Die Frau und das Meer - Leonid Borodin

  • Verlag: Herder, 1990


    Kurzbeschreibung:
    Ein Roman der sowjetischen Gegenwart bzw. Ende der Achtziger Jahre. In einem überfüllten Ferienort an der sowjetischen Schwarzmeerküste wird eine Frau vor dem Ertrinken gerettet. Der Retter, ein Mann mittleren Alters, der nach Jahren der Gefangenschaft in sowjetischen Lagern und Gefängnissen jetzt in Freiheit lebt, sieht sich durch seinen Einsatz plötzlich in einen Kriminalfall verwickelt.


    Über den Autor:
    Leonid Borodin, geboren 1938 in Irkutsk/Sibirien, ging 1965 in den Untergrund und wurde 1968 verhaftet. Nach langen Jahren im Gulag begann er zu schreiben, wurde erneut verhaftet und unter Gorbatschow im Sommer 1987 entlassen. Er lebte in Moskau.


    Mein Eindruck:
    Der russische Autor Leonid Borodin starb Ende letzten Jahres. Ich muss gestehen, dass ich ihn nicht kannte, jedoch ist er in Deutschland auch nicht viel übersetzt.


    Am Anfang des Buches sind die Reflexionen des Protagonisten an das Meer gerichtet.
    Er, der anscheinend viele Lebensdaten mit seinem Autor gemeinsam hat, bestimmt den Ton des Buches, eigenständig und kunstvoll.


    Der Mann sieht beim Schwimmen im Meer an der Schwarzmeerküste eine ertrinkende Frau, die sich umbringen will. Er rettet sie, erfährt anschließend, dass sie von der Polizei wegen verbrecherischer Aktivitäten verfolgt wird.
    Als lebenslanger Dissident hat er nicht viel für die Regierungsorgane übrig. Vollständig auf die Seite der Frau gerät er, als er ihre Tochter und deren Freund kennen lernt.
    Sie wollen Geld „organisieren“, um die Mutter freizukaufen.
    So wird eine leichte Krimihandlung in den Roman integriert.


    Die Sicht auf das sowjetische System ist schonungslos, der Autor zeigt auch eine mafiöse Verquickung in die Gesellschaft. So gesehen, war ein so widerwärtiges Element wie Putin als Führer des Landes vermutlich nur folgelogisch.


    Stilistisch konnten mich das Buch und der Autor durch einen poetischen Ansatz und einen melancholisch-ironischen Tonfall, sofort überzeugen. Er erinnert mich in einigen Passagen an Joseph Brodsky, dem Literaturnobelpreisträger von 1987.
    Ich mag kurze Romane, aber hier fand ich es schade, dass der Roman schon nach nur 140 Seiten endet. Daher habe ich gleich noch einen Roman von Leonid Borodin bestellt.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Der russische Autor Leonid Borodin starb Ende letzten Jahres. Ich muss gestehen, dass ich ihn nicht kannte, jedoch ist er in Deutschland auch nicht viel übersetzt.


    :-( Das hatte ich gar nicht mitbekommen. Auf Deutsch sind mW nur drei seiner Bücher erschienen, neben "Die dritte Wahrheit" noch "Eine Geschichte aus sonderbarer Zeit", nur in englischer Übersetzung gibt es "Partings". Da ich die Bücher alle habe, sollte ich zumindest eines davon mal nach den nächsten Lesrunden einplanen. Danke für die Erinnerung.



    Zum Inhalt (Quelle: Buchrücken, Inhaltsverzeichnis)


    Von Schuld und Unschuld, Recht und Unrecht, von rätselhaften und merkwürdigen Begebenheiten handeln diese dramatischen Erzählungen.
    Rußland vor der Perestroika: Das Ausgeliefertsein des Menschen an eine zerstörerische Macht ist Leonid Borodins Thema. Die Unzerstörbarkeit der Menschlichkeit ist seine Botschaft.


    Die Geschichten heißen:
    - Eine Geschichte aus sonderbarer Zeit
    - Die Begegnung
    - Vor Gericht
    - Die Variante
    - Der Besuch
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    "Eine Geschichte aus sonderbarer Zeit" muss ich auch gleich mal auf die Wunschliste setzen.


    Hätte ich gleich dran denken können (also an eine Inhaltsangabe), ich habe im obigen Post (da Amazon gar nichts zum Inhalt liefert) den Buchrückentext sowie den Inhalt ergänzt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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