OT: Britt-Mari lättar sitt hjärta 1944; dt. 1954, übers. von Else Hollander-Lossow
1942 gründeten Hans Rabén und Carl-Olof Sjögren in Stockholm einen neuen Verlag. Herausgebracht werden sollten Bücher mit aktuellen Themen ausgesprochen für Kinder und Jugendliche ‚von heute’, erzählt von den besten Autorinnen und Autoren. Diese waren nicht auf Anhieb zu finden und so schrieben die beiden Jungverleger ab 1944 einen jährlichen Wettbewerb aus. Eingesandt werden sollten unveröffentlichte Manuskripte, den ersten drei GewinnerInnen winkte ein Vertrag bei Rabén und Sjögren.
Unter den Einsendungen 1944 mit dem Schwerpunktthema: junges Mädchen in liebevoller familiärer Umgebung, aber selbstbewußt, vor allem gegenüber dem anderen Geschlecht, befand sich auch das Manuskript einer bislang unbekannten, weil unveröffentlichten jungen Autorin namens Astrid Lindgren. Sie gewann den zweiten Preis dieses Wettbewerbs, was sie sehr glücklich machte, denn fast zur gleichen Zeit war ein anderes Manuskript von ihr, über ein höchst merkwürdiges kleines rothaariges Mädchen, bei einem anderen Verlag rundheraus abgelehnt worden.
So war es also von den vielen Mädchenfiguren, die sich Lindgren im Lauf ihres Schriftstellerinnenlebens ausdachte, die fünfzehnjährige Britt-Mari und nicht die kleine Pippi, die zuerst vor ein Publikum trat. Das Publikum war angetan.
Britt-Mari ist die Zweitälteste von vier Geschwistern, ihr Vater ist Direktor eines Gymnasiums, ihre Mutter Übersetzerin. Sie leben in einer Kleinstadt, den Haushalt führt die älteste Schwester, weil die Mutter nicht nur voll berufstätig, sondern zum Entzücken der Familie auch ein wenig verpeilt ist, während der Vater den umfassend gebildeten, aber vom Alltag etwas entfernt lebenden Gelehrten gibt. Als Britt-Mari die alte Schreibmaschine ihrer Mutter bekommt, ist sie selig. Allerdings weiß sie nicht, was sie schreiben soll. Tagebuch gefällt ihr nicht, mit Romanen und Gedichten ist das so eine Sache, vor allem, weil ihr spottlustiger Bruder Svante, der nächstjüngere, immer, wenn sie nicht zuhause ist, seine Kommentare unter ihre literarischen Bemühungen tippt. Da kommt die Idee mit einer Brieffreundin in Stockholm gerade recht. Von nun an darf sich Kajsa, (von der man nicht mehr erfährt als den Namen) und die Leserin an Britt-Maris Ergüssen erfreuen.
Unsere Protagonistin ist lebhaft, phantasievoll und vor allem höchst mitteilsam. In kürzester Zeit steht die ganze Familie lebendig da. Es geht munter zu. Die Geschwister necken sich, lieben sich, streiten und prügeln sich. Vor allem Britt-Mari Svante, der sich aber nicht scheut, zurückzuboxen. Schließlich ist sie kein Mädchen, sondern eine Schwester, und das ist etwas ganz anderes!
Wir lernen die Eltern, das Hausmädchen, die Schulfreundinnen kennen. Britt-Mari schreibt über ihre Bücher, über die Schule, über Familienfeste. Es geht durchs ganze Jahr, Sommerfreuden, Winterfreuden, Aprilscherze, Weihnachtsfeier. Sie träumt und sehnt sich, begeistert sich für Gedichte und die Natur, schimpft über die Schule, streitet mit ihrer Freundin und versöhnt sich wieder. Es herrscht eine rundum harmonische Atmosphäre, so sehr, daß es offenbar sogar der Autorin auffiel. So bekommt eine Flüchtlingsfamilie - schließlich herrscht Krieg in Europa- einen kurzen Auftritt und unsere Protagonistin darf eine einer 15jährigen angemessen gefühlige humanistische Überzeugung äußern. Es ist gut gemeint, wirkt aber ein bißchen aufgesetzt. Die Gesellschaftskritik, die Britt-Mari anläßlich eines Besuchs bei einer Freundin aus einer reichen Familie zur Sprache bringt, klingt im Vergleich dazu radikaler. Das scheint der Autorin näher zu liegen.
Interessanter und nicht ganz aus der Welt, obwohl der kleine Roman so alt ist, ist Britt-Maris zarte Liebesgeschichte mit einem Klassenkameraden, die ernsthaft gefährdet wird, als sich ein neuer Schüler einmischt, der sich für unwiderstehlich hält. Über Britt-Maris Verhalten am Ende kann man streiten. Da treten Verhaltensweisen zutage, die sich mit dem bis dahin gezeichneten Bild des selbstbewußten modernen Teenagers der 1940er Jahre reiben. Aber warum sollen Teenager logisch handeln. Und auch die älteste Schwester darf am Ende ihre Romanze erleben.
Insgesamt liest sich einiges an dieser freundlichen und lustigen Familiengeschichte wie eine Vorstudie zu Pelles Geschichte, die zwanzig später auf Saltkråkan spielen wird. Bei aller Munterkeit und allem Humor wirkt Britt-Maris Beschreibung ihres Lebens inzwischen recht brav und gesetzt, es gibt keine Probleme, die nicht aus der Welt geschafft werden können. Es ist ein echtes Wohlfühlbuch und wirkt dadurch heute ziemlich gesetzt, auch wenn das gezeichnete Familienleben für die Zeit freizügig erscheint.
Seit seinem ersten Erscheinen in der BRD 1954 erfreut sich das Buch beträchtlicher Beliebtheit und wird immer wieder aufgelegt. Anläßlich des 90. Geburtstags der Autorin 1997 gab es sogar eine neue Übersetzung von Anna-Liese Kornitzky.