Aufhellungen - Sabina Lorenz

  • Kurzbeschreibung (von der Verlagsseite):


    Sara trifft Toni nach Jahren wieder – beim Begräbnis der Frau, die sie beide als verwaiste Jugendliche aufgenommen hat. Die alte Vertrautheit und die alten Schwierigkeiten, die unbewältigten Ereignisse leben wieder auf. Und dann laufen ihnen noch zwei Achtjährige zu, der jähzornige Oliver und das Mädchen, das seinen Namen vergessen hat. Als sollten Sara und Toni sich in den Kindern spiegeln, beginnt das Spiel von neuem. Aber das alte Spiel ist noch nicht zu Ende gespielt.
    Aus Berlin kommt Elvira dazu. Als Mittlerin? Sara hat einst Toni mit dem Holzscheit geschlagen, und mit ihm ihre erste sexuelle Begegnung gehabt. Auch Elvira ist in alten Verletzungen gefangen. Das kleine Mädchen Namenlos erlebt etwas Zerstörerisches mit einem weißen Zauberer beim Winterfestival.
    Und der dicke Oliver, ohnmächtig seiner Wut ausgeliefert, versucht vor allem davonzulaufen. Sie streiten, gehen auseinander, nähern sich wieder an, gehen auseinander …
    Doch eine Wende kündigt sich an: Elviras Liebe für den kleinen Oliver hilft ihm über den Berg. Sara und Namenlos, nur Mißverständnissen erliegend, lernen sich durch das Spiel mit Gebärden verstehen. Und sind es am Ende die Kinder, die Elvira und Sara ihre Liebe zueinander entdecken lassen?
    Erzähler- und Zeitenwechsel, Lakonik, poetische Sprachpfade, Humor und großartige Dialoge machen den ereignisreichen, spannenden Stoff zu einem literarischen Vergnügen.


    Über die Autorin:
    Sabina Lorenz, geboren 1967, Studium der Sozialpädagogik in München und London.


    Verschiedene Auszeichnungen und Preise zwischen 2002 und 2008,
    Förderpreis des Stuttgarter Schriftstellerhauses, der im April 2011 verliehen wird.
    Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften, u.a. in ndl.
    Einzeltitel:
    »Die Fremde ist ein Ort«, Gedichte, 2007 (Lyrikedition 2000)
    »Echos für eine Nacht«, Gedichte, 2010 (Lyrikedition 2000)


    Meine Eindrücke:


    Sara und Toni, beide Ende Dreißig, strandeten als Teenager bei Anne, die sich ihrer annahm. Anne, eine nicht mehr ganz junge Lehrerin mit einem Rosengarten und dem Wissen, welche Dinge von ihr abhängig waren und welche sie nicht beeinflussen konnte, nahm sich der beiden an. Nun ist sie tot und Sara kehrt aus London zurück in Annes Haus, zu Toni und zu ihrer Vergangenheit. Dort leben indessen zwei Kinder: Oliver, ein dicker Junge, dem alles entzwei geht, was er anfasst und ein Mädchen, das seinen Namen vergessen hat und unter dessen Augen bläuliche Schatten liegen, zwei Achtjährige, die aus ihrem Leben gefallen sind.


    Toni und Sara müssen erst wieder die losen Fäden ihrer Beinahe-Geschwisterbeziehung zusammenknüpfen. Viel Zeit ist vergangen, in der man nur wenig Kontakt hielt. Sara will sich um die Kinder kümmern, ihren verletzten Seelen ein Zuhause geben, sie beschützen. All das ist nicht leicht. Toni ist vertraut und doch fremd, die Kinder störrisch. Langsam gelingt es Sara, ihr Vertrauen zu gewinnen, doch je mehr sie sich an die Kinder herantastet, desto näher kommt auch ihre eigene Vergangenheit. Sie lernt Elvira kennen, und diese Frau findet intuitiv die richtigen Worte um die Kinder zu erreichen. Meist jedenfalls.


    Das Buch ist aus den Blickwinkeln von Sara, Oliver, dem Mädchen und Elvira geschrieben. In ihren Visionen schleicht eine alte Frau durch einen Turm, sie alle sind auf der Suche nach etwas, nach Halt im Leben, nach Liebe, nach sich selbst. Wie kann man sich selbst finden, wenn man durch die Welt irrt und seine Verletzlichkeit wegsperrt? Wem kann man trauen, wenn ein Zauberer ein Mädchen zersägen will? Wem kann man sagen, dass er nach Zwiebeln schmeckt? Wie fühlt es sich an, wenn einen jemand liebhat? Und wie, wenn man jemandem wehtut, der schwächer ist als man selbst?


    Die Art, in der die Geschichte erzählt wird, lässt mich schweben. Ich schwebe mit den Figuren hierhin und dahin, scheinbar ziellos. Ich schaue durch ein Vergrößerungsglas auf mühsam geflickte und nur langsam heilende Verletzungen. Ich gehe mit auf Entdeckungsreise durch die Höhen und Tiefen des Zusammenseins. Mehr als einmal treffen mich Schläge mit voller Wucht, reißen mich aus der Schwebe, werfen mich zu Boden, tun richtig weh. Mühsam rappele ich mich auf zusammen mit den beiden Frauen und den Kindern, lese weiter. An ein Happy End glaube ich nicht einen Moment; es würde nicht zu einer solchen Geschichte passen. Aber meine Hoffnung, dass sie zu sich und einander finden, wird nicht enttäuscht.


    Welch ein Spracherlebnis! Der Schreibstil wird nicht jedem liegen – mir gefällt er außerordentlich gut. Eine berührende Geschichte, tiefsinnig und erstklassig erzählt – für mich ein Lesehighlight.