Eine rote Wolke - Antonio Pennacchi

  • OT: Una nuvola rossa


    Kurzbeschreibung:
    Die Gegend südlich von Rom wird von zwei Gegensätzen beherrscht: den kargen Lepinischen Bergen und den unter Musolini trockengelegten und besiedelten Pontischen Sümpfen. Nie haben sich die Bewohner der beiden Landschaften aneinander gewöhnt, zu unterschiedlich ist ihre Herkunft und Mentalität. Antonio Pennachi erfindet die Figur eines Erzählers, der aus der Ebene stammt und gegen seinen Willen beauftragt wird, einen Bericht über einen schrecklichen Doppelmord in einem kleinen Bergdörfchen zu schreiben. Über den Täter muss eine Art Blutrausch, eine "rote Wolke" gekommen sein, wie die Leute sagen. Was der Erzähler daraufhin uns, den Lesern abliefert, ist alles andere als ein Bericht: Während er Fakten zusammenträgt und Polizeiprotokolle wiedergibt, kommentiert und terrorisiert er, verliert sich in absonderlichen, überraschenden und amüsanten Abschweifungen, streitet mit seinem Psychoanalytiker und taucht gleichzeitig tief hinein in die Geschichte dieser Landschaft, in der noch die Erinnerung an die Römer oder die Zauberin Kirke lebt und das letzte rituelle Menschenopfer nicht lange her zu sein scheint.


    Über den Autor:
    Antonio Pennacchi wurde 1950 geboren und hat einige Romane veröffentlicht. "Eine rote Wolke" ist sein erster Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde.


    Meine Rezension:
    "Eine rote Wolke" erfordert nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich die volle Aufmerksamkeit des Lesers und das gleich aus mehreren Gründen: Zum einen ist die Vielzahl der Namen anfangs irritierend und zum anderen wird das gleiche Ereignis - der bestialische Doppelmord an zwei Jugendlichen - immer und immer wieder neu erzählt und zwar anhand von Zeugenaussagen und den Befragungen der Familie und der Freunde. Der Roman beginnt mit einem historischen Abriss der Gegend, in der die Geschichte spielt und läuft dann auf zwei Ebenen weiter. Da wäre einmal die Ebene des Erzählers, der gegen seinen Willen über den Doppelmord berichten muss und den Leser an seinen eigenen Recherchen, Überlegungen, Gesprächen mit dem Staatsanwalt, dem Verteidiger und seinem eigenen Psychoanalytiker teilhaben lässt. Zum anderen gibt es die Ebene der Zeugenaussagen, die Polizei und Karabinieri zusammentragen. Um sich selbst ein Bild von den Ereignissen an jenem 25. Februar 1996 zu machen, ist es erforderlich, jede Aussage genau zu lesen. Naturgemäß widersprechen sich die Aussagen nicht nur zwischen den Zeugen, sondern es gibt sogar Unterschiede in den Berichten ein und derselben Person. Ob die Wahrheit ans Tageslicht kommt, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten, aber es sei gesagt, dass Antonio Pennacchi einen wirklich raffinierten Roman geschrieben und diesen mit einem Ende gekrönt hat, mit dem man wirklich nicht gerechnet hat. Wer Freude an ungewöhnlichen, anspruchsvollen Romanen und die Geduld hat, sich aufmerksam durch den Wust an (nützlichen und unnützen) Informationen zu bewegen, dem dürfte "Eine rote Wolke" ein besonderes Lesevergnügen bereiten.


    Von mir gibt es dafür 9 Punkte!