Nils Mohl: Es war einmal Indianerland [ab 16]

  • Nils Mohl: Es war einmal Indianerland
    Rowohlt 2011. 352 Seiten
    ISBN-13: 978-3499215520. 12,99€
    Vom Verlag empfohlen ab 16 Jahre


    Über den Autor
    Geboren 1971 in Hamburg, wo er auch heute mit seiner Familie lebt. Nach dem Studium arbeitete er im Baugewerbe, im Einzelhandel, in der Logistikbranche und ist derzeit Dozent an der Uni Hamburg sowie Angestellter in der Reklamewirtschaft. (Quelle: Webseite des Autors)


    Verlagstext
    Stell dir vor, du bist 17 und lebst in den Hochhäusern am Stadtrand. Der Sommer ist heiß. Es ist Mittwochnacht, als dir Jackie den Kopf verdreht. Im Freibad. Fuchsrotes Haar. Sandbraune Haut. Stell dir vor, wie dir die Funken aus den Fingern sprühen vor Glück. Und plötzlich fliegt die Welt aus den Angeln: Zöllner erwürgt seine Frau. Edda, die 21-Jährige aus der Videothek, stellt dir nach. Mauser steigt mit Kondor in den Ring. Immer wieder meinst du, diesen Indianer mit der Adlerfederkrone zu sehen. Und dann zieht zum Showdown ein geradezu biblisches Gewitter auf – fühlt es sich so an, erwachsen zu werden?


    Inhalt
    Was in den letzten zehn Tagen vor dem Ende der Ferien passierte, läuft hinter der Stirn des siebzehnjährigen Icherzählers wie ein Film ab. Das Drehbuch dieses Films ist der zweigeteilten Handlung vorangestellt: Die Ereignisse dauern von Mittwoch bis zum Mittwoch der folgenden Woche und von Donnerstag bis Samstag. Mitten in die erste Woche wird der Leser hinein katapultiert, um dann Szenen zu folgen, die keinem erkennbaren roten Faden folgen. Der Erzähler, der sich selbst das Grünhorn nennt, jobbt in den Ferien auf einer Baustelle. Er hängt mit seinen Kumpels Mauser und Kondor ab, mit denen er gemeinsam boxt; Höhepunkt der Ferien sind nächtliche Feten im Freibad. Der Erzähler ist offenbar niemandem Rechenschaft schuldig; niemand erwartet ihn zu Hause. Die Jungs leben in einer Hochhaussiedlung, die den meisten Lesern aus den Nachrichten bekannt ist, seit hier ein Kind kurz vor seinem Tod, eingesperrt in seinem Zimmer, vor Hunger die Teppichfasern verschlang. Genau in dieser Siedlung hat vor kurzem Zöllner, der Vater von Kumpel Mauser, seine zweite Frau ermordet. Die Tat kann noch nicht lange her sein; denn das Absperrband der Polizei ist noch zu sehen. Warum der flüchtige Zöllner das Denken des Erzählers so stark bestimmt, entwickelte sich für mich überraschend zum roten Faden der Geschichte


    Die Gespräche der Jugendlichen drehen sich um ein geplantes Konzert und um eine Flashmob-Aktion unter dem Motto: Wir feiern nicht, wir eskalieren. Der Erzähler nimmt in der Stadt immer wieder Figuren wahr, die wie Indianer aussehen und entscheidet sich jedes Mal bewusst gegen einen zweiten Blick auf die Figur, um der Sache mit den Rothäuten lieber nicht genauer nachzugehen.


    Das Grünhorn steht zwischen zwei Frauen, Jackie, von der er sich hängengelassen fühlt, und Edda, der Frau aus der Videothek. Edda ist älter als Grünhorn, hat einen Job und ein von der Oma geerbtes Häuschen in einer ehemaligen Schrebergartenkolonie. Um Grünhorns Aufmerksamkeit wirbt sie mit äußerst findigen, filmreifen Ideen. Unsicher, wer er selbst eigentlich ist, stellt sich dem jungen Mann die Frage, was Mädchen von ihm wollen - und ob er überhaupt an einer der beiden Frauen interessiert ist. Mit der Maxime: Mit Sex habe ich es nicht so eilig, kann man nicht sehr viel falsch machen, findet er. In der zweiten Hälfte der Geschichte wirkt der Erzähler seiner selbst und der möglichen Beziehungen zu Frauen plötzlich unsicherer als zu Beginn. Er notiert nun, was er über andere und über die Ereignisse noch nicht sicher weiß. Diese Entwicklung verläuft gegenläufig zu meiner Einschätzung des Jungen. Grünhorn wirkte längst nicht so verplant auf mich, wie er sich selbst sieht. Wer beobachtet und schreibt wie er, um dessen Heranwachsen sollte sich kein Erwachsener sorgen müssen.


    Fazit
    "Es war einmal Indianerland" hatte einen unrunden Start bei mir. Nach den ersten 100 Seiten vermisste ich den roten Faden, fragte mich, ob ich den Einzelszenen eine lineare Handlung vorgezogen hätte und legte das Buch zur Seite. Nach der zweiten Begegnung mit der Selbstfindung eines jungen Mannes bleiben in meiner Einschätzung Grünhorns und seiner Clique noch immer Lücken, die sich durch Zurückblättern füllen lassen. Eine schräge Geschichte, die Sex&Drogen nicht auslässt, und in der ernsthafte Jugendliche schräge Dinge erleben.


    8 von 10 Punkten

  • Es war einmal Indianerland - Nils Mohl


    Mit diesem Roman hat Mohl etwas versucht, was eher selten ist, zumal bei Jugendromanen. Er hat nämlich nicht allein eine sehr gute Geschichte konstruiert, sondern auch mit der Form experimentiert. Das Ganze ist ein äußerst interessantes und aufregendes Unterfangen, hier werden Worterzählung und Film zusammengespannt, eine Geschichte präsentiert, wie ein Film, ein Buch als DVD.


    Die LeserInnen bekommen stark visualisierte Impressionen vorgesetzt und zugleich collageartig Textstücke, die zum erstenmal in der Mitte und zum zweiten und endgültigen Mal am Ende zu einem Roman zusammengefügt werden. Da das Ganze aber eine gedruckte Erzählung und kein Film ist, wird auf den technischen Einsatz des ‚Films’ mit Zeichen und wiederum mit Worten verwiesen. Die beiden so unterschiedlichen Genre weisen immer aufeinander und verschränken sich. Schon auf dem fliegenden Vorsatz, also noch vor dem Titelblatt, sieht man klein die bekannten Zeichen für ‚Film ab’, ‚Pause’, ‚vorspulen’, ‚zurückspulen’ und ‚Ende’. Mit ihnen beginnen die Kapitel. Oder eben Szenen. Und sie enden mit ihnen.


    Um ganz sicherzugehen, daß die LeserInnen auch verstehen, was gerade gezeigt wird, gibt es noch eine Entschlüsselung der Zeichen am Kapitel-/Szenenanfang.
    [zurück: Sonntag, noch acht Tage Ferien steht da etwa, oder [vor: Freitag: noch 3 Tage Ferien. Zwei Kalender klären die zugrundeliegende Chronologie, die im Fortlauf der Erzählung/des Films nicht chronologisch abläuft.


    Mohls namenloser ca. 17jähriger Ich-Erzähler hat seine guten Gründe, warum er in seiner Geschichte hin - und herspringt wie der sprichwörtliche verrückte Märzhase. Er ist auf seine Art verrückt, er steht unter Schock. Was ihm geschehen ist, ist zudem nicht sein erstes Trauma. Tatsächlich tastet er sich im Verlauf der Ereignisse Stück für Stück, Szene für Szene und Erinnerung für Erinnerung an den Schrecken heran. Er wäre sonst nicht auszuhalten.


    Zunächst erfahren wir einfach einiges von unserem Erzähler. Wie er sich bei einer nächtlichen wilden Party im verschlossenen Freibad in Jackie mit den fuchsroten Haaren verliebt. Wo er lebt und wie. Wer seine Freunde sind, Mauser, z.B., der ziemlich vernünftig ist und ein ausgezeichneter Boxer. Wer ihm eher feindlich begegnet, Kondor oder zwei kleine, ein bißchen gewalttätige Jungen, die er nur ‚die Cowboys’ nennt. Neue Bekanntschaften, wie Edda aus der Videothek, und Ponyhof, ein Bekannter von Jackie, alte, wie Mausers Vater und dessen zweite Frau Laura.


    Zwischen diesen Figuren webt Mohl ein engmaschiges Beziehungsnetz, das bald einem Labyrinth gleicht. Keine Beziehung ist so, wie sie anfänglich zu sein scheint. Das liegt auch daran, daß der Ich-Erzähler einerseits sparsam ist mit seinen Angaben, zum anderen aber nicht weniges selbst nicht versteht oder einordnen kann.


    Mohl geht nicht freundlich mit seinem Helden um. Das Indianerland, ein Land, in dem andere Sitten herrschen und andere Gesetze gelten, ist der Bezugspunkt eines Siebzehnjährigen, der sich selbst fremd fühlt und versucht, Ordnung herzustellen und das Chaos zu beherrschen. Es gelingt nur bedingt und vorübergehend, denn das Chaos ist die Liebe.
    Es war einmal Indianerland ist keineswegs ein Sozialdrama. Die Hochhaussiedlung und die Welt der Reichen, die Jackie verkörpert, sind ebenso, wie das Musikfestival des zweiten Teils, mehr Kulisse für das eigentliche Drama, nämlich die Schreckensreise des Helden durch die vielfältigen Landschaften der Liebe.


    Diese steht hinter einem Gutteil der Gewalt, von der die Geschichte erzählt. Sie steht auch hinter der Orientierungslosigkeit des jugendlichen Erzählers. Liebe ist Ausrede, Begründung, Ziel und Traum aller Figuren. Sie ist Sucht und Schutzraum. Sie bleibt schmerzlich oft unerfüllt. Ebenso oft bleibt sie unerkannt, sie zeigt sich mit falschen Masken, etwa unter der des reinen Begehrens, oder dann, wenn es zu spät ist. Das gilt auch für die Liebe zu sich selbst, vom Egoismus bis zur Achtsamkeit für das eigene Ich. Mohl spielt viele Facetten durch, sein Grundton ist eher melancholisch.


    Das Buch ist sehr ambitioniert, sehr verschachtelt konstruiert, passend zum verwickelten Thema ‚Liebe’. Zusammen mit den traumartig-rauschhaften Sequenzen vor allem im zweiten Teil wird das Lesen zu einer Herausforderung, was die Freude an diesem Wurf nicht mindert, sondern eher steigert. Es ist eines der anspruchsvollsten Jugendbücher, die seit Jahren erschienen sind, mit einem eigenen und eigenständigen inneren Bezugssystem ein regelrechter psychologischer Roman. Hier werden neue Wege für das Jugendbuch beschritten und Grenzen versetzt.
    Einzig die sprachliche Umsetzung bliebt hinter dem gesetzten Ziel etwas zurück. Nicht alle ‚Ungeschicklichkeiten’ können als Stilmittel, also als Sprechweise eines Siebzehnjährigen, durchgehen. Aber der Wunsch nach Perfektion auf allen Ebenen entsteht vor allem deshalb, weil die Idee und die Geschichte so ausgezeichnet sind. Und wie bei der Liebe muß man sich auch in puncto Perfektion damit abfinden, daß es eine rundum befriedigende Form davon einfach nicht gibt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Titel: Es war einmal Indianerland
    Autor: Nils Mohl
    Verlag: Rowohlt
    Erschienen: Februar 2011
    Seitenzahl: 346
    ISBN-10: 3499215527
    ISBN-13: 978-3499215520
    Preis: 12.99 EUR


    Er hat noch fünf Tage Ferien, er ist siebzehn Jahre alt und lebt in einer diesen trostlosen Betonsiedlungen am Rande von Hamburg. Und irgendwie bekommt er sein Leben nicht so richtig auf die Reihe. Da ist Zöllner der seine Frau erwürgt hat, da ist die rothaarige und verwöhnte Jackie und dann ist da eben auch noch Edda, einundzwanzig Jahre alt und angestellt in der Videothek.


    Aber auch Mauser ist noch da - oder ist er nicht da? In jedem Falle trifft sich Mauser mit Kondor zu einem Boxkampf. Und was ist mit dem Indianer, diesem Indianer mit der Adlerfederkrone? Ist er real? Er scheint da zu sein - ohne aber wirklich da zu sein.


    Und dann macht er sich mit Edda zu diesem Festival auf, eigentlich um dort Jackie zu treffen, aber auch Zöllner soll dort sein. Jackie, die Rothaarige, die er in einem Schwimmbad kennengelernt hat. Und dann beginnt das Chaos -oder besser gesagt, dann nimmt das Chaos erst richtig Fahrt auf. Er verliert sein Mütze und auch der Koffer mit der Bohrmaschine, den er immer bei sich trägt, macht ihm das Leben nicht gerade leichter.


    Nils Mohl hat ein teilweise skurriles Buch geschrieben, ein Buch das andererseits aber auch durch seinen leichten Surrealismus lebt und das dann wieder sehr realistisch daher kommt. Ein Buch der vielleicht etwas anderen Art. Das HAMBURGER ABENDBLATT stellte fest, dass die schnellen Schnitte in diesem Roman durchaus an den Film "Pulp Fiction" erinnern - und das beschreibt es vielleicht ganz gut. Es ist diese ganz besondere "Pulp-Fiction-Atmosphäre" die man meint auch als Leser dieses Buches zu spüren. Wenn man diesen Film vielleicht aber nicht so mag - so kann man dieses Buch aber ganz sicher trotzdem mögen. Es ist das "Nicht-Alltägliche" was dieses Buch ein mehr als ein wenig heraushebt aus der Masse des "literaturdümmlichen" Mainstreams.


    Nils Mohl wurde 1971 geboren und war u.a. zweimaliger Gewinner des Literaturförderpreises Hamburg sowie zweimaliger Träger des MDR-Literaturpreises. Mit diesem Roman legt er ein wirklich lesenswertes Buch vor, ein Buch der "etwas anderen Art". Ein Buch über das Jungsein - ein Buch aber auch ohne den besserwisserischen Erwachsenenblick. Ein Buch das aber eben ganz sicher auch nicht überall Zustimmung finden wird.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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