Rücken an Rücken - Julia Franck

  • Julia Franck
    Rücken an Rücken
    S. Fischer
    ISBN: 3100226054
    gebunden 19,90 Euro


    Bereits der Anfang von Julia Francks neuem Roman Rücken an Rücken ist bedrückend. Da bereiten zwei Kinder -sie sind so zwischen zenh und zwölf - die Rückkehr der Mutter vor, die ihre Kinder mehrere Tage alleine lässt. Akribisch putzen sie das alte Bürgerhaus, in dem die Familie lebt und sparen die letzten Lebensmittel für ein Essen für die Mutter zusammen. Alles um der Mutter zu gefallen, von ihr Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen. Als die Mutter Käthe nach Hause kommt, würdigt sie der Arbeit ihrer Kinder keinen Blick, findet kein Wort des Lobes, keine Umarmung. Einziger Kommentar: "Ich habe euch doch gesagt, ihr solllt die Flaschen auf der Treppe wegbringen."
    Die beiden Kinder Thomas und Ella wachsen weitgehend ohne elterliche Liebe auf. Ihre Mutter, eine Holocaust-Überlebende, erträgt keine Nähe. Die wechselnden Männer, die im Haus leben, mißbrauchen und vergewaltigen Ella. Ein Zwillingpaar gibt es auch noch, es ist allen Romanfiguren jedoch so gleichgültig, dass der Leser nicht einmal ihre Namen erfährt.
    Ella wehrt sich auf ihre Weise, sie wird magersüchtig und leidet unter Depressionen. Ihre Mutter, der jede Schwäche ein Gräuel ist, gegegnet ihr nur mit Unverständnis. Ihr Lieblingskind ist der stille und trämerische Thomas. Für ihn hat sie Pläne, soll er doch erst einmal im Bergbau schufften, wie es sich für einen bürgerlichen Jungen, in der noch jungen DDR gehört. Es gilt sich zu beweisen, Härte zu zeigen. Im Steinbruch erlebt Thomas jedoch die schlimmste Zeit seines Lebens. Er wird gequält und gedemütigt, bis er zusammenbricht.
    Das ganze Leben der beiden Kinder ist von Lieblosigkeit und von Erniedrigung gezeichnet. Nur ineinander finden sie Trost, allerdings ist auch dieser eine zweischneidige Angelegenheit. Immer wieder demütigt auch Ella den jüngeren, sanften Brunder.
    Das zu lesen ist manchmal quälend, jedoch sehr beeidruckend. Manchmal hatte man das Gefühl, so viel Leid kann einem einzelnen Menschen doch nicht passiere, dabei sind die Figuren jedoch sehr glaubwürdig und packend. Julia Franck psychologisiert nicht, sie beobachtet mit scharfem Blick. Deutungen der Handlung finden sich immer wieder in den ausufernden Naturbeschreibungen. Dabei ist nicht jede Metapher besonders subtil, weniger wäre manchmal mehr gewesen. Auch sprachlich wirkt der Roman gelegentlich etwas manieriert. Die eindringlichen Charaktere und das atmosphärische Setting machen diese Schwächen jedoch wett.

  • Den Beginn des Buches fand ich sehr widerspenstig, weil mir die Übergänge zwischen Gegenwart und Rückblenden nicht klar waren. Dadurch wirkt der Text so, als würden Kinder erwachsene Gedanken haben und sich wie Achtzehnjährige benehmen. Von dem Punkt an, als deutlich erwachsene Protagonisten erzählten, hat mir Rücken an Rücken erheblich besser gefallen. Sprachlich lohnt sich das Buch sowieso. Nicht uninteressant fand ich die Themen sexueller Missbrauch und Magersucht, die es vermutlich offiziell in den 50ern und 60ern im neuen sozialistischen Staat nicht geben durfte.