Schreibwettbewerb Februar 2005 - Thema: "Erstmals"

  • Thema Februar 2005:


    "Erstmals"



    Vom 01. Februar bis 21. Februar 2005 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Februar 2005 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de oder über das Kontakt-Formular (s.o. im Forum) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.



    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörter wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!


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    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von BabyJane


    Neben mir auf dem Nachttisch, das Bild einer Frau. Hübsch mit blonden Locken und einem netten Lächeln. Rechts von mir ihr Mann, genauso nackt, wie ich und schlafend. Vorsichtig schlich ich ins Badezimmer. Ich stellte mich unter die heiße Dusche und dachte über den Abend nach. Irgendwie hatten wir uns auf der Party immer wieder gefunden, geredet und getanzt. Beide betrunkener als gut für uns war, er flüsternd an meinem Ohr, gab mir das Gefühl schön und begehrenswert zu sein. Irgendwann waren dann alle weg und nur wir übrig, zusammen ins Taxi und zu ihm. Ohne groß zu überlegen, warum auch. Wir kannten uns schon ewig. Arbeiten täglich zusammen, kein Grund Angst zu haben. Ich wußte von seiner Frau. „Nicht dein Problem, du bist Single“ schoß es mir durch den Kopf, während er meinen Hals küßte, seine Finger unter mein Kleid schob und ich ihn lachend gewähren ließ.


    Im Bett beschwor er mich, dies sei das Erstemal, daß es seine Frau betrüge. Ich winkte ab, kein Grund ihm zu sagen, daß ich es wußte. Wir wollten beide das gleiche, kein Grund über Liebe und Vertrauen nachzudenken. Trotzdem rechnete ich im Kopf aus, wen der weiblichen Kollegen er schon alles in diesem Bett hatte. Bei 2/3 der Belegschaft hörte ich auf und seufzte, während sein Kopf sich an meinen Schoß drückte.


    Noch ein paar Mal beschwor er mich, ich sei die Einzige, Erste...was auch immer. Ich genoß seine Liebkosungen, ohne ihm zu zuhören.


    Als ich nach einem Handtuch angelte betrat er das Bad, hielt mir den Bademantel seiner Frau hin. Ich zögerte kurz und schlüpfte dann mit schlechtem Gewissen rein. Irgendwie tat sie mir leid. Schnell schob ich den Gedanken an sie weg, während er mich schon wieder umarmte, ließ ich mich fallen und dachte nichts mehr.


    Später im Wagen kribbelte mein Bauch, beim Gedanken an die Nacht. Es was das erste Mal, daß ich was mit einem verheirateten Mann hatte. Es war gut, unkompliziert. Keine Gefahr, daß er sich verliebt und rumnervt. Keine Gefahr, daß ich mich verliebe.


    Lächelnd begrüßte ich ihn am nächsten Tag auf dem Flur. Er strich mir, durchs Haar. „Hallo Kleines.“ Ich lachte, „Laß das, wir wissen beide, daß das hier nichts zu suchen hat.“ Sein Lächeln gefror zu Eis, er zog seine Hand zurück.


    Ich zuckte die Achseln und begann mit der Arbeit.


    Wochen später tröstet ich mal wieder eine Kollegin in meinem Büro. „Er hat gesagt ich wäre die Erste!“ heulte sie an meiner Schulter, „Ich dachte er liebt mich. Warum habt ihr mich nicht vor dem Arsch gewarnt.“ Ich strich ihr über den Rücken, als ich das Blinken auf meinem Bildschirm sah.


    Eine Nachricht von ihm.


    „Siehst du, ich kann jede haben. Will aber bloß dich. Du warst die Erste, die sich nicht sofort in mich verliebt. Das reizt mich ungemein.“


    Ich sah zu ihm herüber und überlegte, ob ich aus einem Erstmals mit ihm ein Mehrmals machen sollte, einfach nur so, weil seine Lügen meinem Ego gut tun ...............

  • von Sisia


    "Siehst du die drei Kanaken da?" Kevin paffte eine Lights. Die in der roten Schachtel mit der schwarzen Schrift auf weißem Grund, weil sie nur halb so viel Teer in die Lunge ließen, wie die Normalen.
    Sein bester Freund Philip strich sich das Haar aus der Stirn.
    "Sollen wir hingehen und denen eins verpassen?"
    Philip sah ihn an. "Hey, die sind vielleicht 12 Jahre alt."
    "Na und? Hast du etwa Angst vor ihren Brüdern?!", grinste der Junge und schnipste die Kippe weg.
    Philip und Kevin waren dicke Freunde seit der Fünften.
    Kevin der Coole, Philip der Nette.
    Nett war allerdings weder der eine noch der andere zu jedem x-beliebigen.
    "Komm, du nimmst dir die Kleinen vor, ich den Größeren." Kevin stampfte los.
    Philip hielt ihn am Arm zurück. "Warte mal!"
    "Was ist denn?"
    "Lass die Kleinen doch."
    "Was ist los?! Seit ein paar Tagen bist du wie ausgewechselt. Was soll der Zirkus?"
    Philip wurde unruhig.
    Kevin verlagerte das Gewicht demonstrativ von einem Bein auf`s andere.
    Eins zu Null für Kevin.
    "Die sind gleich weg." Er wies voller Vorwürfe auf die drei türkischen Kinder, die sich davonstahlen. Sie kannten Kevin und Philip- nicht nur vom Hören-sagen.
    "Ach lass sie doch."
    Kevin schüttelte den Kopf. "Du schnappst echt über! Da! Jetzt sind sie weg!"
    Philip runzelte die Stirn und sah zu Boden.
    Schon wies der Coole mit neuer Kippe im Mund auf den Ausgang vom alten Bahnhof und grinste: "Hey guck, wir haben Glück, da kommt die Schwester von Mehmet, dem ollen Bastard aus unserer Klasse. Komm wir ziehen ihr ein bisschen am Kopftuch rum." Kevin wandte sich zum gehen, achtete nicht auf Philip.
    Esra trug erst seit kurzem ein Kopftuch.
    Philip kannte sie noch ohne. Sie wohnte nebenan. Er mochte sie. Er mochte auch Mehmet.
    Esra lächelte, als sie Philip von Weitem sah. Kevin schob sich dazwischen und verstellte ihr den Blick.
    "Na, flirtest du Aishe?" Esras Lächeln gefror. Sie neigte den Kopf und lief weiter, drückte ihre Schulbücher fest an den Bauch. Kevin lief hinterher, hob die Hand, als sie schon an ihm vorüber war. Er schloß die Augen und spürte weichen Seidenstoff unter den Fingern kribbeln. Ein schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht und die geliebte Zigarette rutschte aus seinem Mundwinkel auf den Boden.
    Als er die Augen öffente, fummelte er an -Philips Jacke herum.
    Gar nicht cool schreckte Kevin zurück und rief: "Was soll das? Was machst du da?"
    "Was machst DU da?", gab Philip gelassen zurück. Er erkannte sich nicht wieder.
    Kevin ihn anscheinend auch nicht. Er stieß seinen Freund zur Seite. "Na toll Mr weiße Rose, geht`s noch?"
    Philip schwieg.
    Kevin schnaufte.
    "Willst du mir verraten was das soll? Bist du jetzt auf eimal Moralapostel?"
    Philip lief rot an, spürte aber weder Edelmut noch Schuldgefühle.
    "Verschwinde Feigling!"
    Endlich trottete Kevin davon.
    Ab jetzt würde Philip es nicht mehr so leicht haben.
    Von jetzt an stand er auf Kevins Liste.
    Da spürte er, der Feigling eine Hand auf seiner Schulter. Es war Mehmet, er lächelte: "Danke!"

  • von Tom


    Michael „Slibo“ Libkowitz öffnete die Kneipentür. Er nahm den Zigarettenrauch wahr, das säuerliche Aroma der Bierzapfanlage und all die anderen Gerüche, die eine Pinte olfaktorisch kennzeichneten. Seine Sinne waren schärfer geworden in diesen letzten Monaten. Er zwang sich zu einem Lächeln, betrat den „Goldsack“ und drückte die Tür hinter sich zu.
    Helmi, der Wirt, stand hinter dem Tresen und drückte ein Handtuch in ein Halbliterglas. Er sah Michael an. Es dauerte ein paar Sekunden, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Erst war es Erstaunen, danach eine Art skeptischer Freude.
    „Scheiße, Slibo, wo hast du denn gesteckt?“
    Die anderen am Tresen wurden aufmerksam, während Johnny Hill über „Teddybär-Eins-Vier“ sang. Michael nickte langsam. Da saßen Otto, der arbeitslose Taxifahrer, Siggi, der Langzeitstudent, Müller, der Exilschwabe, und der Typ, den alle „Lassie“ nannten, weil er wie ein Hund hechelte, wenn er besoffen war. Es war, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen. Hier hatte sich nichts verändert. Michael sagte „Hallo“, aber er beantwortete die Frage des Wirts nicht.
    Alle hielten Kippen in den Händen, alle hatten Gläser vor sich, Müller und Siggi sogar zwei, jeweils ein Bier und einen Schnaps. Michael zog seine Jacke aus, hängte sie über den Hocker und setzte sich darauf.
    „Das übliche?“ fragte Helmi. Das übliche, das waren ein Halbliterhenkel und ein Slibovitz, das Getränk, das ihm seinen Spitznamen verschafft hatte. Er schüttelte den Kopf. „Apfelsaftschorle“, sagte er.
    Müller, Otto und Helmi lachten. „Bist du schwanger?“ fragte Siggi. Michael lächelte kopfschüttelnd.
    „Wo hast’n du gesteckt?“ brummte Otto, und die anderen nickten langsam - ein Tresenballett.
    „Ich war weg“, erklärte er, und nahm einen Schluck von der Schorle. Er roch den Apfel, sogar etwas von dem billigen Spülmittel, mit dem Helmi die Gläser wusch. Er musterte die Gesichter, die Gesten, den Schmutz auf dem Tresen, die anderen Figuren, die weiter hinten im Nebel der Kneipe hockten.
    „Weg“, wiederholte Otto. „Wenn das kein Grund ist, einen zu trinken.“
    „Richtig“, antwortete Michael. „Es ist keiner.“


    „Bist’n Arschloch geworden“, sagte Siggi eine Viertelstunde später. Neun Bier und fünf Schnäpse hatten die vier in dieser Zeit getrunken. Michael nippte an seiner zweiten Schorle. Er fühlte sich großartig. Am liebsten hätte er laut losgelacht. All die Versuche, ihn zu irgendeinem Drink zu bewegen, hatte er auf höfliche, selbstbewußte Art abgelehnt – und es war ihm nicht schwergefallen. Die Kluft, die sich dadurch auftat, war nachgerade spürbar. Er war ein Fremdkörper. Er gehörte nicht mehr dazu. Michael betrachtete den schmuddeligen Tresen, die Schnapsflaschen, die auf den angestaubten Regalen warteten. Er lauschte der schrundigen Kneipenmusik.
    „Es tut mir leid“, sagte er zehn Minuten später, und es war das Gegenteil von dem, was er meinte. Er zahlte, zog seine Jacke an, ging in Richtung Tür.
    „Kommste wieder, wennde wieder normal bist?“ rief Otto, da hatte Michael schon die Klinke in der Hand.
    „Ich bin jetzt normal“, sagte er, trat hinaus, sog die frische Luft ein, drückte die Tür hinter sich zu und ging die drei Stufen zum Bürgersteig hinunter.
    ‚Die dreizehnte Stufe’ sagte er zu sich selbst. Und lächelte.

  • von Doc


    Noch nie zuvor war ein solches Experiment durchgeführt worden. Mit einem kurzen Blick auf die Laboruhr stellte Dr. Vladimir Smirnoff sich an das Kontrollpult und aktivierte ein Tastenfeld, dessen Plexiglasschutz mit einem leisen Zischen hinter einer Abdeckung verschwand. Auf diesen Augenblick hatte er sein Leben lang hingearbeitet. Er blinzelte, nahm seine Brille ab und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Heute, am Ziel seiner gesamten wissenschaftlichen Arbeit, ergriff ihn beim Anblick seines Versuchsaufbaus das erste Mal ein Gefühl von Ehrfurcht. Seit Jahrzehnten hatte er Tag für Tag dieses riesige Labor vor Augen gehabt und nie so empfunden. Vielleicht war er auch nur wegen der vielen Geldgeber, die heute gut gesichert hinter der riesigen Panzerglaswand wartend anwesend waren, so emotional.


    Mit kurzen, präzisen Erläuterungen erklärte er über ein winziges auf die Haut geklebtes Kehlkopfmikrofon die gesamte Anlage. Er versuchte keine Fachausdrücke zu verwenden, was aber bei der Komplexität der Maschine fast unmöglich war. Nach rund zwanzig Minuten endete er mit den Worten "...und dies ermöglicht uns letztendlich erstmals die Grenzen des menschlichen Geistes zu sprengen und mit Gott in Kontakt zu treten." Der langandauernde gedämpfte Applaus, der aus dem Besucherraum ertönte, trug seine Gedanken in die Vergangenheit.


    Begünstigt durch viele Entdeckungen und rasante Entwicklungen seit der Jahrtausendwende, hatten Konglomerate aus multinationalen Konzernen und verschiedene private Geldgeber seine Forschungen vorangetrieben. Quasi als Abfallprodukte seiner Arbeit waren im Lauf der letzten 50 Jahre unzählige hilfreiche Dinge entstanden, wie die auf Nanotechnologie basierenden neuronalen Bio-Zellchips, die außerhalb von geheimer Militärtechnik vor allem behinderten Menschen wieder zu einem fast normalen Leben verholfen haben: Taube konnten wieder hören, Blinde wieder sehen. Eine Zeitlang war er der umjubelte Milleniums-Messias der Wissenschaft gewesen und wurde der jüngste Nobelpreisträger aller Zeiten. Seine Erfolge waren enorm und blieben natürlich nicht ohne Neider. Und gerade jene Neider schienen mit ihren Vorbehalten recht zu behalten, als er vor rund dreißig Jahren eine Pressekonferenz mit den Worten eröffnete: "Wir werden bald mit Gott sprechen können."


    Heute, Jahrzehnte später, trat er an das Kontrollpult und gab eine Zahlensequenz ein, die nur ihm bekannt war. Die Maschine fing augenblicklich an zu brummen und es dauerte nicht einmal einen Wimpernschlag, bis es stockdunkel wurde. Smirnoff erschrak,das war in seinen Berechnungen nicht vorgesehen gewesen, als eine gewaltige Stimme in seinem Kopf dröhnte: "Der Mensch hat die letzte Grenze überschritten. Es werde Licht."


    In diesem Augenblick stürzten die Galaxien zurück in jenen Punkt aus dem sie geboren worden waren. Alles wurde immer dichter und dichter, bis der gesammelten Materie nichts anderes übrig blieb, als in einem riesigen Urknall erneut zu explodieren und ein neues Universum zu schaffen..


    "Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun." (Genesis 11,6)

  • von Leseratte007


    Jessica fuhr mit ihrem Cabrio die Strasse zu ihrem neuen Glück entlang. Ihr Autoradio spielte gerade die wunderschöne Ballade „I believe my heart“ , der Fahrtwind fuhr ihr durchs Haar , und sie sang laut mit. Sie verspürte ein einzigartiges Glücksgefühl. Gestern hatte sie den ersten Schritt zu ihrer Unabhängigkeit getan , denn gestern hatte sie die Schlüssel zu ihrem neuen Glück erhalten , zu ihrem Traumhaus , welches sie in einen ebenso traumhaften Buchladen verwandeln würde. Einen Ort wo man sich zum verweilen niederlassen konnte und wo sich jeder wohl fühlen würde , dafür würden die gut ausgesuchten Bücher und das Café sorgen das sie mit zu integrieren beabsichtigte , außerdem Leseecken mit bequemen Lesesesseln und kleinen Ablagetischchen. Heute würde sie eine Liste machen was sie benötigte , damit sie den Laden so schnell wie möglich eröffnen konnte. Jessica parkte ihr Auto vor dem kleinen gelben Haus , es hatte eine Veranda mit Holzumfassung und blaue Fensterläden , und lag idyllisch inmitten eines großen Gartens. Stolz holte sie den Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss auf. Dies sollte also nun wirklich ihr gehören! Nachdem sie alles was sie benötigte auf eine Liste gesetzt hatte ging sie zum Auto und holte ihren Picknickkorb. Sie setzte sich inmitten ihres zukünftigen Ladens auf die mitgebrachte Decke und aß ihren mitgebrachten Eiersalat. Dabei schrieb sie eine weitere Liste der benötigten Bücher.
    Als sie fertig war schloss sie ab und fuhr in den Baumarkt und diverse Antiquitätengeschäfte. Wieder daheim tätigte sie ein paar Anrufe um die Bücher zu bestellen. Dann nahm sie ein heißes Bad mit viel Badeschaum und ging zu Bett.
    Die Sonne weckte sie mit kleinen kitzelnden Strahlen. Sie stand auf , wusch sich , zog sich an und frühstückte ausgiebig , dann fuhr sie wieder zum Haus. Drei Wochen lang arbeitete sie in jeder freien Minute an der Verwirklichung ihres Buchladens. Dann endlich war es soweit und ihre Möbel wurden gebracht , ebenso die Bücher. Mit etwas Hilfe war alles innerhalb von einem Tag aufgestellt und sie machte sich an die Einsortierung ihrer Bücher. Zwei Tage später war alles soweit fertig , sie saß auf ihrem Sofa und machte Preislisten und malte ein Schild auf dem stand „Geöffnet“. Am nächsten Tag fuhr sie schon früh los , denn sie musste noch ihr Schild „Café & Books“ abholen. Nachdem sie das Schild abgeholt und angebracht hatte , stand sie stolz inmitten ihres Ladens und wartete darauf das sie öffnen konnte. Sie hatte die Wände gelb gestrichen und blaue Bücherregale in das Zimmer gestellt , die zum Bersten mit Büchern aus allen Bereichen voll waren. An der Decke hatte sie kleine Halogenstrahler angebracht und die Ladentheke war mit Verzierungen versehen. In den Ecken standen schöne Kerzen in silbernen Kerzenhaltern und das Café stand dem Laden ebenfalls in nichts nach. Schöne Tische und Stühle , Hocker und die Theke rundeten das Bild ihres Ladens ab und nicht zu vergessen ihre Leseecken mit den dazugehörigen Sesseln. Ein Traum war wahr geworden.

  • von Orlando


    Nur ein Gedanke. Kein Grund zur Beunruhigung. Jede Frau spürt das irgendwann einmal. Ein Gefühl, das sich in Dir ausbreitet wie ein Tropfen Tinte in einem Glas Wasser.


    Schweigend sitzt sie auf der Bank vor dem Haus, die Hände im Schoss. Bilder, die vorbei ziehen. Ein wehender Seidenschal; kühl und weich zugleich. Eine Wiese voller Löwenzahn.. Gemeinsames Laufen; feiner gelber Staub legt sich auf ihre Füsse. Den Hügel hinauf; keuchender Atem, sie lassen sich fallen, verschwinden, werden eins mit dem Meer der Blüten. Süsser Duft von warmer Haut, betörend, verheissend. Glucksendes Lachen, tief aus der Kehle. Feine Adern, die unter durchscheinender Haut an der Schläfe pochen. Die Sehnsucht nach Berührung tut körperlich weh. Bilder, die bleiben.


    Und jetzt? Sitzt sie hier. Auf der Bank. Vor dem Haus. Und fragt sich zum ersten Mal, wie es wohl wäre, sie zu küssen.

  • von Magali


    In der Werkstatt war es jetzt ganz still. Sie warteten alle auf sein Zeichen. Keiner sah zu ihm hin. Er wußte, daß er in ihren Gesichtern nur Trotz und Abwehr lesen würde, trotz der hohen Löhne, die er ihnen zahlte. Sie glaubten es einfach nicht.
    Er glaubte daran. Warum sonst hatte er sich dafür eingesetzt, all diese Jahre? Es mußte einfach ein Ende haben, die steifen Finger, die schmerzenden Gelenke, die entzündeten Augen. Diese schreckliche Mühe, generationenlang, immer nur ein Stück nach dem anderen zu fertigen.
    Es gab doch die Kunst, viele gleichartige Dinge gleichzeitig herzustellen. Die Arbeit der Goldschmiede hatte er studiert, schon als er ein Knabe war. Er kannte die Geheimnisse der Edelsteinschneider, der Spiegelmacher und der Kupferstecher. Wie man es mit Holztafeln machte, wußte er längst. Daß man Blei benutzen konnte, war sein Einfall gewesen. Und die Presse natürlich. Ein einziger Kampf war es gewesen. Selbst einen Prozeß hatte er deswegen durchgestanden. Nichts hatten sie verstanden, damals in Straßburg. Ums Geld ging es, immer ums Geld. Und doch, was wäre er ohne die Unterstützung der reichen Kaufleute?
    Hier in Mainz aber würde er an sein Ziel kommen. Er nickte dem Gesellen zu, der legte die Hand an die Kurbel. Allein einen Schreiner zu finden, der so eine Presse bauen konnte. Der Druck, den das Holz aushalten mußte, war ungeheuer. Ebenso die Mühsal, die kleinen Bleidinger in den Rahmen zu setzen, mit dem Winkelhaken Reihe um Reihe zu füllen. Gleichmäßig mußte es sein, perfekt, sonst nützte alles nichts. Mehr als 3700 dieser Dingerchen waren es pro Rahmen und sie waren alle unterschiedlich breit! Soviel Geduld hatte es gebraucht, vom ersten Stempel an Geduld, Geduld. So viele Versuche, soviel Scheitern. Teuflisch war es gewesen, regelrecht teuflisch.
    Und der geeignete Stoff war so furchtbar teuer. Papier aus Oberitalien, die Haut von gut 8000 Kälbern. Doch warum sich mit weniger begnügen? Wenn es geschah, dann sollte es richtig sein. Er hatte nie ans Aufgeben gedacht, nicht einmal in diesen letzten vier Jahren, so hart sie auch gewesen waren.
    Der Geselle kurbelte jetzt kräftiger, der Untergeselle half. Beide keuchten. Der Aufsatz der Presse hob sich. Der stechende Geruch, der sich beim Öffnen ausbreitete, kam ihm heute fast fruchtig vor. Der Geselle hatte den Kopf abgewandt. Er wollte es nicht sehen. Sie hatten keinen Mut.
    Schnell trat er an die Presse. Überrascht spürte er, daß seine Finger zitterten. Und ebenso überrascht stellte er fest, daß er am liebsten die Augen geschlossen hätte.
    ‚Ich habe Angst’, dachte er. ‚Ich bin so sicher, daß es gelungen ist und doch fürchte ich mich.’ Mit einer letzten Anstrengung zwang er sich, die Augen weit zu öffnen. In der beißenden Luft über dem Stock fingen sie sofort an zu tränen. Die Schwärze der Farbe aber war so intensiv, daß die Worte oben am Seitenanfang leuchtend hervortraten, so wie er es sich immer vorgestellt hatte. Er las sie laut vor und seine Stimme zitterte nicht:
    ‚Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

  • von Columbo


    Für einen Moment glaubte er, dass Spot über die Wiese rannte – die Zwillinge ausgelassen hinterher. Er stand am Fenster und schaute hinunter. Aber nein, es konnte ja nicht sein. Spot war tot; ebenso wie Millie, die Mutter des Spaniels. Millie war der Liebling seines Vaters. Gottverdammt, selbst beim Hund konnte er sich nicht vom Alten lösen. „Gottverdammt“? Nein, George. Kein Grund zum Fluchen. Fluchen ist Sünde. Und gerade heute gibt es dazu keinen Anlass.
    Shit! Was hatte er nicht alles getan, um ihn zu beeindrucken, aber gegen seinen Bruder Jeb hatte er keine Chance. Jeb der Gouverneur. Jeb der Erfolgreiche. Jeb, der im Gegensatz zu ihm niemals Probleme mit dem Alkohol hatte. Schon beim Tennis draußen in Kennebunkport blieb er hinter dem jüngeren Bruder immer der Zweite. Sein Ausflug ins Ölgeschäft hatte der Familie ordentliche Verluste beschert, während Jeb schon auf dem Weg nach oben war. Und den Flopp mit dem Fußballstadion hatte ihm der Alte lange vorgehalten. Damned! Sein Vater hatte sich einfach hinters Steuer geklemmt, den Highway nach Texas genommen, und dort ein Imperium aufgebaut. Mit diesen Öl-Millionen hatte er die Grundlage für den Aufstieg der Familie geschaffen, bis hin zur Präsidentschaft. Beim Sohn liefen die Geschäfte nicht so gut. Und auch nach der Wahl des Juniors konnte man die Skepsis der Familie spüren. Präsident? Ausgerechnet George jun.? Einer, der nicht mal eine eigene Firma leiten kann, soll die Zukunft dieses wundervollen Landes in Händen halten? Wie gern hätten sie damals Jeb an dieser Stelle gesehen.
    Bei Dad galt nur der Erste. Für ihn zählte nur der Erfolg. Wie kann man einen solchen Mann beeindrucken; einen alten Haudegen, der den Nazis Dampf unterm Hintern machte und dem dafür das Distinguished Flying Cross verliehen wurde?
    Er dagegen flog in der Champagner-Staffel mit seiner Delta Dagger Kunststückchen über den Wolken an der mexikanischen Grenze, während die Jungs in Vietnam ihren Arsch hinhalten mussten. „Hey, Draft Dodger“ hatte ihm Dad vor vielen Jahren im Streit hinterher gerufen. Barbara hatte wie immer geschwiegen. Auch sie hielt zu Jeb und den anderen. Draft Dodger – ein Drückeberger? Er würde es ihm zeigen. Das hatte er sich geschworen.
    Laura kam ins Zimmer und riss ihn aus den Tagträumen. „Und Darling, was meint er?“ George drehte sich um. „Wir sollen am Wochenende mit den Kindern rauskommen nach Kennebunkport. Feiern, Barbecue, ein bisschen plaudern!“ Laura reagierte erstaunt: „Das klingt ja fast, als würdest Du dich drauf freuen?“ Er lächelte und blickte nochmals hinunter auf die Wiese. Ja, er freute sich. Zum ersten Mal war der Alte stolz auf ihn. Zum ersten Mal hatte er ihn beeindruckt. Das konnte er sogar am Telefon hören. Lange, viel zu lange musste er auf diesen Moment warten. Und nun war alles so einfach. Ein kurzer Befehl nur; die Generäle wussten, was zu tun war. Eigentlich konnte er diesem verfuckten, bockigen Iraker dankbar sein. Jetzt würde endlich er die Nummer eins sein. Und vielleicht kaufte er sich doch wieder einen Hund. Keinen mit Millie-Stammbaum, keinen Spaniel. Nein, etwas größeres. Eine Dogge?

  • von Ironie


    Es war noch dunkel, als ich an diesem Morgen aufwachte. Dunkel und kalt. Ich schmiegte mich in meine warme Decke, war aber schon zu wach um wieder einzuschlafen. Ich beschloss aufzustehen, streifte ich mir einen Pullover über und schlich durch den Raum zum Fenster, um in die Schwärze der Nacht zu blicken. Noch immer waren einige Sterne zu sehen, und mattes Licht am Horizont ließ darauf schließen, dass die Sonne bald aufgehen würde. Doch nicht jenes Licht war es, das draußen alles hell leuchten ließ. Ich wandte meinen Blick vom Himmel ab und schaute über die Felder. Mein Zimmer war im ersten Stock, sodass ich bis zu den Hügeln und dem Wald sehen konnte.
    Alles war weiß. Schnee war auf Wiesen und Felder, auf Hügel und Bäume gefallen, eine dicke Schicht. Ich wurde ganz aufgeregt. Von hier bis ans Ende meiner Welt war in nur einer Nacht alles weiß geworden.
    Ich wusste, dass ich jetzt nicht einfach das ganze Haus aufwecken durfte. Jedoch ich wollte unbedingt raus. Raus ins kalte Weiß und es genießen, solange es da war. Ich beschloss also, ganz leise aus dem Haus zu schleichen. Meine wärmste Hose und die dicksten Socken an, obwohl ich sie nicht leiden kann, schnappte ich mir meine Mütze und die Handschuhe, die den ganzen Sommer in der Untersten Schublade meiner Kommode auf mich gewartet hatten. Sie rochen etwas nach Mottenkugeln, aber das störte mich jetzt nicht weiter, denn ein anderes Problem lag vor mir.
    Ich musste die alte Treppe runter kommen. Jene alte Treppe war mir immer ein Gräuel gewesen. Sie knarrte bei jedem Schritt und ächzte, dass ich immer Angst hatte in der stinkigen Besenkammer darunter zu enden. Das Geländer durfte ich schon seit Jahren nicht mehr anfassen. Es war sehr wacklig und wäre eher abgebrochen, als mich vor einem Sturz zu retten. So musste ich genau überlegen, an welchen Stellen das Krachen erträglich oder gar leise war. Ich stütze mich an der Wand ab und schlich auf meinen Wollsocken die Stufen hinunter. Nur eines der grässlichen Bretter stöhnte auf, als ich drauf trat, aber zu meinem Glück schien niemand im Haus es gehört zu haben.
    Unten angekommen dachte ich einen Moment darüber nach, ob ich den Schlitten holen sollte, aber der Gedanke, in den Keller zugehen, wenn es noch dunkel war, behagte mir überhaupt nicht. Schon im Flur des Erdgeschosses war es so dunkel, dass ich mich zur Wohnungstür tasten musste. Zum ersten Mal in meinem Leben dankte ich dafür, dass Ordnung in diesem Hause groß geschrieben und nichts auf dem Boden liegen gelassen wurde.
    Ich erfühlte den Mantelständer und suchte nach meiner Winterjacke. Dank des schwachen Lichtes, das durch das Glas der Haustür fiel, konnte ich meine Jacke nehmen, mir einen warmen Schal umbinden, die Jacke fest zuziehen, in die dicken Schuhe schlüpfen und zu guter Letzt die Türe öffnen. Erstmals in diesem Jahr hinterließ ich meine Spuren im Schnee.

  • von Just_Me87


    Wieder einmal stand Sarah allein auf dem Schulhof und überlegte sich, was sie eigentlich falsch machte. Immer wurde sie verspottet und die Mitschüler hatten ihren Spass daran, sie zu veräppeln. Niemand wollte sich mit ihr abgeben, obwohl sie überhaupt keinen Grund dafür sah. Mittlerweilen hatte sie sich ein bisschen daran gewöhnt, doch trotzdem war es sehr hart für sie wenn sie am Morgen aufstand und an die Schule dachte.
    Früher ging sie sehr gerne hin, denn sie war sehr lehrbegierig und intelligent. Wenn da nur nicht diese Sticheleien der anderen wären, würde sie immer noch frohen Herzens morgens in die Schule hüpfen, aber leider war dem nicht so.
    Sie war einsam, allein und wurde gehasst. Tag für Tag hoffte sie auf ein Wunder, doch geschehen tat einfach nie etwas, nie gesellte sich jemand zu ihr. Dies gab ihr einen tiefen Stich ins Herz, aber da sie nicht wusste was sie falsch machte, konnte sie auch nichts dagegen unternehmen. Trotz allem gab sie die Hoffnung nie auf. Und dies zahlte sich eines Tages auch aus…
    Plötzlich war da ein Mädchen, das niemand kannte und niemand wusste woher es kam. Als es nach seinem Namen und seinen Eltern gefragt wurde, sagte es nur es heisse Alexa und habe keine Eltern hier auf der Erde. Daraus schlossen die Lehrer, dass sie tot waren und steckten Alexa in ein Heim.
    Das Mädchen war immer gut gelaunt und kam jeden Tag fröhlich zur Schule, obwohl es zu Beginn niemanden kannte. Doch weil es jedem auf Anhieb sympathisch war, fand Alexa schnell Freunde. Sie hatte immer ein Strahlen in den Augen und ein Herz voller Freude und Liebe zu den Mitmenschen.
    Alexa war ein ganz besonderes Mädchen, in ihrer Nähe fühlte man sich sofort akzeptiert und geliebt. Sie kam bald mit jedem vom Schulhaus sehr gut aus und war hoch angesehen, denn sie hatte immer Zeit und Geduld.
    Da sie aber auch sehr aufmerksam war, entdeckte sie schnell, dass Sarah irgendwie nicht dazuzugehören schien. Bald ging Alexa auf sie zu und fing an sich mit ihr zu unterhalten. Dies wurde von den anderen natürlich schief angesehen, jedoch hatten alle grossen Respekt vor Alexa.
    Die beiden Mädchen waren so grundverschieden, doch jeden Tag lernten sie einander besser kennen und bald waren sie beste Freundinnen. Erstmals erfuhr Sarah dieses wunderschöne Gefühl von jemandem respektiert zu werden. Zum ersten Mal wurde sie behandelt wie ein Mensch…

  • von Horribelle


    Es war eisig und der Wind blies ihr hart vom Felsgrat hinunter ins Gesicht. Ihre blaugefrorenen Fingerkuppen krallten sich in den Stein, während sie Halt für den nächsten Tritt suchte. Sie war allein und wollte weiter, egal wie, nur nicht verweilen, nicht einschlafen, nicht einfrieren, nicht ins Nirgendwo stürzen.
    Der Berg war voll von zusammengekauerten Gestalten, die irgendwo an einem Vorsprung aufgegeben hatten und deren Herzen kraftlos geworden war, Schemen aus Eis, gebrochene Schicksale. Abgestürzt im Kampf gegen sich selbst, einsam selbst im Schattenschlaf nebeneinander, klammerten sie sich angewidert aneinander, um nicht alleine aufzugeben.


    Sie hörte das Rufen, das Wimmern und das Locken: „Nimm mich mit, lass uns zusammengehen.“ Sah die ausgestreckten Hände, die Fesseln steifgefroren und die vereisten Gewichte, die die Körper lähmten. Ein kurzer Gedanke an das Vergangene, an die Schwere und die Verletzungen, die zu heilen ihre Tat gewesen war, ein warnender Griff an das zerschnittene Sicherungsseil, das an ihrem Hüftgurt baumelte, und sie atmete die klare Luft tief ein, füllte die Lungen und drückte sich hoch in den Fels. Immer weiter, nicht einschlafen, nicht einlassen mit jemandem, der sie wieder fallen lassen würde.


    Der Himmel leuchtete weit oben und sie dachte an das Dunkel, in das sie gefallen war, irgendwann weit unter ihr. Dachte an den Anfang, hell und voller Zuversicht begonnen mit ihm, dem sie vertraute, jemand mit dem sie hoch hinaus wollte, einander sichernd auf dem schweren Weg. Verbunden miteinander durch ein festes Band stiegen sie hinauf, doch irgendwann weit unter ihr hatte er es zerschnitten. Zerschnitten, als sie ohne Halt vertraute und haltlos stürzte, um zerbrochen an einem Felsen hängenzubleiben. Sie erinnerte sich an den Schmerz, der alles fraß und ihre Fesseln zerriss. Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie aufstand, ihre Last hinter sich ließ und wieder in den Berg einstieg, auf dem Weg nach oben.


    Sie hatte gelernt. Nimmermehr vertrauen. War leicht und schnell geworden, stieg allein und fand die Pfade, die andere nicht sahen. Sie überholte viele, die den Weg nach oben suchten. Einer allein hielt Schritt mit ihr, geschunden wie sie. Über viele Höhenmeter stieg er mit ihr hinauf, nebeneinander auseinander, jeder für sich, jedes Lächeln nur im Griff zerschnittener Bande der Vergangenheit.


    Er atmete schwer im dichten Nebel, sie hörte ihn keuchen. Sie wusste, er trug viel schwerer als sie und seine Wunden waren nie verheilt, seitdem er fallengelassen worden war. Aber er stieg hinauf, stetig und verbissen gab er nicht auf. Aber wo war er jetzt? Sie hörte ihn kaum noch. Sein Atmen klang ferner und seine Nähe schwand im Nebel.
    Die Kälte erklomm ihr Sein. Welch schwere Last, unertragbar, ihn nicht mehr neben sich zu wissen, nur kümmerlich bedeckt durch die Ängste des Vergangenen. Nimmermehr vertrauen! Sie griff sich warnend an das zertrennte Band, um ihr Herz damit zu knebeln. Aber es war blieb ungebändigt und rief ihn. So sie griff sie bebend die eisbedeckte Hand, die sich ihr aus den Nebeln entgegenstreckte und die Nebel gingen und sie stiegen miteinander in die Sonne.

  • von Marlowe


    Heute jährte sich das Ereignis zum fünften Mal. Aus den Rinnsalen der Vorfreude in den vergangenen Wochen und letzten Tage war ein Strom gewaltiger Antriebskraft geworden. Gespeist aus Wünschen, Erinnerungen und neuen, ganz anderen Vorstellungen als bisher.
    Er fühlte sich so belebt wie selten zuvor, sein Tatendrang ließ ihn immer wieder alles überprüfen. Natürlich lag alles an seinem Platz, wie jeden achtundzwanzigsten Februar in den letzten Jahren.
    Doch diesmal war noch einiges Neues dazugekommen und gerade deshalb machte es ihm besonderes Vergnügen, alles immer wieder abzutasten, in die Hände zu nehmen, es zu streicheln und liebevoll wieder hinzulegen.
    Seit einer Stunde lief er mit einem nicht enden wollenden Lächeln in diesem Zimmer herum, suchte nach möglichen notwendigen Verbesserungen und fand wie gewohnt nichts. Alles war perfekt.
    Sie konnte kommen!
    Und sie kam, genau in diesem Augenblick klopfte es.
    Sofort verließ er das Zimmer, ging mit dem Lächeln auf den Lippen zur Tür und bat sie herein. Sein Lächeln übertrug sich auf dieses schüchterne, fast ängstliche Wesen. Beschwingt durch die ihn überrollende Woge seiner Gefühle führte er sie an die kleine Bar,. Sie stießen die vorbereiteten Gläser fast zärtlich aneinander und tranken.
    Er war glücklich und sein Glücksgefühl wirkte ansteckend. Denn auch sie lächelte noch, während sie langsam zu Boden glitt und das Bewusstsein verlor. Doch die Frage in ihren Augen, die kurz darin aufblitzte, als sie am Boden aufschlug, verriet auch schon ein wenig von dem Grauen, dass sie erwartete.
    Zärtlich hob er sie auf und trug sie in das vorbereitete Zimmer. Ganz sacht legte er sie auf den Boden, sah sich sein Werkstück kurz noch einmal an und ging sich umziehen.
    Bevor er das Zimmer wieder betrat, ließ er die tiefroten Wogen der Freude durch seine Gehirnzellen tanzen, er pumpte sich voll mit Verlangen, Begierde und Trieb.
    Einmal ließ er noch einen Gedanken an die vergangenen Jahrestage zu, aber auch dieser diente nur der Steigerung seiner Wolllust.
    Bisher hatte er es nur gewagt, solange sie bewusstlos waren. Doch heute würde es anders sein. Es würde so sein, wie es schon immer hätte sein sollen, das hatte er endlich erkannt.
    Sie würde wach sein wenn er begann und sie konnte schreien so viel sie wollte. Aus diesem Zimmer würde kein Laut dringen.
    Und wenn er mit dem Schnitzen begann, würde sie alles mit erleben dürfen. Das war es, wonach er sich gesehnt hatte.
    Zum ersten Mal würden seine Kommentare gehört, die er während seiner Arbeit von sich gab. Er würde sein erstes wirkliches Meisterwerk schaffen. Dieses von Hügeln, Spitzen und Wölbungen arme verunstaltete Wesen würde eine perfekte Symmetrie besitzen, wenn er mit seiner Arbeit fertig war.
    Er betrat das Zimmer, schloss die Tür, nahm das Skalpell zärtlich in die Hand und sah das langsam aufwachende Wesen voller Liebe an. Jetzt endlich war er Gottes Schnitzer, denn er machte sie alle gleich, perfekt, symmetrisch.

  • von Eowyn


    ER kam unerwartet, unangemeldet, unverhofft.


    Bis zu jenem kalten Novembermorgen war er für mich nur ein großer Unbekannter gewesen, von dem ich nur manchmal in Büchern oder Zeitungen gelesen hatte.


    An jenem Tag aber war es anders geworden. Ich war IHM begegnet – zum allerersten Mal. Niemand hatte mich vor ihm gewarnt, Niemand hatte bisher auch nur versucht, mir zu erklären, wer er war und warum er urplötzlich vor unserer Tür stand. Wahrscheinlich dachten die Leute, ich wäre noch zu jung um zu verstehen, und für dieses feige Stillschweigen habe ich sie gehasst. Sie wussten doch, daß diese erste Begegnung früher oder später stattfinden würde, und vielleicht wäre ich auch nicht so unvorbereitet gewesen, wenn Jemand es damals für nötig gehalten hätte, mich vor ihm zu warnen.


    Als er mir das erste Mal in meinem Haus begegnete, war ich sieben Jahre alt. Immer wieder versuchte ich mir zu erklären, was ihm eingefallen war, ausgerechnet bei uns reinzuschauen. Ich habe tonnenweise Bilder und Zeichnungen von ihm gesucht, um mir besser vorstellen zu können, wie der ungebetene Gast wohl ausgesehen hatte, als er sich hinter meinem RRücken in mein Zuhause geschlichen und dort ein namenloses Chaos angerichtet hatte. Tagelang habe ich mich gefragt, wie er wohl an den Hausschlüssel gekommen war, oder ob er anderenfalls selbst in seinem hohen Alter noch gelenkig genug gewesen war, um durch ein offenes Fenster zu steigen. Nach dieser ersten Begegnung mit ihm schloss ich meine Fenster Nacht für Nacht besonders sorgfältig, um ihm die Sache nicht mehr ganz so einfach zu machen.


    Heute, viele Jahre später, geistert er noch immer in meiner Nähe herum. Wenigstens ist es mir inzwischen halbwegs gelungen, ihn so weit zu rationalisieren, daß er endlich damit aufgehört hat, mit wehendem Mantel und weißgebleichten Knochenfingern durch mein Zimmer zu geistern, wofür ich ihm sehr verbunden bin. …Und trotzdem ist er immer noch da, ganz egal, wohin ich auch gehe. Einige Male hat er sich seit jenem ersten Mal wieder in meiner Nähe blicken lassen, sodaß es mir manchmal fast so vorkommt, als würde ich ihn leise vor sich hin kichern hören. Er wird wiederkommen – und das mit Sicherheit. Eines Tages wird er sich sogar meinetwillen herscheren, ganz egal, ob ich ihn inzwischen wieder vergessen habe oder nicht.


    Es ist gewiss nur ein schwacher Trost – doch mit etwas Glück werde ich ihn fragen können, ob er damals wirklich durch das Fenster geklettert ist…vielleicht ist selbst der Tod gelenkiger als man denkt.

  • von Iris


    Er riß das bunte Papiertütchen auf und streute den Inhalt in die Hand,
    ein kleiner Kegel aus weißem Pulver. Die anderen standen um ihn herum,
    alle in kurzen Hosen, die Bündel aus Schulbüchern und Tafel unter den
    Arm geklemmt. Die Füße in viel zu großen Schuhen, an denen der Schutt
    der Ruinen klebte. Alle starrten sie auf seine Hand, auf die kleine
    Mulde in der das weiße Häufchen lag. Es fühlte sich kühl an. Er
    blinzelte in die Runde, grinste breit, dann spitzte er die Lippen und
    sog Spucke aus den Backen, Spucke, die er durch die gespitzten Lippen
    gleiten ließ, daß sie als großer, schaumiger Tropfen auf dem weißen
    Kegel landete. Das weiße Pulver begann zu brodeln, Blasen zu werfen, es
    kribbelte auf der Haut, richtig kalt, auch wenn die Spucke warm war.
    Alle starrten sie jetzt auf seine Hand, in der es kochte und prickelte,
    brodelte und zischte. Alle starrten sie hin.
    Er beugte sich über die Hand und leckte die Brause auf. Waldmeister.
    Süß, sauer und ein bißchen bitter. Es kribbelte auf der Zunge und die
    Hand fühlte sich immer noch kühl an. Er blickte triumphierend in die
    Maulaffen feilhaltende Runde.
    Die erste Brause nach den Bomben.