Die Stunde der Puppen - Willi Fährmann (ab ca. 7 J.)

  • zuerst erschienen 1966



    Die Stunde der Puppen ist die erste Auflage eines Kinderbuchs für kleine Mädchen, das bis Ende der 1990er Jahre immer wieder aufgelegt wurde, dann unter dem Titel: ‚Vier Freundinnen für Katrin’ oder ‚Ein Platz für Katrin’. Das erklärt sich wohl nicht nur aus der Berühmtheit Fährmanns als Autor von Kinder - und Jugendbüchern, sondern auch daraus, daß die vorliegende Geschichte eine attraktive Mischung aus traditionellem Mädchenbuch und einer etwas moderneren Geschichte von Integration einer Außenseiterin ist, die in Ansätzen über die in puncto Mädchenbuch recht braven 1960er hinausweist.


    Katrin und die anderen Mädchen sind Erstkläßlerinnen, so ca. sieben Jahre alt, also. Kindlich lieb sind sie aber nicht zueinander, im Gegenteil ist Katrin das, was man heutzutage ein Mobbingopfer nennt. Der Grund dafür, daß sie von den anderen ausgeschlossen wird, ist das ziemlich große und klar sichtbare Muttermal auf ihrer Wange. ‚Hexenfleck’ sagen die vier kleinen Monster aus ihrem Haus dazu und sie haben noch dazu einen bösen Spottvers gedichtet.


    Nun hat Katrin ein Talent, sie kann gut Geschichten erzählen. Die anderen, Ellen, Sigrid, Dora und Beate, nützen das aus, aber nur, wenn sie Lust dazu haben. Wenn Katrin etwa mit Märchen ankommt, jagen sie sie weg. ‚Kennen wir schon’, heißt es dann. In ihrer Verzweiflung verspricht Katrin ihnen neue Geschichte, wenn sie nur mitspielen darf. Die anderen stimmen zu, halb in der Erwartung, daß Katrin damit auf die Nase fällt.


    Die Erwartung ist so falsch nicht, um nichts in der Welt kann Katrin sich auf die Schnelle neue Geschichten ausdenken. Gut, daß es die Nachbarin, Tante Lina, gibt. Die klärt unsere kleine Heldin nämlich darüber auf, daß sie keineswegs ein Hexenmal im Gesicht hat, sondern einen Puppenstimmenhorchfleck. Katrin hat nicht einmal gewußt, daß es so etwas überhaupt gibt! Aber Tante Lina hat recht. Wer einen solchen Fleck hat, kann zu einer bestimmten Nachtzeit hören, was Puppen erzählen. Doch, doch, Katrin hat es erlebt.


    Und was sie da zu hören bekommt! In ihrem Zimmer marschieren nämlich nicht nur die eigenen Puppen, der vorwitzige Wendelin mit dem Federhütchen und seine Schwester Karolin an, sondern auch die Puppen der anderen vier Mädchen. Mitsamt Bippo, Ellens Bär. Puppen kennen ebensoviel Geschichte, wie es Stare in einem Kirschbaum mit reifen Kirschen gibt. Katrin hört sich aber nicht nur Geschichten an, sie löst auch so manches Problem ihre kleinen nächtlichen Gäste. Und unversehens knüpft sie dadurch richtige Verbindungen zu ihren Altersgenossinnen. Am Ende gibt es Himbeersaft für alle, auch für Tante Lina.


    Ausgangspunkt sowie die Geschichten der Puppen sind einfallsreich und flott erzählt. Es geht kindgerecht zu, aber nicht albern. Die Geschichten entstammen de Realität, wie auch dem Märchenreich, je nach Erzählerin. Das verleiht den Puppen über ihre verschiedenartige äußere Ausstattung hinaus auch eigene Persönlichkeiten.


    Fährmann nimmt seine Hauptfigur sehr ernst und beherrscht den pädagogischen Zeigefinger geschickt. Altmodisch kommt einer beim heutigen Lesen am ehesten vor, daß die kleinen Mädchen zu guten Puppenmüttern erzogen werden. Vor allem Katrin, das eigentlich Opfer, muß sich darüber hinaus noch sehr anstrengen, um bei den biestigen Nachbarskindern Anerkennung zu finden. Diese tauen eher durch Güte auf als durch die Strafe, die sie für ihr unangenehmes Verhalten durchaus verdient hätten. Man kann das Ganze aber auch als Studie für strikt pazifistisches Sozialverhalten ansehen.
    Schön und aussagekräftig sind die Schwarz-weiß-Illustrationen von Ingrid Schneider.


    Der Klappentext des Schutzumschlags der alten Ausgabe zeigt ein Foto des lesenden Autors und darunter einen kleinen Text von ihm, der freundlich-witzig erzählt, wie der Autor nach Abschluß jeden Kapitels des Buchs Kinder aus seiner Nachbarschaft mit einem Eisenbahnerhorn herbeigetutet habe und ihnen das jüngste Ergebnis seines Schaffens vorgelesen. Sehr werbeträchtig. Schreiben sollte man dem Autor auch gleich, die Verlagsadresse steht darunter. Ich hoffe, er hat viele nette Briefe bekommen.


    Niedliche Geschichte, nur leicht angestaubt. Etwas für LiebhaberInnen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus