KLAPPENTEXT:
Menschen, die eine Schublade brauchen, erklärt Marcelo, dass er so etwas ähnliches wie das Asperger-Syndrom hat. Menschen, die ihm zuhören, erzählt er etwas von der Musik, die nur er hören kann. Dann fühlt er sich wie ein Kern in einer Wassermelone. Doch jetzt wird er ins kalte Wasser geschmissen und muss sich einen Sommer lang in der Kanzlei seines Vaters in einem Ferienjob bewähren. Das „echte“ Leben kennenlernen. Die Arbeit in der Poststelle macht ihm viel Spaß, doch es ist schwer für Marcelo, nach den Regeln der echten Welt zu funktionieren. Als er einem Vertuschungsversuch eines großen Wirtschaftsunternehmens auf die Spur kommt, ist für ihn klar, dass er nicht länger mitspielt.
ZUM AUTOR:
Francisco X.Stork, 1953 in Mexiko geboren, in den Staaten aufgewachsen, hat lateinamerikanische Literatur in Harvard und Rechtswissenschaften an der Columbia studiert. Er ist als Rechtsanwalt tätig und hat mit „Marcelo in the real world“ seinen ersten Roman auf Deutsch veröffentlicht.
EIGENE MEINUNG:
„Machst du das mit allen so?“ „Was?“ „Sie dazu bringen, dir einfach so ihr Herz auszuschütten.“ (S.276)
Marcelo hat eine Form des Asperger-Syndroms. Er ist sehr schlau, kann sich vieles merken, kann aber nur sehr schwer mehrere Dinge gleichzeitig tun (z.B. gehen und sich dabei unterhalten), weil ihn das sehr viel Konzentration kostet. Außerdem hat er so seine Schwierigkeiten mit Emotionen und der Mimik seiner Gesprächspartner. Das macht ihn zu einem sehr guten Zuhörer, denn er geht ohne Vorurteile und völlig frei an jedes Gespräch heran. Er will es immer allen Recht machen, was sich als sehr schwierig gestaltet, wenn man gar nicht so genau weiß, was der andere von einem will, denn Marcelo versteht auch nur einfach ausgedrückte Worte. Er kennt nur wenige Redewendungen und hat auch so seine Probleme mit Sarkasmus. Vor allem aber ist Marcelo sehr sehr liebenswert.
Ich mag an ihm besonders, dass er so einen guten Draht zu Tieren hat, weil er weiß, dass sie bedingungslos lieben, ohne Vorurteile und Kompromisse. Nach seinem Schulabschluss möchte er gerne kranken Kindern helfen. Das kann er schon, denn er geht auf eine Schule, an der es tiergestützte Therapie gibt. Dort hilft er in seiner Freizeit die Ponys zu betreuen und er freut sich schon sehr darauf, diese so auszubilden, dass sie kranken Kindern helfen können.
Dieser Marcelo, der für keinen Menschen ein böses Wort hat und immer versucht das Gute im Menschen zu sehen, muss nun seine Ferien in der Großkanzlei seines Vaters verbringen, in der er auf den skrupellosen Junior Wendell trifft. Zwei Welten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Es dauert nicht lange und Wendell versucht Marcelo für seine Zwecke zu beeinflussen. Denn er ist einer der Menschen, die Marcelo aufgrund seiner Krankheit für dumm und behindert halten.
Das ist er keineswegs und es tritt die Frage auf, was wichtiger ist: erfolgreich zu sein, oder ein gutes Herz zu haben? Diese Frage bedrückt auch Marcelo, denn aus Versehen wird er in einen Fall verwickelt, der einen ganz neuen Blick auf die Arbeit der Anwälte wirft und vor allem Marcelos Vater in keinem guten Licht da stehen lässt.
Marcelo soll in der Kanzlei arbeiten um „das wahre Leben“ kennen zu lernen. Um aus der behüteten Umgebung seiner sonderpädagogischen Schule heraus zu kommen. Doch was ist das wahre Leben? Marcelo macht sehr unterschiedliche Erfahrungen. Er begegnet Emotionen, die er vorher nicht gekannt hat und lernt Dinge, die er sich zuvor nicht einmal vorstellen konnte. Vor allem aber merkt er, dass das Leben sehr unterschiedliche Seiten hat. So hat er sehr positive Erlebnisse, die er nie hätte machen können, wenn er den Sommer auf Paterson verbracht hätte, aber er erfährt auch einige negative Dinge, vor denen man ihn eigentlich hätte beschützen sollen.
„Marcelo in the real World“ ist eine Mischung aus Detektivgeschichte und einem sehr philosophischen Roman, der nicht nur Marcelo, sondern auch seine Leser sehr viel über das Leben, Gut und Böse und die Freuden des Lebens nachdenken lässt. Da man das ganze aus Marcelos teils sehr naiver Sicht betrachtet, bekommt man plötzlich einen ganz anderen Blickwinkel auf die Dinge, die für uns eigentlich normal sind. Ein Aspekt, der die Geschichte zu etwas besonderem macht. Allerdings habe ich auch zwei Kleinigkeiten zu kritisieren. Erstens ist die Geschichte an manchen Stellen (nur an ganz wenigen) etwas langatmig, zweitens finde ich Marcelo teilweise zu reflektiert, was seine eigene Krankheit betrifft. Er durchläuft zwar einen Lernprozess, in dem er immer besser mit seinen eigenen und den Gefühlen anderer umgehen kann. Manchmal hat er aber doch noch Probleme was Emotionen betrifft, dann denkt er kurz darüber nach und auf einmal ist ihm alles klar. Das finde ich ein wenig unrealistisch. Vielleicht fällt das aber auch mir besonders auf, weil ich durch meinen Beruf damit zu tun habe und vielleicht stört es Leser eigentlich gar nicht so doll.
Ein besonderes Schmankerl des Buches ist Jasmines Vater, der trotz seiner fortgeschrittenen Demenz und damit zusammenhängenden unterschiedlichen Gefühlsausbrüchen nicht so ganz einfach ist. Er ist ein wenig schrullig, trägt das Herz auf der Zunge und hat mich damit ordentlich zum Schmunzeln gebracht. Besonders was die Potenz des Nachbarbullens angeht
Jasmines ganzes Umfeld ist so was von herzlich, dass ich sofort mit ihr und Marcelo dorthin gefahren wäre. Ganz das Gegenteil von den Menschen, die Marcelo in der Kanzlei seines Vaters trifft. Er wird also mit sehr gegensätzlichen Charakteren konfrontiert, die ihn ganz schön ins rudern bringen.
Im Nachhinein gesehen, wenn ich mir alles noch mal so durch den Kopf gehen lasse, dann fallen mir immer mehr Dinge über das Leben, glücklich sein und ein friedvolles Miteinander auf, die uns Francisco X. Stork mit seinem Buch vermitteln möchte. Ihr müsst es unbedingt lesen und euch davon berühren lassen, wie weise die Geschichte ist und wie sie auch uns ein klein wenig mehr Weisheit vermitteln kann.
FAZIT:
Ein kleines bisschen mehr Menschlichkeit, ein kleines bisschen mehr Freundlichkeit, ein kleines bisschen mehr Nachdenken, ein kleines bisschen Sonnenschein in einer scheinbar trüben Welt, ein großes bisschen Marcelo und heraus kommt ein Buch, das mein Leserherz höher schlagen lässt.