dass er so wie sein Adoptivvater sei, der Frauen ebenfalls verprügle, nimmt er nicht ernst, bis er mit eignen Augen sieht, dass Michael das Bordell in der 25.000 Seelen Gemeinde betreibt. Es tauchen immer neue Fragen auf, die Andreas versucht für sich selbst zu klären, doch damit beginnt der richtige Terror für ihn. Abgestempelt und verurteilt, denn niemand kennt den berühmten Blick hinter die Kulissen, muss sich Andreas dem Spießrutenlauf stellen.


    ===Sarahs Meinung===
    Da es sich um ein Jugendbuch handelt, wird meine Meinung einmal den Blickwinkel als Mutter betrachten, und durch meine Nichte die Seite der eigentlichen Zielgruppe unter die Lupe nehmen.


    Schon beim Aufschlagen ist ein Stöhnen vorprogrammiert. Der Leser wird von einer sehr kleinen Schrift erschlagen. Ich schätze es auf Größe 8. Man kann es auf Grund des großen Zeilenabstandes gut lesen, aber es ist extrem klein. Mir persönlich bereitete die Schrift auf die Dauer trockene Augen und damit verbundene Kopfschmerzen, weil ich mich sehr konzentrieren musste. Meine Nichte fand es auch nicht gerade toll. Obwohl sie gerne und viel liest, ist auch sie der Meinung, dass Jugendbücher zumindest etwas größer geschrieben sein sollten, da viele einfach sonst die Lust verlieren würden. Während meiner Realschulzeit wäre das Buch vom Thema her genau das Richtige für meinen Deutsch-Lehrer gewesen, die Schüler hätten es ihm jedoch an den Kopf geworfen, weil es so klein ist. BoD = viele Seiten, hoher Preis, macht es zumindest aus der professionellen Perspektive nachvollziehbar. Keine Kapitel und die kleine Schrift ist zumindest bei mir und meiner Nichte ein No-Go im Bereich Jugendlektüre.


    Doch ein Buch besteht ja nicht nur aus Zeilen, Seiten, Kapitel und Wörtern, sondern vor allen Dingen aus einer Handlung. In einem Vorwort erklärt der Autor seine Beweggründe. Die Klischees und Vorurteile gegenüber einer solchen Tätigkeit im Bordell zu beseitigen, finde ich lobenswert. Von einer betroffenen Prostituierten oder einem älteren Mann hätte ich ein solches Buch erwartet, aber mit 20. Das lässt Fragen zu den persönlichen Beweggründen aufkommen. Meine Nichte konnte sich das Kommentar nicht verkneifen, ob er selbst angegriffen wird, weil er dort regelmäßig Kunde sei, und deswegen aufklären möchte.


    Doch auch darum geht es nicht wirklich. Der Autor erzählt die Geschichte von Andreas Färber in der Ich-Form. Er hat sich für diese Perspektive entschieden, um den Jugendlichen ein besseres Verständnis zu ermöglichen. Emotionen, Handlungen und Gedanken sind in dieser Wahl einfach authentischer und nachvollziehbar. Es ist leichter sich mit diesem Protagonisten zu identifizieren. Dem kann ich nur zustimmen. Jedoch wählt er extreme Beispiel bei den Charakteren. Naivität trifft auf raue Brutalität. Gut und Böse wurden äußert übertrieben dargestellt, um einen besseren Zugang zu der Geschichte zu finden. Dadurch wirkt es jedoch stellenweise arg unrealistisch. Welcher Protagonist ist wirklich durchweg so naiv. Zum Beispiel kamen mir, aber auch meiner Nichte die Frage auf, wie ein Junge sich nicht dafür interessiert, womit sein Vater Geld verdient. Ich habe einen 8jährigen Stiefsohn, und selbst er fragte mich nach einen halben Jahr, ob er mal mit auf meine Arbeit könne, und was ich da denn genau mache. In der Schule wird man von Lehrern oder Klassenkameraden gefragt. Das eine Hauptfigur in der 7ten Klasse überrascht und ahnungslos ist, ist einfach zu naiv. Klare Linien schön und gut, aber ich finde, dass der Autor einfach zu sehr übertrieben. Ein leichter Zugang und eine deutliche Unterteilung zwischen gut und böse ist wichtig bei einem Jugendbuch, aber wenn die Zielgruppe die Charaktere als unrealistisch einstuft, wird auch die Handlung nicht mehr so abgekauft, wie es der Autor möchte.


    Ansonsten sind die Beschreibungen gut gewählt, denn der Stil ist flüssig, manchmal zu bewusst auf die Altersstufe angepasst, aber eben beschreibend, lebendig und modern. Mit dem angepassten meine ich, dass Satzbau und Wortwahl darauf ausgelegt sind, dass keine Fragen aufkommen. Bei Büchern geht es jedoch auch darum sein Sprachgefühl weiterzuentwickeln. 7-10 Klasse wurden 1-2 Bücher pro Klassenstufe gelesen. Und in all der Zeit gab es kein Buch, wo wir nicht den Stil oder ein Wort erörtern mussten. Meiner Nichte gefiel der Stil hingegen sehr gut. Sie konnte abschalten und musste nicht groß nachdenken.


    Vom Inhalt haben wir uns beide etwas anderes erhofft oder einfach mehr erwartet. Der Hamburger Kiez ist bekannt für Prostituierte oder sein Dollhouse. Gewisse Vorkenntnisse hatte ich dementsprechend schon. Man erwartet jedoch genau, individuelle und neue Einblicke in ein Bordell, denn dort war ich noch nie drin. Die Klischees und Vorurteile nimmt der Autor detailliert auseinander, aber mir persönlich wurden keine richtigen Einblicke in das Leben und die Arbeit in einem Bordell gewährt. Es wird nur an der Oberfläche gekratzt. Das merkt man an der Tatsache, dass mich meine Nichte am Ende des Buches mit zahlreichen Fragen bombardiert, da ihr einfach zu viel fehlte. Als Diskussionsgrundlage aber erste Klasse.
    Stattdessen geht der Autor auf andere Themen mehr ein. Schulprobleme in Bezug auf Klassenkameraden oder Gewalt in der Familie werden in meinen Augen mehr unter die Lupe genommen. Aus diesem Grund ist es für mich auch lehrreich.


    „Nun, eigentlich genügt es nur, das Bordell zu betreiben. Die Leute stecken dich ja dann in diese Kiste. Wobei klarzustellen ist, dass das Bordell, welches wir betreiben, keineswegs ins übliche Rotlichtmilieu passt.“ „Hä, wie darf man das denn bitte verstehen?“ (Zitat S. 146)


    Trotzdem mir persönlich manches zu kurz kommt, ist es ein wichtiges Thema, dass an die Jugendlichen herangeführt werden sollte. Es spricht ein Tabu-Thema an und dient als kurze Information, die später mittels Diskussionen oder eigener Erfahrungen / Recherche noch abgerundet werden kann. Aus diesem Grund kann ich das Buch vor allen Dingen für Schulen empfehlen. Vom Stil her sicherlich nichts für Gymnasium, aber es gibt ja noch genügend andere Schulen.


    Die Idee ist lohnenswert und meine Nichte hat es auch zügig durchgelesen. Unsere Meinungen sind fast identisch, sodass ich das Buch ruhigen Gewissens weiterempfehlen kann. Trotz einiger Schwächen. Für ein Debüt-Roman jedoch Daumen hoch.

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  • Nur mal so als Frage:
    Hast du eigentlich schon mal etwas anderes rezensiert als BoD-Bücher? :gruebel

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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