„Wir wollen nicht vom ganzen Ort berichten, nicht Haus für Haus durchgehen, das würdest du gar nicht aushalten“
Der Satz aus dem Prolog erklärt eigentlich schon alles: Hier erzählt ein Ort, ein seltsam empathieloses “Wir“, vom Leben in einem isländischen Kaff, von einer Gemeinschaft, die auf Gedeih und Verderb miteinander zurechtkommen muss. Dieses Leben ist trotz allen Fortschritts geprägt von der Natur, dem Wetter, den endlosen Winternächten, aber auch von einer weitestgehenden Ereignislosigkeit, die Welt ist weit weg, und so kreist alles um die großen und kleinen Tragödien in dieser kleinen Gemeinschaft.
Denn allzu menschliche Geschichten tragen sich hier zu, die freilich oft nicht weniger absurd sind als die Landschaft, das Wetter oder die Natur hoch oben im Norden, wo es im Sommer nicht dunkel und im Winter nicht hell wird. Sommerlicht und dann kommt die Nacht, der Titel verrät bereits das Motiv vieler dieser Geschichten: Das Dunkle, Unerwartete bricht herein in das Leben seiner arglosen Protagonisten.
Leidenschaft tritt zu Tage, wo bisher immer nur Teilnahmslosigkeit vermutet wurde, etwa wenn der dicke Kjartan eine leidenschaftliche Affaire mit der Nachbarin beginnt, und damit fast seine Familie zerstört. Oder der Manager, der quasi über Nacht das Interesse an seinem bisherigen Leben verliert und sein Seelenheil in den Sternen sucht.
Doch die Dunkelheit kommt manchmal auch ganz profan daher, etwa als der Strom und damit die Beleuchtung im Lagerhaus der Genossenschaft ausfällt. Hier ist es das finstre Geheimnis aus der Vergangenheit dieses Ortes, das bis in die Gegenwart nachwirkt.
Voller leisem Humor erzählt Stefánsson diese verschiedenen traurigen, lustigen, jedenfalls immer merkwürdigen Geschichten, voller Liebe zu seinen Protagonisten, denn auch wenn der Wir-Erzähler seltsam distanziert wirkt, wirbt er doch durch eine direkte Ansprache des Lesers immer wieder um Sympathie für diese Menschen mit all ihren dunklen Seiten.
Die Sprache ist wunderbar poetisch, aber vollkommen kitschfrei, direkt, voller schöner, origineller, witziger Bilder.
Und auch wenn viele dieser Geschichten eigentlich sehr traurig sind, ist dieses Buch keinesfalls hoffnungslos. Denn auch wenn der Winter den Menschen das Sommerlicht nimmt, so schenkt er ihnen dafür den Sternenhimmel.