Heute möchte ich einen Text vorstellen, den ich zum Gedächtnis an meinen Vater verfasst habe, der vor etwas mehr als einem Jahr verstorben ist. Mein Vater, selbst schwer augenkrank, war im Blinden- und Sehschwachenverband seines Heimatkreises engagiert und produzierte für ein monatliches Audioformat - der "Ohrwurm" - seine "Brandenburger Geschichten". Dabei ging es um Kurzbiographien und Geschichten von historischen Brandenburgern und Berlinern. Diese Kategorie war bei den Hörern sehr beliebt. Ich spiele mit dem Gedanken, diese Serie fortzuführen und habe den folgenden Text verfasst. Ich bitte die Eulen um kritische Kommentare und Bemerkungen. Was sollte ich noch ändern, bevor ich es aufspreche?
Der falsche Woldemar
Dieser Beitrag ist meinem Vater gewidmet, der am 16.Dezember 2010 nach schwerer Krankheit verstarb.
Die Wachen des Erzbischofs Otto von Magdeburg auf der Burg zu Wolmirstedt waren höchst verwundert, als im Frühjahr des Jahres 1348 ein zerlumpt aussehender, alter Bettler erschien, der vehement forderte zum Erzbischof vorgelassen zu werden. Die Männer wiesen den Alten zurück, doch dieser bekräftigte seine Forderung durch das Vorweisen eines Siegelringes von unschätzbarem Wert. Als sich herausstellte, dass es sich um das Siegel des 29 Jahre zuvor verstorbenen Markgrafen Waldemar handelte, fand das Erstaunen keine Grenzen. Unverzüglich ließ man den Fremden zum Bischof vor.
Auf die Nachfrage, des Würdenträgers wie dieses kostbare Kleinod in seinen Besitz gelangt sei, behauptete der Mann, er selbst sei kein geringerer als jener Markgraf Waldemar der Große, dem letzten Brandenburgischen Herrscher aus dem Geschlecht der Askanier. Er habe nun nach der Rückkehr von einer langen Pilgerreise in das Heilige Land, die er sich selbst als Buße für seine nicht geringen Sünden auferlegt hatte, den Entschluss gefasst, in sein Brandenburgisches Stammland zurückzukehren, um dort die Regierungsgeschäfte wieder zu führen.
Auf die Nachfrage, wen man 29 Jahre zuvor im Kloster Chorin zu Grabe getragen habe, behauptete der vermeintliche Graf, es sei ein unbekannter Toter gewesen, den man an seiner Stelle beerdigt hätte. Diese Täuschung sei notwendig gewesen, damit er seinen Bußgang in der notwendigen Demut jenseits allen öffentlichen Interesses antreten konnte.
Was daraufhin folgte, klingt auf den ersten Blick unglaub-lich. Nicht, dass man den Fremden als Hochstapler davongejagt hätte, nein, Bischof Otto, der den alten Markgrafen noch persönlich gekannt hatte, glaubte, diesen tatsächlich in dem unbekannten Pilger wiederzuerkennen. Ob seines höfischen Auftretens, seiner gewandten Redeweise und der äußeren Ähnlichkeit sei keine andere Erklärung möglich.
Ein wahrer Triumphzug folgte diesem Ereignis. Der angebliche Markgraf reiste von Ort zu Ort und wurde von den Fürsten, die vielfach selbst von den Askaniern abstammten, herrschaftlich empfangen. Auch das Volk jubelte dem vermeintlichen Heimkehrer bei seinen öffentlichen Auftritten zu und schon bald wurde die Forderung laut, dem Markgrafen seine angestammte Würde als Landesherrscher angedeihen zu lassen.
In dieser Situation wurde der vorgebliche Waldemar zum Spielball der großen Politik. Markgraf war zu jener Zeit ein Bayer aus dem Hause Wittelsbach. Ludwig war 1323 von seinem Vater, dem deutschen König Ludwig IV. mit der Mark Brandenburg belehnt worden und übte sein Amt mehr schlecht als recht aus. Nach dem Tode des geachteten Markgrafen Waldemar war das Land in Anarchie und Chaos versunken, aber der neue Markgraf kümmerte sich mehr um seine Reiseunternehmungen in seine alten bayerischen Gefilde als um Recht und Ordnung in der Mark. Für viele kam die Widerauferstehung des letzten großen Askanierfürsten deshalb wie gerufen. Dies allein wäre allerdings nicht ausreichend gewesen, um die Anwartschaft des vermeintlichen Markgrafen zu unterstützen. Ein sehr viel gewichtigerer Förderer fand sich jedoch sehr bald.
Kein geringerer als der amtierende König und spätere Kaiser Karl IV. aus dem Hause Luxemburg, hielt sich zu jener Zeit auf der Flucht vor der großen Pestepidemie im Brandenburgi-schen auf. Karl war nach langem Machtkampf mit König Ludwig, dem Vater des aktuellen Markgrafen nach dessen Tod bestrebt, den Einfluss des Hauses Luxemburg zu stärken und die Wittelsbacher weiter zurückzudrängen. Karl erhielt Kunde von den Vorgängen um den zurückgekehrten Markgrafen und ließ diesen Fall untersuchen. Er ordnete eine Prüfung der Echtheit des vermeintlichen Markgrafen an, in deren Ergebnis bestätigt wurde, dass es sich tatsächlich um Waldemar den Großen handelte. Kurzerhand belehnte er am 2. Oktober 1348 den Mann, der sich als Markgraf Waldemar ausgab, mit der Mark Brandenburg.
Dieser Anerkennung folgten Monate blutiger Auseinandersetzungen zwischen den Askanierfürsten unter dem vorgeblichen Markgrafen Waldemar auf der einen und den Wittelsbachern unter dem entmachteten Ludwig auf der anderen Seite. Zunächst schien es, als ob die Partei der Askanier die Oberhand gewinnen würde. Eine Stadt nach der anderen huldigte dem angeblichen Waldemar. Dann jedoch gelang es Ludwig, gestärkt durch neue Bündnisse mit Dänemark und Pommern, Boden zurückzugewinnen.
Angesichts der neuen Allianz zog es Karl IV. vor, seine Un-terstützung für die Askanierpartei zurückzuziehen. Er ordnete eine erneute Überprüfung des angeblichen Markgrafen an. Diesmal kam man zu dem Schluss, dass es sich keineswegs um den echten Waldemar handeln könne. Ludwig wurde am 6. April 1350 auf dem Nürnberger Reichstag als rechtmäßiger Markgraf bestätigt und der falsche Waldemar öffentlich als Betrüger entlarvt.
Ungeklärt blieb bis heute, um wen es sich bei dem Hochstapler tatsächlich gehandelt hatte. Der Schwindler selbst blieb bis zu seinem Tode 1356 bei seiner Version. Eine Theorie benennt einen Müllerburschen Jakob Rehbock aus Hundeluft, der jahrelang im Gefolge des Markgrafen Waldemar gedient hatte als den möglichen Betrüger, Belege dafür existieren jedoch nicht.
Viel spricht für die These, dass es sich bei diesem Bluff um eine geplante Intrige der Askanierfürsten gehandelt haben könnte, möglicherweise unter Mitwisserschaft oder sogar unter aktiver Förderung des Königs. Dafür spricht die Tatsache, dass der falsche Waldemar großzügige Dankesbezeugungen an seiner Gönner richtete. So erhielt der Erzbischof Otto, der in ihm den Markgrafen wiedererkannt hatte, Teile der Uckermark zugesprochen. Die Oberlausitz ging an Böhmen, dem Stammland König Karls und den anhaltinischen Fürsten wurde das Erbe des Markgrafentitels versprochen.
Auch die Tatsache, dass dem Betrüger nach seiner Entlarvung kein öffentlicher Prozess gemacht wurde, sondern dass er bis zu seinem Tode 1356 seinen Lebensabend unter der schützenden Hand der anhaltinischen Fürsten unangetastet auf deren Burg in Dessau verbringen konnte, wird in diesem Zusammenhang verständlich.
König Karl gelang es 1373 letztlich doch durch dynastische Heirat und Geldgeschenke die Mark Brandenburg in den Besitz der Luxemburger zu bringen. Die Mark hatte im Jahre 1356 durch die „Goldene Bulle“ den privilegierten Status eines Kurfürstentums erlangt. Als dritter Kurfürst übernahm sein Sohn Wenzel die Macht von einem Wittelsbacher. Seinen Anfang hatte dieser dynastische Wechsel mit jenem mysteriösen Wiedererscheinen des Markgrafen Waldemar genommen. Noch heute ranken sich Legenden um den „falschen Woldemar“ und sein Gaunerstück.