Geschichten aus dem Speisewagen. Unterwegs in Deutschland - Torsten Körner

  • Torsten Körner, freiberuflicher Autor und Journalist, hat sich einen Traum erfüllt. Ein Jahr lang fuhr er mit dem Zug kreuz und quer durch Deutschland. Er saß dabei nicht in einem Abteil oder im Großraumwagen, sein Aufenthaltsort waren der Speisewagen oder das Bordbistro. Dies, so seine Meinung, sind die Orte in Zügen, an denen man Geschichten findet, Geschichten, die andere erzählen. Körner wollte diese Geschichten sammeln.


    Ich habe mich darauf gefreut, dieses Buch zu lesen. Die Idee klang reizvoll. Dazu kam, daß der Autor den Speisewagen zu den bedrohten Arten zählt und ihm mit diesem Buch zu neuem Leben verhelfen will. Da ich selbst eine Vorliebe für Speisewagen habe, also zu den 12% der Zugreisenden gehöre, die diese Einrichtung überhaupt nutzen, war ich gleich an seiner Seite.


    Überzeugt hat mich das Buch leider nicht. Ich habe sehr lange zur Lektüre gebraucht, nicht, weil es soviele Geschichten enthält, nicht einmal deshalb, weil es schnell seinen Reiz verliert, sondern deswegen, weil ich nicht den Finger darauf legen konnte, was es letzten Endes so, es tut weh, langweilig macht. Körner gibt sich viel Mühe und er ist mit Engagement bei der Sache. Er beginnt mit seiner Leidenschaft fürs Zugfahren und vor allem für Speisewagen. Er spricht mit vielen Dutzend von Menschen, jeden Alters, Männern, Frauen, unterschiedlichster Herkunft, mit Reisenden, mit dem Zugpersonal. Er lauscht Familiengeschichten Beziehungsgeschichten, Reisegeschichten, Lebensgeschichten. Er hört vom Krieg, vom Arbeitsleben, vom Einwandern und Auswandern, von Verbrechen und Liebe, von Haß und Tod und von neuem Leben. Die ältere Geschichte der BRD, das Ende der DDR, alles ist dabei. Es gibt es etwas zum Lachen, zum Staunen, zum Ärgern, zum sich Wundern. Das heißt, das alles gäbe es, wenn ...


    Das größte Problem bei diesem Buch ist der Tonfall, in dem berichtet wird. Er ist schnell gleichförmig, eintönig. Egal, ob der DDR-Grenzer, die polnische Putzfrau oder das brave ältere Paar aus Bayern erzählt, sie klingen alle gleich. Ganz schnell hat man das einförmige Rattern der Zugräder auf Schienen im Ohr, ratatat, ratatat, unaufhörlich, ununterbrochen. Der Autor mag den Menschen, die er getroffen hat, zugehört haben, die Leserin hört sie nicht. Sie haben alle ein und denselben Ton, dieselbe Wortwahl, Ausdrucksweise, man hört nur eine einzige Stimme. Nach zwei, spätestens drei Kapiteln ist alles Lebendige verschwunden, papiern geworden, trocken. Es gibt keine Pointen, kein Auf und Ab, alles wird auf einem gleichbleibendem Niveau wiedergegeben.


    Dem Autor fehlt der Blick für das Spezielle, Spezifische an Menschen, für das, was sie in besonderen Momenten, wie z.B. in der flüchtigen Intimität eines Gesprächs beim Zugfahren, auszeichnet, sie heraushebt und ihr Schicksal, und sei es nur für eine halbe Stunde, einprägsam macht. Was man liest, kommt einer nach zwei Sätzen schon bekannt vor, man neigt dazu, wegzuhören, weil es jenen Geschichten ähnelt, die man hört und sofort vergißt. Im Nachwort hebt der Autor nachdrücklich seine Umgangsweise mit dem Erzählten heraus, daß er nämlich, um die Privatsphäre seiner Gegenüber zu schützen, die Geschichten und die Personen verändert habe. Was dabei passiert ist, ist offenbar, daß er sie glattgebügelt hat.
    Tatsächlich gehört das Nachwort zu den interessantesten Kapiteln, weil es darin Stellen gibt, in denen er fast ungeschminkt eine eigene Meinung äußert. Die Stellen sind allerdings kurz und gehen bald wieder in Banalitäten unter.


    Banalitäten ersticken oft genug Einführungen von Kapiteln, Überleitungen, Zusammenfassungen. Versucht er, einen Überblick zu geben oder hinter die Dinge zu kommen, erstickt das Ganze in biederen Überlegungen, die sich ohne Anstoßen in jeder braven Zeitung wiederfinden. Das Buch hat keine Ecken und Kanten, es ist glänzend poliert und seine Oberfläche nahezu kratzfest. Es ist Buch ohne Mut, weder zum Hinsehen noch zum Berichten. Der Blick auf andere Menschen ist weitgehend verstellt, der Autor lebt von Vorannahmen und Vorurteilen. Letztere stören hin und wieder gewaltig. Spannung ergibt sich für Körner vielfach nur daraus, daß sich sein Gegenüber als ein wenig anders entpuppt, als erwartet. Auch das ist um Grund eine biedere Auflösung. Selbstverständlich gibt es ein Weihnachtskapitel. Beim Zugfahren ist das Leben nicht anders als außerhalb des Zugs. Warum aber dann davon erzählen?


    Neben dem Schlußkapitel reizvoll sind jene, in denen Körner sich mit bewußter Fiktionalisierung bzw. Literarisierung versucht. Die Augenblicksgeschichten, etwa, dreiunddreißig Ein-Satz-Geschichten, die Satzfetzensammlung und die zehn Kurzimpressionen, obwohl diese ihrer Länge wegen den Autor schon wieder einladen, Platitüden von sich zu geben.


    Schöne Idee, brav ausgeführt, Chance vertan.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus