Sommerlicht und dann kommt die Nacht - Jón Kalman Stefánsson

  • „Wir wollen nicht vom ganzen Ort berichten, nicht Haus für Haus durchgehen, das würdest du gar nicht aushalten“


    Der Satz aus dem Prolog erklärt eigentlich schon alles: Hier erzählt ein Ort, ein seltsam empathieloses “Wir“, vom Leben in einem isländischen Kaff, von einer Gemeinschaft, die auf Gedeih und Verderb miteinander zurechtkommen muss. Dieses Leben ist trotz allen Fortschritts geprägt von der Natur, dem Wetter, den endlosen Winternächten, aber auch von einer weitestgehenden Ereignislosigkeit, die Welt ist weit weg, und so kreist alles um die großen und kleinen Tragödien in dieser kleinen Gemeinschaft.


    Denn allzu menschliche Geschichten tragen sich hier zu, die freilich oft nicht weniger absurd sind als die Landschaft, das Wetter oder die Natur hoch oben im Norden, wo es im Sommer nicht dunkel und im Winter nicht hell wird. Sommerlicht und dann kommt die Nacht, der Titel verrät bereits das Motiv vieler dieser Geschichten: Das Dunkle, Unerwartete bricht herein in das Leben seiner arglosen Protagonisten.
    Leidenschaft tritt zu Tage, wo bisher immer nur Teilnahmslosigkeit vermutet wurde, etwa wenn der dicke Kjartan eine leidenschaftliche Affaire mit der Nachbarin beginnt, und damit fast seine Familie zerstört. Oder der Manager, der quasi über Nacht das Interesse an seinem bisherigen Leben verliert und sein Seelenheil in den Sternen sucht.
    Doch die Dunkelheit kommt manchmal auch ganz profan daher, etwa als der Strom und damit die Beleuchtung im Lagerhaus der Genossenschaft ausfällt. Hier ist es das finstre Geheimnis aus der Vergangenheit dieses Ortes, das bis in die Gegenwart nachwirkt.


    Voller leisem Humor erzählt Stefánsson diese verschiedenen traurigen, lustigen, jedenfalls immer merkwürdigen Geschichten, voller Liebe zu seinen Protagonisten, denn auch wenn der Wir-Erzähler seltsam distanziert wirkt, wirbt er doch durch eine direkte Ansprache des Lesers immer wieder um Sympathie für diese Menschen mit all ihren dunklen Seiten.


    Die Sprache ist wunderbar poetisch, aber vollkommen kitschfrei, direkt, voller schöner, origineller, witziger Bilder.


    Und auch wenn viele dieser Geschichten eigentlich sehr traurig sind, ist dieses Buch keinesfalls hoffnungslos. Denn auch wenn der Winter den Menschen das Sommerlicht nimmt, so schenkt er ihnen dafür den Sternenhimmel.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Sehr interessante Buchvorstellung. Herzlichen Dank dafür. Ich werde diesen Titel gleich einmal auf meine Wunschliste packen. Man staunt doch immer wieder, wie vielfältig die Literatur dieses knapp 300.000 Einwohner zählenden Landes doch ist.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Draper: :anbet


    Ich habe dieses Buch ebenfalls gelesen und nienienie hätte ich mich getraut, als Erste eine Vorstellung dazu zu schreiben. Auch ich finde diese kleinen Geschichten aus einem isländischen Dorf wunderschön. Auf den ersten Blick sind es keine großartigen Dinge, die dort passieren, auf den zweiten Blick aber dreht sich doch das ganze Leben um diese Dinge. Liebe, Tod, Eifersucht, Trauer und Humor. Und dieses Geschichten um vielschichtige Figuren werden großartig erzählt.


    Ich musste oft lachen, aber auch oft ganz schön schlucken. Für mich war es das erste Buch dieses Autors, zwei weitere sind bereits bestellt und werden bei Gelegenheit ganz schnell, aber genüsslich gelesen werden. :-]

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Hab das Buch schon auf meiner Wunschliste und werde es mir auf jeden Fall demnächst bestellen! Viele Dank für die schöne Rezension. :wave

    Es heißt, die Götter spielen mit dem Leben der Menschen. Aber weiß jemand, um was es dabei geht, wer als Spielfigur eingesetzt wird und welche Regeln gelten?
    Man sollte besser nicht spekulieren.
    Donner grollte...
    Und würfelte eine Sechs.