Kickboxen mit Lu - Roman Marchel

  • Inhaltsangabe vom Residenzverlag:


    Dieses Buch wird Sie umhauen: vor Witz, vor Tempo, vor Klugheit und vor Rührung.


    „Also, kein Sex, kein Gott, keine Träume“, sonst redet Lu über alles. Den Eltern erzählt sie, sie fahre in ein Trainingscamp, zwei Wochen Kickboxen. Stattdessen nimmt sie sich eine Auszeit, mietet sich ein in der Pension „Zur schönen Gegenwart“. Lu ist 16, Geschichte hat sie noch keine, keine richtige, aber reden kann sie, wie andere atmen. In der Pension trifft sie auf Tulpe Valentin, eine alte Schriftstellerin, acht Romane hat sie geschrieben, der letzte ist lange her. Sie glaubt, sie hätte ihr Leben hinter sich und auch das Schreiben. Die Auszeit, die sie und ihr kranker Pensionsnachbar sich nehmen, ist ein Warten auf den richtigen Moment aufzugeben. „Ein Treffer, den man kommen sieht, tut weniger weh.“


    Aber dann kommt Lu und redet, und Tulpe Valentin hört zu und schreibt auf, ihren letzten Roman, weil sie erkennt, dass sie hier das Leben vor sich hat – ein anderes Leben, das weitergeht.
    Meine Meinung:


    „Kickboxen mit Lu“ ist der erste Roman vom österreichischen Autor Roman Marchel.


    Ich bin immer noch sehr berührt von dieser Lektüre. Daher weiß ich auch nicht so recht, wo ich nun anfangen soll. Die Sprache des Romans steht bei mir klar im Fokus meiner Beurteilung. Es hat ein paar Seiten gedauert, bis man sich als Leser in die Welt und Sprache von Lu eingelesen hat. Das komplette Buch kommt ohne Anführungszeichen aus und doch ist es ein ständiger Dialog zwischen Lu und Tulpe Valentin. Das hat mich am meisten verwirrt und begeistert zugleich.


    Du Sprache von Lu ist genau so wie es bei einem 16jährigen Mädchen aus der Realität: Direkt und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Der Leser befindet sich mitten in ihrer Welt und man kann ihre Probleme und Standpunkte absolut nachvollziehen. Sie plappert wie ihr der Mund gewachsen ist und springt vom einen auf das nächste Thema.


    Lu und Tulpe Valentin könnten nicht unterschiedlicher sein: Während Lu eine jugendliche und direkte Sprache vorweist, ist sie bei Tulpe Valentin eher gehoben, also ganz Schriftstellerin. Ich habe dieses Bild immer vor Augen gehabt wie die junge Lu und die alte Tulpe auf der Bank im Garten sitzen und sich ihre Geschichten erzählen. Dieses Bild hat mich sehr angesprochen. Doch haben auch beide einen wichtigen Punkt gemeinsam: Beide wollen der Realität entfliehen. Diese Gemeinsamkeit verbindet sie und schafft so ein ganz besonderes Band zwischen dem ungleichen Paar.


    Ich habe während dieser Geschichte gelächelt, geschmunzelt, mitgefühlt, zugehört und am Ende noch eine ganze Weile darüber nachgedacht. Es könnte eine Geschichte sein, die sowohl dir als auch mir jeden Tag passieren könnte. Zwei Leben, die an einem Ort aufeinander treffen und den Alltag des anderen ein klein wenig erhellen.


    Bewertung: 4/5 Sterne

  • Roman Marchel: Kickboxen mit Lu
    Residenz Verlag 2011. 222 Seiten
    ISBN-13: 978-3701715732. 19,90€


    Über den Autor
    Roman Marchel, geboren 1974 in Graz, Studium der Literaturwissenschaft in Wien und Paris, lebt in Wien. Erzählungen und Gedichte in Zeitschriften und Anthologien. Siemens-Literaturpreis 2004, Theodor-Körner-Förderungspreis 2006. „Kickboxen mit Lu“ ist sein erster Roman.


    Zum Inhalt
    Kickboxen, den Sport ihrer Tochter, finden die Eltern der sechzehnjährigen Lu nicht wichtig. Als Lu in ein Kickbox-Camp fahren will, sind sie dennoch froh darüber; denn ihrer Tochter war es eine zeitlang so schlecht gegangen, dass sie sie zu einem Psycho-Typen in Behandlung schickten. Lu denkt gar nicht daran, ins Camp zu fahren. Sie trifft sich im Garten der Pension "Zur Schönen Gegenwart" mit Tulpe Valentin und erzählt ihr aus ihrem Leben. Tulpe heisst wirklich so - Familienname: Valentin, Vorname: Tulpe. Dass Tulpe weder vom Kickboxen Ahnung hat noch vom X-Men Wolverine, stört die beiden nicht weiter. Die ältere Frau ist offenbar in der Pension gestrandet und schreibt nun ein Buch über Lu. Tulpes eigenes Leben scheint ein ebenso großer Verhau zu sein wie der Inhalt ihrer Handtasche und ein Mädchen wie Lu genau die passende Gesprächspartnerin. Lu kann erstaunlich rücksichtsvoll sein. Trotz ihrer Zweifel an dem Buchprojekt legt sie Wert darauf, der älteren Frau nicht in ihre Arbeit als Autorin reinzureden, bläst ihrer erwachsenen Gesprächpartnerin dennoch einige Male couragiert den Marsch. Allmählich schleicht sich beim Lesen ein unruhiges Gefühl ein; denn Pensionen sind für Touristen gedacht, nicht für gestrandete Frauen. Pension klingt nach Obdachlosigkeit und Komplikationen. Um herauszufinden, wie die beiden Frauen auf die Bank neben dem Apfelbaum gelangt sind, habe ich den Roman in einem Rutsch gelesen.


    Obwohl das, was Lu so macht, ihrer Meinung nach höchstens ein Buch mit drei Seiten füllen würde, hat das Mächen erstaunlich viel zu erzählen. Tulpe schweigt die meiste Zeit dazu. Ihre Sicht der Dinge erfahren wir vom Erzähler der Geschichte und aus Lus Reaktionen. Mancher mag vermuten, das Buch könne eine fixe Idee Tulpes sein. Doch Lu entdeckt bei einem Besuch in der Bibliothek, dass ihre Gesprächspartnerin bereits Autorin mehrerer Bücher ist. Und weil es sich hier um keine einfache Geschichte handelt, kann Lu sich die Bücher nicht einfach ausleihen, sie muss mehrmals zum Lesen in die Bibliothek fahren, um Tulpe schließlich Bericht zu erstatten, wie weit sie mit dem Lesen des ersten Romans gekommen ist.


    Fazit:
    Mit seiner ungewöhnlichen Erzählperspektive wirkt dieser rührende Roman wie Teil einer Reportage, die nur die Antworten zeigt und die meisten Reporterfragen auslässt. Besonders mitreißend und anrührend fand ich Lus Sprache, hinter der sich ein gehöriges Maß an Wut und Verletzungen verbirgt. Im Garten der Pension gibt es Pfauen, für Lu wird zu "Pfau", was sie kommentiert: "Ach Pfaufeder!" heisst es wiederholt. Erst ganz zum Schluss erschließt sich, warum die beiden Gestrandeten einander Rettungsanker wurden. Tulpes und Lunas Begegnung, bei der vordergründig nichts zu passieren scheint, war für mich die Überraschung dieses Bücher-Herbstes.