Der Friedhof in Prag - Umberto Eco

  • Wie schreibt man eine Rezension zu einem Buch, von dem man sicher ist, längst nicht jeden Inhalt wahrgenommen zu haben? Mein erster Gedanke war „gar nicht“, gefolgt von einem aufmüpfigen „jetzt erst recht“. Die Erkenntnis, dass einem ein Buch ein „Zu viel“ bietet – in diesem Fall an historischen Bezügen – ist natürlich höchst subjektiv, aber letztlich ist ja jede Rezension eine subjektive Betrachtung. Zu einer tieferen Analyse von Umberto Ecos Roman fühle ich mich jedoch nicht berufen, ein kurzes Fazit aus meiner Lektüre möchte ich aber immerhin bieten.


    Die Geschichte um den Meisterfälscher Simonini beginnt in Paris des Jahres 1897. Simonini sitzt in seiner Wohnung, die sich über seinem als Tarnung geführten Trödelladen befindet, und versucht, durch die Führung eines Tagebuches gewisser Verwirrungen und Gedächtnislücken auf die Spur zu kommen. Rückblickend erzählt er überwiegend chronologisch seine Lebensgeschichte, nur dann und wann von einem namenlosen „Erzähler“ unterbrochen, der straffend und erläuternd dort eingreift, wo Simoninis Gedächtnis ihn in Stich zu lassen droht, und mit den Erwiderungen eines Geistlichen names Dalla Piccola versehen, dessen Schicksal auf mysteriöse Weise mit dem Leben Simoninis verknüpft zu sein scheint.
    Der Einstieg in den Roman fällt mir schwer – Simonini ist Italiener, und so beginnt seine Lebensgeschichte in Italien mitten in der Epoche des Risorgimento. Garibaldi, Unabhängigkeitskriege, Viktor Emanuel II. und eine Fülle politischer Intrigen verhindern, dass ich richtig in die Handlung einsteigen kann. Ich gebe zu, meine Kenntnisse der italienischen Geschichte sind höchst rudimentär und beziehen sich zudem eher auf frühere Jahrhunderte; Kenner der Materie dürften mit den ersten hundert Seiten des Romans vermutlich deutlich mehr Vergnügen verbinden können als ich es vermochte. Dann verschlägt es Simonini jedoch nach Paris (geschichtlich deutlich vertrauteres Terrain) und zudem zieht mich die Verwicklung um Dalla Piccola in den Bann. Der Roman packt mich nun doch noch. Auch im mittleren Teil schreibt Eco ausführlich und kenntnisreich von allerlei politischen Verwicklungen, in denen Simonini als „Kopist originaler Dokumente“ nicht selten eine Schlüsselrolle spielt. Gewissenlos hantiert er mit Versatzstücken hassdurchtränkter Schauermärchen, um seine Fälschungen in unterschiedlicher ideologischer Färbung an die jeweiligen Erfordernisse seiner Auftraggeber anzupassen. Schamlos klaut er brauchbares Material bei den führenden Demagogen der jeweiligen Mode, schreibt um, fügt neu zusammen und bastelt Verleumdungen aller Art nach Bestellung zusammen. Mal sind’s die Jesuiten, mal die Juden, mal die Freimaurer, die sich zu konspirativen Treffen in mitternächtlicher Finsternis zusammenfinden. Allein der Schauplatz bleibt stets gleich – der Friedhof in Prag hat’s dem Fälscher angetan, so scheint es.
    Simoninis Rechnung geht auf, Auftraggeber und Regierungen wechseln, doch sein Metier blüht weiterhin -wären da nicht diese besorgniserregende Gedächtnistrübung und dieser neugierige Geistliche, der mehr zu wissen scheint, als gut für alle Beteiligten ist.
    Die Rolle des Geistlichen klärt sich noch ein gutes Stück vor Ende des Romans und das ist schade, denn was nun folgt, ist wieder reichlich langatmig und verwirrend. Die letzten Seiten des Romans sind zäh – auch eine Art, „den Kreis“ zu schließen.


    Fazit: Kommt bei Weitem nicht an „Der Name der Rose“ und „Das Foucaultsche Pendel“ heran. Selbst „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“ war unterhaltsamer zu lesen.

  • Ich habe mir heute ein Gratis-Umberto-Eco-Ebook mit 5 Büchern gezogen, da ist "Der Friedhof in Prag" auch dabei. Bin ja mal gespannt...

    Büchereulen sind Listen-Fetischisten :chen


    Lesestatistik 2011:
    31 Bücher
    13924 Seiten
    2,58 Bücher / Monat

  • Ach ich weiß nicht ... ich hab das Buch jetzt seit gut 6 Wochen neben dem Bett und wahnweise der Couch zu liegen, und bin über Seite 60 noch nicht hinausgekommen. Was schade ist, denn ich mag Umberto Eco eigentlich sehr, Das Focaultsche Pendel fand ich meisterhaft und habe viel draus gelernt.
    Aber das hier ... ist einfach so zäh und langatmig. Ich bewundere ja sein Wissen und seine Fähigkeit, eine vergangene Epoche so detailreich wiedererstehen zu lassen, aber es gibt einen Punkt, an dem man dem Protagonisten für seine Geschwätzigkeit am liebsten eine reinhauen möchte, und der ist bei mir nun schon sehr früh gekommen.
    Ich gebe aber noch nicht auf. Vielleicht packt's mich noch mal.

    Ich hab' mich verirrt.
    Ich bin dann mal weg, um nach mir zu suchen.
    Sollte ich zurückkommen, bevor ich wieder da bin, sagt mir bitte, ich soll hier warten!

  • elwe ,
    Mir geht es so ähnlich. Ich habe mir das Buch zu Weihnachten gewünscht und auch bekommen. Jetzt habe ich zwar angefangen zu lesen, aber irgendwie finde ich immer einen Grund etwas anderes zu tun als zu lesen. Das ging mir beim "Pendel" nicht so und sogar "Baudolino" las sich doch relativ flüssig.

  • Zitat

    Original von Buchdoktor


    Dein Fazit hilft mir in meiner Unentschlossenheit schon mal weiter. Danke!


    mir auch, danke Tilia Salix :wave hab nun schon öfter nicht so gute Dinge über Ecos neuen Roman gelesen und ihn deshalb doch nicht gekauft, war aber immer noch unentschlossen.
    Vielleicht mal aus der Bücherei :wave

  • Inhalt:
    Simon Simonini, vorgeblicher Trödelhändler, aber eigentlich konspirativer Verschwörer, der seine skrupellosen Talente bezüglich Urkundenfälschung, Intrigantentum und anderer Kapitalverbrechen jeweils bereitwillig dem Meistbietenden offeriert, leidet unter Gedächtnisschwund. Auf irgendeine geheimnisvolle Art und Weise scheint sein Leben mit dem eines Priesters, des Abbés dalla Piccola, verquickt zu sein. In dieser Situation beginnt Simonini einTagebuch zu schreiben, das in erster Linie eine Rückschau auf sein Lebenswerk ist. Ein Lebenswerk, das durch Verrat, Betrug und Mord gekennzeichnet ist. Simonini reflektiert dabei auch seine Sicht auf politisch historische Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Die 48er März-Revolution, die italienische Freiheitsbewegung unter Garibaldi, die Pariser Kommune, der deutsch-französische Krieg von 1871 und die vorgebliche Spionage-Affäre um Alfred Dreyfus kommen dabei aufs Tapet. Unterbrochen werden seine Aufzeichnungen immer wieder durch die Einlassungen jenes mysteriösen Abbés, der dem Tagebuchschreiber seine Verbrechen schonungslos vor die Augen hält. Auch die perfide Rolle, die Simonini bei der Geburt einer unglaublichen Verschwörungstheorie spielt, wird offen gelegt. So entsteht die Legende um einen finsteren Pakt, der angeblich geschmiedet wurde auf jenem geheimnisvollen Friedhof in Prag…


    Der Autor:
    Über Umberto Eco muss man eigentlich nicht viel sagen. „Der Name der Rose“ ist ein Standardwerk der Weltliteratur geworden ebenso wie „Das Foucaultsche Pendel“. Geballtes, detailverliebtes Wissen verpackt in brillanter Erzählkunst und spannungsgeladenen Handlungen charakterisieren seine Werke, die ihn zu einem der meist gelesenen Autoren der Gegenwart machen.


    Meine Meinung:
    Die Lektüre dieses Buches ist keine leichte Kost. Ganze zwei Monate habe ich für diese gerade Mal 500 Seiten benötigt. Anfangs fiel es mir äußerst schwer mich auf diesen abgrundschlechten Charakter Simonini einzulassen. So vertrug ich zunächst selten mehr als 20 Seiten am Stück und legte das Buch auch immer mal wieder für ein paar Tage ganz beiseite. Eco gefällt sich hier in langatmigen Auslassungen einer kranken Seele und dem Aufschreiben von Kochrezepten, die man getrost überfliegen kann.
    Dann aber, als ich eigentlich schon geneigt war aufzugeben, begann das Buch mich zu packen. Es entspinnt sich eine rasante Handlung vor der historischen Kulisse des 19. Jahrhunderts. Ich hatte gelernt, mich auf Simonini einzulasssen und wurde plötzlich nicht mehr durch diese unsäglichen kulinarischen Abschweifungen gelangweilt. So wird es dann doch noch ein Eco in Bestform. Und wenn man gegen Ende des Buches ahnt, welche Aussage uns Eco nahe bringen will, erklärt sich auch die Anlage des Charakters Simonini. Das Buch lässt mich fassungslos und nachdenklich zurück. Denn Eco hat Recht, wenn er im Nachwort schreibt, dass dieser Simonini in uns allen auch heute noch lebendig ist.
    Ich gebe dem Werk volle 10 Punkte und kann es nur jedem empfehlen, der Bücher mag, die Anspruch, Spannung und Wissen auf brillante Art und Weise verbinden.

  • Du hast in Deiner Rezension mehrmals das Wort "brillant" verwendet, und das trifft's fuer mich. Es ist ein Roman, der regelrecht schillert und zwar in allen Facetten und ganz gleichgueltig, in welche Richtung man ihn zum Licht dreht. Es ist eins der Buecher, das ich zweimal hintereinander lesen musste und das ich staendig an beliebiger Stelle aufschlage, um mich von der Brillanz blenden zu lassen und zu grinsen.
    Baudolino bleibt mein Lieblings-Eco, aber dieser zieht ganz dicht auf. Mein historischer Roman des Jahres 2011.


    Herzliche Gruesse von Charlie

  • Ein typischer Eco ist ein Gedankenanreger, auch dieser lässt den Leser nachdenklich zurück: Ein schmieriger antisemitischer Notar verändert die Wirklichkeit nach seinem Gutdünken; eine seiner Fälschungen löst die "Dreyfus-Affäre" aus und eine andere dient als Vorlage für die Schmähschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“.


    Doch im Gegensatz zu seinen früheren Werken ist ihm dieses Buch nicht so gut gelungen. Zum einen wirkt das deskriptive Erzählen etwas langweilig und langatmig, zum anderen verzichtet Eco diesmal auf szenische und spannende Elemente, wie z.B. in der Rose oder im Pendel, die den Schmöker aufgelockert hätten. Hinzu kommt eine Unzahl an Figuren, die nur kurz auftreten. Das Ganze wirkt dann doch recht unrund und verwirrend.


    Für einen Leser, der im Thema ist, mag es eine unterhaltsame Geschichtsvorlesung sein, dem nach Action & Thrill gierenden Bücherjunkie kann ich das Buch nicht empfehlen.