'Solitaire und Brahms' - Kapitel 15 - ENDE

  • Zitat

    Original von MaryRead


    Ich war übrigens von Jeans Reaktion auf Shelbys Coming-out zuerst ziemlich enttäuscht. Mensch, die Frau war doch ihre Freundin... die war doch normal... wieso konnte die nicht positiv reagieren? Wieso hat sie sich nicht schon längst was gedacht? Aber da sind wir wieder bei der damaligen Zeit... selbst für eine so selbstständige junge Frau wie Jean war Frauenliebe neu und fremd. Ihre erste Reaktion ist absolut nachvollziehbar. Umso schöner, dass sie dann ziemlich schnell die Kurve gekriegt hat.


    Nein, aber gar nicht. Das ist überhaupt nicht enttäuschend. Das ist ECHT! Das ist eine richtig aus dem Leben gegriffene Situation. Erschrick jetzt nicht, ich versichere noch mal, daß ich das Buch mag und empfehle.
    Aber literarisch gesehen ist es an vielen Stellen nicht reif. Dreher hat den Teig angerührt, aber das Ding hat es nie in den Ofen geschafft und ist deshalb als Ganzes nicht durchgebacken. Jean, komplex, ganz differenziert in ihren Reaktionen, gehört zu den ausgeformten Gestalten. Sie ist, literarisch gesprochen 'reif' (für den Druck). Jean ist wunderbare Figur. Rund, authentisch. Sie ist gelungen, fertig modelliert. Und eben deshalb hat sie das Recht zu zweifeln. Sie ist eine richtig literarische Figur. Jeder Ton stimmt. Sie darf das, nein, sie MUSS das. Aus genau den Gründen, die du oben genannt hast.
    Drehers Buch ist tatsächlich kein reiner Unterhaltungsroman mehr. Er hat das Zeug zu DEM grossen Lesbenroman. Wenn sie nur noch ein bißchen weitergerührt hätte. Aber sie ist zu früh aus der Küche gerannt.
    <seufz>
    magali (die Anspruchsvolle)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Das ist ECHT! Das ist eine richtig aus dem Leben gegriffene Situation.


    *magali das Riechfläschchen reich*


    weiss ich doch - gerade darum IST es ja so enttäuschend
    (sowas wie Jean hatte ich auch in meinem Leben, bloss leider hat die die Kurve nie wirklich gekriegt, obwohl es 30 Jahre später war :-( )


    magali , was meinst du denn zu Battys Ersatz-Schlüssen? Hätte nicht einer davon besser zum Buch und zum literarischen Teig gepasst?

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)


  • Du verlangst von mir, daß ich jetzt zurückscrolle und lese, ja? Daß ich anfange, mir Gedanken zu machen???
    Jetzt?????
    Why me
    :cry
    magali (already on the road)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Du verlangst von mir, daß ich jetzt zurückscrolle und lese, ja? Daß ich anfange, mir Gedanken zu machen???


    yep :-)


    Zitat

    Original von magali
    Jetzt?????


    Nö, muss nicht jetzt sein.


    Zitat

    Original von magaliWhy me


    Because?

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  • Erste vorsichtige Antwort:
    ich finde den Schluß nicht pathetisch, was die Handlung angeht. Pathetisch ist er alledings in Bezug auf die Arbeitweise der Autorin. ;-)
    Fort müssen die beiden. Ein Leben in dem Städtchen da ist nicht mehr möglich.
    Eine Versöhnung mit der Mutter ist ausgeschlossen, auch ein Gespräch. Daß man auf die Idee kommt verstehe ich. Das ist eine Folge davon, daß die Mutter als Figur nie wirklich präsent war. (Im Erzählaufbau wie -verlauf ist literarisch gesehen tatsächlich ein Vakuum da). Ein Figur wie diese Muttergestalt ist nicht auf Versöhnung angelegt. Das widerspricht den literarischen Regeln und wäre hier zudem unrealistisch. Man muß z.B. bedenken, daß auch Libby Kritik und Versagensvorwürfen ausgesetzt ist, weil ihre Tochter ihr ja nicht gelungen ist. Sie ist ja genauso in einem Netz eingebunden wie Shelby. Druck ausgesetzt. Sie hat alles getan, um ihre Tochter zu einer richtigen Frau zu machen und das ist ihr mißlungen. Sie wirft das Shelby vor, hat aber deswegen auch Versagensgefühle.Sie glaubt ja ganz fest, daß das, was sie tut, richtig ist. Daß sie den Psychiater beipfeift, ist eigentlich eine Kapitulation. Sie braucht Hilfe von außen. Das ist für solche Charaktere ganz schlimm. Ich rede jetzt von der Realität und nicht vom Roman. Aber diese Realität spielt auch im Roman eine wichtige Rolle.
    Also: Kontakt irgendwelcher Art mit Libby ist zu dem Zeitpunkt, an dem der Roman endet, ausgeschlossen. Einen Kontakt in die Zukunft zu projezieren, als Ausblick zu nehmen, wäre zu versöhnlich-kitschig.
    Bleibt: eine lautstarke Auseindersetzung zwischen den beiden, während Fran mit laufendem Motor im Auto draußen in der Einfahrt sitzt? Bißchen trivial, aber so in die Richtung. denn der Show-down, auf den die erzählung rausläuft, fehlt. (ich weiß schon, daß Dreher den vermeidet, weil das eine abgegriffene Situation ist. Bloß...???)
    Fran und Shelby herumirren zu lassen klingt hilflos, gebe ich zu. Aber es macht dahingehend Hoffnung, daß sie immer wieder die Möglichkeit haben, auf Menschen zu treffen, die sie verstehen. An vielen Orten, in vielen Staaten. Es soll so auf eine Art Keimzellen der Toleranz hinweisen, die da sprießen, bis es eines Tages zur landesweiten Toleranz kommt. Dramaturgisch ganz ungeschickt gemacht, aber das ist vage der Gedanke dahinter.
    Mehr fällt mir auch nicht ein.
    Aber es ist ja typisch. Die AutorInnen verhatschen's und die LeserInnen können sich die Köpfe zerbrechen <grummel>
    Wenn's nicht so spannend wäre!
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ok, ich habe die etwas zähe Mitte überwunden und bin durch die letzten Kapitel nur so durchgeflogen, bin jetzt bei Kapitel 19 und würde am liebten ganz schnell weiterlesen, weil irgendwie läuft mir das alles zu glatt, irgendwas fieses muß noch kommen :-]


    Kann aber nicht weiterlesen, weil bin schon viel zu spät dran für die Geburtstagsparty heute.... :wow

  • danke magali - ich fand ja die Szene, wo Libby Shelby in ihrer Wohnung auflauert, schon Showdown genug, und dann das Treffen im Gasthaus... :wow


    aber gucken wir mal, was unser BJ zu den beiden letzten Kapiteln meint ;-)

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  • Oh die Libby Szene hatte ich schon.. die war erstklassig :lache (ich hatte die ganze Zeit meine Mutter vor Augen...*lacht)


    Hab leider die anderen Beiträge hierzu noch nicht gelesen, hol ich morgen nach, weil kämpfe wie gesagt gerade mit meinem Outfit (*krallt die rosa lackierten Nägel in die Hose, wirft sich rückwärts aufs Bett und hält die Luft an*)

  • Ich bin durch, schade. Ich habe gestern noch eine ganze Weile gelesen, bin heute um halb 9 aufgestanden und habe bis halb 11, mit Frühstück nebenbei gelesen.
    Mir geht es wie Wolke. Ich kann gerade kein neues Buch anfangen, dieses beschäftigt mich noch zu sehr.


    @MR/Batcat: Gutes Buch für eine Leserunde, danke dafür


    Hier noch das, was mir so aufgefallen ist:


    S.325: Shelby erzählt Jean von der gelösten Verlobung, und diese Reaktion, die auch von Charlotte kommt, finde ich doch sehr witzig: "Ich hoffe, du hast ihn (den Ring) versichert" Einfach cool :-)


    Von Jeans Reaktion auf Shellbys Bekenntnis war ich auch erst enttäuscht, aber man muss die damalige Zeit bedenken und evtl. die Gefahr, dass auch Jean ausgestoßen werden würde. Ansonsten ist ihr Jean die ganze Zeit die beste Freundin, wodurch sie von den anderen auch ausgegrenzt wird. Ich hatte erst vermutet, dass auch Jean evtl. lesbisch ist.


    S.334 "Wenn man nach Europa geht, hat man wenigstens seine Reiseroute geplant" Schöner Satz :-)


    S.339: Rays Reaktion hatte ich nicht erwartet, schön, evtl. zu harmonisch. Er müsste doch sauer sein. Aber wenn seine Gefühle auch nicht so waren, passt das schon.


    S.364: Dass Libby mit einem Psychiater auftaucht, rundet das Bild ab. Sie ist nun mal nicht die liebende Mutter, die nur das Beste für ihre Tochter will, sondern nur für sich selbt. Und da stört das Lesbisch-Sein natürlich den Eindruck.


    S.372: Als Fran und Shel die Flucht planen, kam mir der Gedanke, dass sie sich wie Juden im 3. Reich benehmen müssen und da kam dann auch schon der Satz "Kommt es dir eigentlich auch so vor, als wären wir hier bei den Nazis?"


    Mich hat der Schluß nicht gestört, ich fand die Flucht irgendwie logisch.


    Klasse Buch, von mir aus können wir gern noch eine Leserunde in dem Genre machen.

  • Zitat

    Original von geli73
    S.372: Als Fran und Shel die Flucht planen, kam mir der Gedanke, dass sie sich wie Juden im 3. Reich benehmen müssen und da kam dann auch schon der Satz "Kommt es dir eigentlich auch so vor, als wären wir hier bei den Nazis?"


    "Sind wir doch", antwortet Fran darauf - finde ich irgendwie merkwürdig, denn es ist zwar durchaus vergleichbar, aber was soll die Antwort? Aber das ist im Original auch so:


    "Fran, do you feel as if we're living in Nazi Germany?"
    "We are", Fran said.


    Eine Seite vorher findet sich übrigens noch eins von diesen Wortspielen, wegen denen meine Haare jetzt so grau sind:


    Fran sagt, sie sollen sich als Lehrerinnen ausgeben, weil sich niemand wundert, wenn zwei Schwestern oder zwei Lehrerinnen ohne männliche Begleitung zusammen reisen.


    "You mean like nuns?"
    "It's OK to say you're nuns", Jean said. "But don't get in the habit."
    Fran rolled her eyes.


    get in the habit = sich etwas angewöhnen
    get in the habit = Habit, Nonnentracht anziehen


    tja... meine Lösung:


    "Sagt ruhig, dass ihr Nonnen seid", meinte Jean. "Mit den Gelübden müsst ihr es ja nicht so genau nehmen."
    Fran grinste.


    Da musste Fran im Deutschen grinsen statt wie im Englischen die Augen zu verdrehen, weil Jeans Satz kein blöder Kalauer, sondern eine einigermassen witzige Bemerkung war - aber ich finde, so funktioniert es ganz gut.


    Wie fandet ihr eigentlich die Szene mit dem Film? Mir hat die ziemliche Beklemmungen ausgelöst - ich konnte Shelby da sehr gut folgen. Und auch in meiner eigenen Lebensgeschichte (jetzt hab ich vor Schreck "Lesbengeschichte" getippt, ist es aber auch!) spielt ein Kinobesuch eine Schlüsselrolle... Ich habe den Film vor einer Weile gesehen, als meine Übersetzung schon längst fertig war. Ein seeeehr merkwürdiges Gefühl, da vor dem Fernseher zu sitzen und sich vorzustellen, wie Shelby vierzig Jahre zuvor diesen Film angeschaut hat... bis mir einfiel, dass Shelby ja nur eine erfundene Figur in einem Buch ist. :wow Sie ist für mich wirklich lebendig geworden.

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  • Ach ja, der Film, darauf wollte ich auch noch eingehen. Als ich mitkriegte, dass sie den Film gucken, habe ich den Freundinnen schon Absicht unterstellt. Stimmte ja auch. Aber für Shelby muss es wie eine Offenbarung gewesen sein, endlich sieht sie klar.


    Ich habe den Film noch nie gesehen, aber ich kenne einen anderen Film mit Audrey Hepburn, als sie sich in ihre Lehrerin (Lilli Palmer) verliebt. "Mädchen in Uniform" (musste den Titel ergoogeln), aber das empfand ich damals als Schwärmerei. Infam geht ja wesentlich weiter (laut Beschreibung)

  • Zitat

    Original von geli73
    Ich habe den Film noch nie gesehen, aber ich kenne einen anderen Film mit Audrey Hepburn, als sie sich in ihre Lehrerin (Lilli Palmer) verliebt. "Mädchen in Uniform" (musste den Titel ergoogeln), aber das empfand ich damals als Schwärmerei. Infam geht ja wesentlich weiter (laut Beschreibung)


    In "Mädchen in Uniform", das war nicht Audrey Hepburn, das war eine ganz junge Romy Schneider.

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  • Zitat

    Original von geli73
    @MR/Batcat: Gutes Buch für eine Leserunde, danke dafür


    ...


    Klasse Buch, von mir aus können wir gern noch eine Leserunde in dem Genre machen.


    Danke, das freut mich wirklich.


    Und zu Deinem Vorschlag: Wenn die Piratin uns was wirklich vergleichbar tolles anzubieten hat, wäre ich wieder dabei! :wave

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Wenn die Piratin uns was wirklich vergleichbar tolles anzubieten hat, wäre ich wieder dabei! :wave


    Ich hätte sofort was, siehe unten - nicht vergleichbar, aber mindestens so toll -, aber das gibt's auf Deutsch bisher nur als HC für 24.95 €. :-(


    Ich hab grad mal den Verlag angemailt, ob eine TB-Ausgabe zu erwarten ist.


    Aber wenn nicht, lass ich mir was anderes einfallen! :-)

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  • Zitat

    "Fran, do you feel as if we're living in Nazi Germany?"
    "We are", Fran said.



    Ich hab mir grad "Aimée & Jaguar" gekauft, aber noch nicht gelesen.


    Auf jeden Fall geht es darum, dass Lilly (verheiratet, vier Kinder) und Felicitas (Jüdin) sich unsterblich ineinander verlieben und Lilly ist bereit ist , ihren Mann und die Kinder Hals über Kopf zu verlassen, um ein gefährliches und unsicheres Leben an der Seite von Felicitas, ihrer geliebten "Jaguar", zu führen. Der Liebe der beiden Frauen ist jedoch nur eine kurze Zeit gegönnt. Am 21. August 1944 werden die beiden Frauen in ihrer Wohnung von der Gestapo erwartet. Felicitas wird in das KZ Theresienstadt gebracht und findet in Auschwitz den Tod.


    Vielleicht sieht Fran eine Parallele, denn das wird ja sicher kein Einzelschicksal gewesen sein. Und dieser Psychiater lauert Shelby in ihrer Wohnung auf, um sie einweisen zu lassen und Fran sagte ja auch, dass dieser Psychiater so eine Elektroschock-Therapie entwickelt hatte, um Homosexuelle "umzupolen". :fetch


    lg Iris