So, auf ins Huxley's, da war ich auch noch nicht. Die Fahrt dahin ist ein bisschen abenteuerlich, mit der "Drogenlinie" U8 zum Hermannplatz in Neukölln und man muss sich nicht wirklich auskennen, um Dealereien zu beobachten. Egal, ich bin nicht alleine und fühle mich sicher, außerdem scheint ein riiiiesiger Vollmond vom Himmel herab, als hätte jemand die Taschenlampe angeknipst.
Das Huxleys ist ein wirklich schöner Laden, atmosphärisch, obwohl der Saal ganz hohe Decken hat und fensterlos ist. Trotz geschätzter 2000 Menschen (das Konzert ist ausverkauft) ist es sehr gemütlich. Das Publikum ist gemischt, alt und jung, flippig und ganz normal.
Elbow- diese Band habe ich zum ersten Mal vom Band vor dem Gig der 'Stereophonics' gehört und ich dachte- Wow, hat Peter Gabriel eine neue Platte gemacht??? Die stimmliche Ähnlichkeit ist frappierend, die Musik sehr melodisch, sie arbeitet mit Streichern und Blasinstrumenten, klingt einladend warm. Auf der Bühne sitzen neben der üblichen Besetzung (Drums, Gitarre, Bass, Keyboards) auch noch drei hübsche Mädchen an Streichinstrumenten, außerdem ein Klarinettist. Das Konzert ist von der ersten Nummer an in eine Atmosphäre getaucht, die kaum zu fassen ist. da werden keine Stücke runtergespielt, sondern Hymnen vorgetragen, Sänger Guy Garvey scheint mit dem ganzen Herzen bei der Sache zu sein. Er scherzt, macht Witze, erzählt Geschichten über diesen wahnsinnigen Vollmond am Himmel, lacht und sagt vor einem Song, den er für einen Verstorbenen geschrieben hat:
Küss den Freund jetzt, solanger er da ist und Du die Gelegenheit dazu hast.
Die Musik ist tragend, aber nicht schwer, alles ist auf nachdenkliche Art sehr leicht und bei dem Song "Open Arms", indem es heißt:
We got open arms for broken hearts/ Like yours my boy/ Come home again.
fühle ich mich angenehm umarmt. Sie spielen gute zwei Stunden, die allerdings viel zu kurz waren für diese wunderbare Band. Auf dem Weg nach Hause scheint der Mond noch ein bisschen heller und selbst die Neonröhren in der U- bahn wirken warm.
Wilco am 12.11 im Tempodrom
Das Tempodrom kennen wir auch noch nicht. Komisch ist nur, dass wir Sitzplatzkarten haben. Schließlich macht die amerikanische Band independant- Rock/Country/ Alternative/ Irgendwas, also- SITZPLÄTZE??
Nun ja, wir springen also in die S- Bahn, die von uns aus direkt durchfährt- heute allerdings nicht, wie wir einem Hinweisschild entnehmen können. Die Verbindung ist durch eine Baustelle unterbrochen, wir müssen dreimal umsteigen und er Schienenersatzverkehr ab Mitte (Bus) fährt alle dreißig Minuten (!), weshalb wir die letzten Kilometer entnervt mit dem Taxi zurücklegen, spät dran sind und grade noch zwei Minuten von der Vorband mitbekommen, was aber nicht schlimm ist, wenn sie die ganze Zeit so ein grottiges Zeug gespielt hat, wie in diesen letzten zwei Minuten.
So sitzen wir also auf unseren Plätzen, Herr rienchen wippt fröhlich mit dem Fuß, als der Herr, der in der Reihe vor uns sitzt, ( Mitte Fünfzig, mit Hemd, Krawatte und Pullover, schwäbischer Dialekt) sich bitterlich bei ihm darüber beschwert und ihn auffordert, das gefälligst sein zu lassen. Bitte, wie?, fragt herr rienchen, man ist doch hier auf einem Rockkonzert? Frau Schwabe mischt sich ebenfalls ein und hält Herrn rienchen einen Vortrag übers "Schlagen, und dass man nur schlägt, wenn es was zu schlagen gibt, ansonsten gefälligst nicht!". Wir antworten gar nicht mehr, schlagen ein paarmal demonstrativ mit dem Fuß auf und harren der Dinge. Was für ein komisches Publikum, das in dem ausnahmslos bestuhlten Saal rumsitzt. Dann ertönt ein Gong, der sich wie mein alter Schulgong anhört und den man im Theater auch einsetzt, wenn die Pause um ist. Oha. heute ist wohl mal Kultur angesagt.
Wilco betreten die Bühne, die Stücke sind straight, es gibt keine Ansprachen an das Publikum, das sehr verhalten auf den Sitzen verharrt, als gegen Ende des dritten Stückes plötzlich ein Schalter umgelegt wird. Die Band scheint warm zu werden, immer mehr Besucher stehen auf, verlassen ihre Sitze und streben vor die Bühne. Anfangs versuchen noch die Ordner, dieses Verhalten irgendwie zu unterbinden, was aber keinen Erfolg hat und schließlich toleriert wird.
Was in den nächsten knapp drei (!) Stunden passiert, ist schwer zu beschreiben. Wilco beherrschen ihr Handwerk perfekt, was sind das tolle Musiker. Sie präsentieren einem einen Folksong, den sie plötzlich aufdröseln , um ihn wieder laut und polternd zusammenzusetzten und ihne einem mal so richtig um die Ohren zu hauen. Wer das mal sehen und nachvollziehen möchte, kann sich auf YouTube mad den Sond "Via Chicago" ansehen. http://www.youtube.com/watch?v=QdiZVo_KIlE&feature=related Bei 2 Min 20 gehts los. Ich persönlich habe sowas NOCH NIE gesehen. Hammer!
Die Stimmung ist nun richtig gut, (Herr Schwabe hält sich die Ohren zu :grin) bei der Band ist der Knoten endgültig geplatzt. Sie freuen sich, hier zu sein, in Berlin, bedanken sich nach jedem Song beim Publikum und spielen acht Zugaben. Ich bin am Ende des Abend körperlich und geistig ganz schön fertig, weil mich diese Band ganz schön gefordert hat. Alles verstanden habe ich nicht, ich bin kein Musiker, aber es har mir sehr großen Spaß gemacht. Allerdings hätte ich die beknacken Stühle samt Ordner rausgeschmissen.
Edit: hier gibt es noch eine Konzertkritik in der Zeit, wen es interessiert:) einmal klicken, bitte.