Harig, Ludwig: Weh dem, der aus der Reihe tanzt

  • Kurzbeschreibung nach Amazon
    Nach »Ordnung ist das ganze Leben«, der Geschichte seines Vaters, hat Ludwig Harig mit »Weh dem, der aus der Reihe tanzt« seine eigene Geschichte als Junge und junger Mann im Dritten Reich geschrieben. Aufgewachsen in einem kleinbürgerlichen, dörflichen Umfeld mit seinen nationalen Klischees und schlagwortartigen Gewißheiten und spätestens vom ersten Schultag an auf das Bedürfnis dazuzugehören geeicht, wird der Handwerkersohn Ludwig wie selbstverständlich zum begeisterten Hitlerjungen. Harigs Erinnerung beschönigt nichts. Wie war es möglich, daß aus harmlosen Kindern kleine Verbrecher wurden, stumpfsinnige Herdentiere, zu unmenschlichem Haß fähig? »Das Leiden an der eigenen Biographie, das Ludwig Harig im Bekenntnis seiner Erinnerungen ausbreitet, ist nicht Pose, sondern eine phantastisch klare Bestandsaufnahme. ...Ludwig Harigs Bilanz der frühen Jahre ist ein Lehrstück aus der Vergangenheit. Sein Ziel aber ist die Zukunft.« »Stuttgarter Nachrichten«


    Autor
    Ludiwg Harig, geboren 1927 in Sulzbach an der Saar, ist deutscher Schriftsteler und literarischer Übersetzer, der von 1950 bis 1974 im Schuldienst tätig war, bevor er sich dem Schreiben widmete.


    Meine Meinung
    In diesem autobiographischen Buch beschreibt Ludwig Harig, geboren 1927, seine Kindheits- und Jugendzeit. Er beginnt mit seiner Einschulung und endet mit dem Eintritt ins Berufleben als Volksschullehrer 1950.


    Er zeigt auf wie er in das Dritte Reich hineinwuchs und sich von der Indoktrination fortreißen ließ, gegen die er sich nicht erwehren konnte. Das er dies nicht konnte ist sowohl seinem damaligen Alter geschuldet als auch der Tatsache, dass er in einem Elternhaus aufwuchs, in dem sich Opa und Vater der Bewegung verschrieben haben.


    Am Anfang des Buches findet sich ein Zitat von Hitler, in welchem er beschreibt, dass man die deutsche Jugend mittels diverser, lebensstrukturierender Organisationen voll und ganz in die NS-Bewegung eingliedern müsse, so dass sie ein Teil dessen werden. „Und sie werden nicht mehr frei, ihr ganzes Leben.“


    Diesen Weg geht auch Ludwig Harig. Stolz trägt er seine HJ-Uniform, treu folgt er der Fahne, auf die der Eid geschworen wurde. Eine Illusion, die erst in den letzten Kriegswochen zerbricht. Immer wieder streut er ein, wie sehr er sich hat verzaubern, wirr lassen machen, aber es erscheint nicht als nachträgliche Rechtfertigung, sondern bleibt authentisch.


    Gleichzeitig hat er sich auf die Spur der Erinnerungen begeben, wobei es unklar bleibt, zu welchem Zeitpunkt diese Recherchen stattfanden. Dieses Hinzukommen einer zweiten Zeitebene, die mit den Erinnerungen verschmilzt, stellt eine Bereicherung für die Erzählung dar. Zeigt es doch auf wie Ludwig Harig sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt und macht deutlich, dass er nicht unkritisch macht, denn er räumt auch ein, dass sich die Erinnerungen verwischen und anfangen zu trügen. Dass er nicht mit der Holzhammermethode daher kommt und sagt, so war es, sondern die Erinnerung hinterfragt verleiht dem Buch nicht nur noch mehr Authenzität, sondern erinnert den Leser gleichzeitig daran, dass man mit Zeitzeugen/Erinnerungen vorsichtig umgehen muss.


    Zeitweilig wirken seine Be- und Umschreibungen zu blumenreich, aber nicht so ausufernd, als dass es den Lesefluss beeinträchtigt hätte.


    Hierfür vergebe ich 8 von 10 Punkten

  • Weh dem, der aus der Reihe tanzt - Ludwig Harig


    Ausgaben:
    Taschenbuch bei Fischer
    Hardcover bei Hanser


    272 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Ludwig Harig, Jahrgang 1927, erzählt die Geschichte seiner Jugend. Er berichtet von der Zeit bei der Hitler-Jugend und beim Reichsarbeitsdienst, schildert, wie er keineswegs ungern Soldat und damit zum "Täter" wurde. "Auch ich hatte die Finger im Spiel, und ich spielte auf meine Weise mit", sagt er. Und am Schluß seines Buches heißt es: "Nein, ich kann nichts ungeschehen machen, ich kann nur in der schreibenden Wiederholung verdeutlichen, wie es geschehen ist."


    Über den Autor:
    Ludwig Harig, geboren 1927 in Sulzbach/Saarland, arbeitete von 1950 bis 1970 als Volksschullehrer; seit 1974 lebt er als freier Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Neben zahlreichen kleineren dichterischen Arbeiten, kulturkritischen Feuilletons und Glossen hat Harig über 50 Hörspiele, ein Theaterstück und mehrere autobiographische Romane geschrieben. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Heinrich-Böll-Preis und den Friedrich-Hölderlin-Preis.


    Mein Eindruck:
    Ich habe die schöne Hanser-Ausgabe gelesen, aber lieferbar ist wohl nur die Taschenbuchausgabe.
    Ludwig Harig hat hier autobiographisch geschrieben und die Zeit seiner Kindheit und Jugend erzählt. Eine Zeit, die ganz und gar geprägt war von der Herrschaft der Nationalsozialisten im dritten Reich.
    1933 war Harig 5 Jahre alt, bei Kriegsende 18. Kein Wunder also, dass er stark geprägt war von den Parolen der Nazis. Ludwig Harig schreibt detailliert und sehr genau. Er ist auch streng mit sich selbst, weiß, dass er ein Mitläufer bei der Hitlerjugend war. Als Leser kann man aber spüren, wie schwer es sein musste, sich nicht anzupassen. Der Titel “Weh dem, der aus der Reihe tanzt” trifft es genau.
    Das zeigt sich schon früh, als ein kleiner Junge in der Schule ausgegrenzt wird, nur weil er Rene heißt und einen französischen Vater hat. Ein solch fremd klingender Name passte seinen Mitschülern nicht, die Oswald und Arnold oder Hermann, Ludwig. Also freundet sich auch Ludwig Harig nicht mit dem einsamen Jungen an. Das Ereignis hat er aber nicht vergessen, 50 Jahre später erinnert sich genau und hadert mit sich selbst.
    Das unterscheidet dieses Buch von den Erinnerungstexten von Autoren wie Günter Grass oder Martin Walser, die doch sehr milde und sofort verzeihend mit sich selbst und ihrem Verhalten in der NS-Zeit umgehen.


    Teilweise ist das Buch aufgrund seiner Ausführlichkeit anstrengend. Es gibt auch Passagen in diesem umfangreichen Text, die mich nicht so sehr interessierten, wo ich schnell weitergeblättert hatte. Dann gibt es wieder Szenen, die Erkenntnisse bringen, z.B. als der jugendliche Ludwig Harig verwirrt ein Buch über Rassenkunde liest und auch die Lehrer gegen die Juden hetzen.
    Es kommt aber auch der Tag, an dem er sich schämt, ein Hitlerjunge zu sein
    1944 wird er Reichsarbeitsdienst einberufen, in den Krieg ziehen muss er aber nicht mehr.
    Dann endet der Krieg. Als er den ersten amerikanischen GI trifft, ist er beeindruckt.
    Langsam beginnt bei ihm ein Umdenkprozess.


    Marcel Reich-Ranicki lobt Ludwig Harigs Eigentümlichkeit seiner Schreibweise, die makellose Mischung aus Genauigkeit und Gelassenheit.
    Dem kann ich mich im Prinzip anschließen, ich schätze diese autobiographische Erzählform, denke aber, dass Harigs subtiler wirkender Stil aus "Die Hortensien der Frau von Roselius: Eine Novelle" noch stärker ist.