Eine Kindheit in Island, da gab es ja schon einiges. Doch dieses Buch ist erfrischend anders, was vielleicht daran liegt, dass es bereits 1976 in Island erschienen ist.
Andri, Ende des zweiten Weltkrieges geboren, wächst in ein zerrissenes Island hinein. Während sich Jahrhunderte lang keine Mensch außerhalb Islands für dieses Fleckchen Erde interessiert hat, steht es nun im Fokus der Weltpolitik. Der kalte Krieg zementiert die Fronten, die USA wollen ihre Streitkräfte auf der Insel stationieren. Das führt zu einer tiefgreifenden Spaltung des Landes: die einen sehen ihr Land verkauft, die anderen als Bastion der westlichen Grundwerte. Andri sieht das alles aus der Sicht eines Kindes, und während er heranwächst, ändert sich die Welt um ihn herum rasant,. Reykjavík wird so was ähnliches wie eine Großstadt, das halbe Volk rennt den US-Dollars hinterher, das Landvolk, beliebtes Motiv der isländischen Literaten, ist Hüter der Traditionen.
Wirklich spannend an diesem Roman ist aber die Umsetzung. Gunnarsson schafft es, die Erinnerungen eines Erwachsenen konsequent in die Wahrnehmung eines Kindes zurückzuübersetzen. Dadurch bekommen die Kapitel zwar etwas Episodenhaftes, nur Bruchstücke sind in Erinnerung, doch das ist nur authentisch: Der Tod J. F. Kennedys bleibt im Gedächtnis, die Schwester dagegen taucht ganz nebenbei irgendwann auf. Weltgeschehen und die kleinen Nöte eines Kindes bekommen so das gleiche Gewicht, werden aber auch miteinander verquickt. Und das ist oftmals richtig komisch.
An anderen Stellen wiederum, man hätte sie bis vor Kurzem noch als Kapitalismuskritik eines linken Träumers abgetan, ist dieses immerhin 35 Jahre alte Buch von erschreckender Aktualität. Da fällt einer das Schmunzeln aus dem Gesicht.
Die Sprache ist unglaublich verdichtet, da sitzt jedes Wort, dieses Buch ist frei von unnötigem Geschwafel. Das führte dann dazu, dass selbst ich, die ich Island ganz gut kenne, an einigen Stellen nicht verstand, worauf sich der Autor sich jetzt schon wieder bezog. Bis ich das Glossar fand, in dem die Stellen, an denen ich ausgestiegen bin (und auch noch einige mehr), kurz erläutert werden. Und ich dachte: „ach das meint der, das hat er aber schön ausgedrückt!“ Und dann musste ich lachen.
Über den Autor
Petúr Gunnarsson ist 1947 in Reykjavik geboren und studierte Philosophie an der Universität Aix-Marseille in Frankreich. Im Januar 2011 wurde er für sein Werk und seinen Beitrag zur isländischen Literatur mit dem Ritterkreuz des Isländischen Falkenordens geehrt.