Kirsten Boie: Ringel, Rangel, Rosen
Bearbeitung von Antje Seibel
Autorisierte Lesefassung, ca. 204 min. auf 3 CD
ISBN 978-3837305630. 19,95€
Sprecherin: Ursula Illert
Booklet mit Chronologie der Ereignisse
Verlagstext
Abschied vom Paradies – Kirsten Boies Meisterwerk
Sommer 1961. Tagsüber in der Elbe baden, abends fernsehen. Das muss das Paradies sein! Doch als Karins Freundin ihr ein Buch über jüdische Kinder im Nationalsozialismus leiht, fragt sie sich, ob wirklich keiner der Erwachsenen davon etwas gewusst hat. Ihre Welt wird brüchig – und endet ein halbes Jahr später abrupt, als im Februar 1962 die Deiche brechen. Karins Welt wird nie wieder wie vorher – vielleicht besser? Eine eindrucksvolle Geschichte über das Erwachsenwerden Anfang der 1960er Jahre – vor dem Hintegrund der Hamburger Flutkatastrophe 1962.
Die Autorin
Kirsten Boie wurde 1950 in Hamburg geboren. Dort absolvierte sie auch Schule und Studium. Während des Studiums bibliothekarische Hilfstätigkeiten in der Bibliothek des literaturwissenschaftlichen Seminars der Universität, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Nach dem ersten Staatsexamen in den Fächern Deutsch und Englisch Promotion in Literaturwissenschaft über die frühe Prosa Bertolt Brechts. Parallel dazu Unterricht an einer privaten Handelsschule, Referendariat, Heirat, dann Tätigkeit als Lehrerin an einem Hamburger Gymnasium. Auf eigenen Wunsch Wechsel an eine Ganztagsgesamtschule. 1983 Adoption des ersten Kindes, auf Verlangen des vermittelnden Jugendamtes musste sie ihre Lehrerinnentätigkeit aufgeben und schrieb daraufhin ihr erstes Kinderbuch. 1985 Adoption des zweiten Kindes. Bereits ihr erstes Buch, 1985 erschienen, Paule ist ein Glücksgriff, wurde ein beispielloser Erfolg
Die Sprecherin
Ursula Illert, 1946 in der Nähe von Frankfurt am Main geboren, absolvierte von 1967 bis 1970 eine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Stationen ihrer 16jährigen Theaterlaufbahn waren u.a. Pforzheim, Tübingen und Nürnberg. Seit 1987 arbeitet sie als freie Schauspielerin und Sprecherin bei Hörfunk und Fernsehen für Dokumentationen, Erzählungen, Gedichte und Hörspiele. Einen besonderen Stellenwert in ihrer künstlerischen Arbeit nehmen Rezitation und öffentliche Lesungen ein.
Inhalt
Kirsten Boie war 1962 im Jahr der Flutkatastrophe an der deutschen Norseeküste ungefähr so alt wie Karin, die Hauptfigur in "Ringel, Rangel, Rosen". Zu dieser Zeit wird die DDR noch Ostzone genannt und für Mädchen ist ein wichtiges Thema, wann sie ihre Zöpfe abschneiden lassen dürfen, um sich eine modische Toupierfrisur zuzulegen. Karins Eltern und ihre Nachbarn leben in einem Behelfsheim in der Nähe der Elbe, weil in Hamburg als Folge des Zweiten Weltkriegs noch immer Wohnungsmangel herrscht. Sie haben sich mit ihrem Leben arrangiert, das dem Zusammenleben in einer Kleingartenkolonie ähnelt. Ein Fernsehapparat oder ein Plattenspieler sind damals Luxusgegegenstände, auf die man lange spart. Ferngesehen wird gemeinsam bei der Familie, die schon einen Fernsehapparat hat, die verwitwete Oma Domeschkat, die aus Ostpreußen über das Haff flüchtete und deren Sohn im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, immer mit dabei. Früher ging Karin zu ihrer Freundin Regina zum Fernsehen; als neue Fernsehbesitzer fühlen Karins Eltern sich nun auch verpflichtet, die Nachbarn einzuladen. Nachrichten und Politik sind meistens Männersache; Mutter und Tochter hören während im Wohnzimmer der politische "Frühschoppen" läuft lieber in der Küche miteinander Radio. Karin findet Liebe und Abenteuer interessant und kann mit der Nachricht vom Mauerbau innerhalb Deutschlands und den Erklärungen ihrer Eltern zunächst nicht viel anfangen. Einige Omas ihrer Freundinnen können nun nicht mehr nach Hamburg zu Besuch kommen.
Nachrichten über den Eichmann-Prozeß, die Karin im Sommer 1961 im Fernsehen mitanhört, lassen sie den Zusammenhang zwischen einem Roman über die Vernichtung der Juden (Sternkinder, ISBN 978-3791526249) und der Realität erkennen. Das Ausweichen ihrer Eltern beim Thema Nationalsozialismus wird Karin von nun an nicht mehr ruhen lassen. Ohne den Fernsehapparat wäre vielleicht alles anders gekommen, überlegt sie Jahre später. In der Nacht, in der im Februar 1962 die Flut kommt, hat Karins Vater Schicht, ihr kleiner Bruder ist zu einem Freund eingeladen. Während Oma Domeschkat und Karin sich auf das Flachdach des Hauses retten, ist Karins Mutter auf dem Weg, den kleinen Uwe abzuholen. Karin und die Nachbarin harren die Nacht über auf dem Dach aus, bis sie am nächsten Tag gerettet werden. Bewohner der Behelfssiedlung treiben mit ihren Dächern an den beiden vorbei. Karin muss unerträglich lange gemeinsam mit der Nachbarin im Sammellager in einer Turnhalle warten, ehe die Familie nach mehreren Tagen endlich wieder vereint ist.
In der neuen Wohnug - zwei Zimmer und zwei halbe - drängt das einzige Erinnerungsstück, das Karin mit auf das Dach retten konnte, das Fotoalbum ihrer Eltern, die nun Fünfzehnjährige endlich der noch immer offenen Frage nach den "Judensachen" von damals auf den Grund zu gehen.
Fazit
Wenn "Ringel, Rangel, Rosen" heute von der Generation der Enkel gelesen oder gehört wird, werden sie sich vermutlich über die Strenge wundern, mit der Mädchen wie Karin damals erzogen worden. Die Vorstellungen, was ein deutsches Mädchen darf, hatten sich in den fast zwei Jahrzenten seit Kriegsende wenig verändert. Allein der zaghafte Wunsch, die Zöpfe zu behalten, auf die die Mutter beharrt, und sich einen Pony schneiden zu lassen, war für Karins Mutter ein mittlerer Skandal. Kirsten Boie hat mit Karin eine Heldin geschaffen, die auf Zuhörer und Leser der Gegenwart ungewohnt naiv wirkt. Sie verdeutlicht an Karin jedoch beispielhaft, wie schwer Kinder sich damals informieren und eine Meinung bilden konnten. Wer nett ist, wie Onkel Heinrich mit dem Holzbein, kann nach weit verbreiteter Meinung während des Nationalsozialismus nicht schuldig geworden sein.
Die Erinnerung an die Jahrhundertflut wirkt als Hörbuch äußerst dramatisch. Karins zitternde Stimme und ihr Mantra "Ringel, Rangel, Rosen", mit dem sie in höchster Not Halt sucht, wird kaum jemand so schnell wieder vergessen können. Die Sprecherin Ursula Illert gibt Kirsten Boies Figuren einen so individuellen Charakter, dass die Lesung fast wie ein Hörspiel wirkt - besonders gut getroffen: die ostpreußische Nachbarin.
8 von 10 Punkten
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